© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/03 06. Juni 2003

 
Europa
Selbstbewußt - aber ohne Ideologie
Carl Gustaf Ströhm

Dieser Tage meldeten sich mehrere westliche Intellektuelle wie Umberto Eco, Richard Rorty und Adolf Muschg zu Wort, die in arrivierten Zeitungen wie der Süddeutschen, der Neuen Zürcher Zeitung, El País oder La Repubblica über den künftigen Weg Europas angesichts des Irak-Krieges und der US-Hegemonialpolitik räsonierten.

Ausgegangen war die Initiative von Jürgen Habermas, der gemeinsam mit seinem philosophischen Kollegen Jacques Derrida von zwei entscheidenden Daten sprach, die gemeinsam in die Geschichtsbücher eingehen würden: dem 30. Januar 2003, an dem auf Initiative des spanischen Ministerpräsidenten Aznar acht Irak-kriegswillige europäische Regierungen hinter dem Rücken des übrigen Europas in der Londoner Times und anderen Zeitungen ein Loyalitätsbekenntnis zu dem Kurs des US-Präsidenten veröffentlichten - und danach den 15. Februar, als in den EU-Metropolen die größten Antikriegsdemonstrationen seit 1945 stattfanden.

Habermas und Derrida sprachen in der FAZ unter der Überschrift "Unsere Erneuerung" euphorisch von der "Geburt einer europäischen Öffentlichkeit" - eines "Kerneuropas", wie Muschg in der NZZ titelte -, das sich gegenüber den USA zusammenschließen müsse. Man solle mit einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik den Anfang machen. Fast wie eine Drohung klingt die Forderung von Habermas, von einem solchen "Kern" werde eine Sogwirkung ausgehen - und im Rahmen der künftigen europäischen Verfassung dürfe und könne es "keinen Separatismus geben".

Was aber will Habermas tun, wenn irgendwo doch noch ein paar miese "Separatisten" auftauchen sollten, die einfach in Ruhe gelassen sein wollen, weil sie an der schönen neuen Europa-Welt nicht interessiert sind? Will er sie vielleicht züchtigen, einsperren oder köpfen? Hier zeigt sich die fatale Neigung der "Frankfurter Schule" zur Zwangsbeglückung. Hinzu kommt die unheilbare linke Illusion, man könne in Europa - als Gegengewicht zur Macht der USA - eine "kosmopolitische Ordnung auf der Basis des Völkerrechts verteidigen", in der auch "unterlegene Minderheiten" solidarisch (mit der Mehrheit) sind. Da ist nun wirklich der Wunsch Vater des Gedankens - denn das setzt, so Habermas, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit voraus. Was aber, wenn es dieses Gefühl zwischen einem finnischen Holzfäller und einem spanischen Olivenbauern nicht gibt?

Gegen die intellektuellen Träume eines Europa, das den Kampf gegen Amerika aufnimmt, ohne über die Machtmittel dafür zu verfügen, gibt es als Ernüchterung nur ein Zitat von Mao Tsetung: "Alle Macht kommt aus den Gewehrläufen." Solange sich Europa aus der Bequemlichkeit seines Clubsessels nicht erhebt, um wirklich ernsthaft europäische Machtpolitik zu betreiben, hat George W. Bush die stärkeren Bataillone auf seiner Seite - jedenfalls zunächst. Um aber Europa auch machtpolitisch auf die Beine zu stellen, müssen wir den Ideologien eine klare Absage erteilen - auch jener von Habermas. 


 
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