© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/03 06. Juni 2003

 
"Drohung als Mittel der Provokation"
Interview: Saul Zadka nimmt Stellung zu seinen Vorwürfen gegen Europa und zu den Reaktionen auf seine Kolumne in Ma'ariv
Moritz Schwarz

Herr Dr. Zadka, mittlerweile sind Sie für Ihren Artikel "Europa - der verlorene Kontinent" von "Ma'ariv" suspendiert worden.

Zadka: So ist es, nach dem Protest des griechischen und des Botschafters der EU beschloß die Redaktion, sich von mir zu trennen.

Auf Zeit?

Zadka: Falls sie das behaupten, ich glaube ihnen nicht. Glücklicherweise verdiene ich meine Brötchen nicht bei Ma'ariv.

Hat der Chefredakteur den Artikel denn vorher nicht gelesen?

Zadka: Offenbar nicht, der ist ihnen wohl "durchgeschlüpft", damit bin ich der Alleinschuldige.

Sie fühlen sich als politisches Opfer?

Zadka: Aber natürlich, ich wurde abgesetzt, lediglich dafür, meine Meinung frei geäußert zu haben.

Halten Sie Ihre Ansicht denn tatsächlich für legitim?

Zadka: Selbstverständlich. Und immerhin hat die Mehrheit der Leserbriefschreiber meine Position unterstützt.

Sie meinen, Europa für dessen Unterstützung des Terrorismus, wie Sie schreiben, mit militärischen Vergeltungsschlägen im Sinne Israels abzustrafen.

Zadka: Nein, ich habe nicht gefordert, Europa anzugreifen, ich habe das als Möglichkeit in den Raum gestellt, sollten bestimmte Umstände eintreten.

Nämlich?

Zadka: Sollte die Existenz Israels entscheidend bedroht sein und zwar durch Beihilfe der Europäer.

Ein Zustand, den Sie sukzessive eintreten sehen?

Zadka: Leider gibt es in Europa eine traditionelle Feindseligkeit gegenüber Israel. Ich habe ja ausgeführt, worin sie sich dokumentiert.

Können Sie sich vorstellen, wie es in europäischen Ohren klingt, wenn Sie uns mit einem Angriff, zumal mit Atomwaffen, drohen? Deutschland etwa hat keine Atombomben, ist in dieser Hinsicht Israel also ausgeliefert.

Zadka: Nun, der Freund unseres Feindes ist eben unser Feind. Allerdings geht es mir ganz und gar nicht darum, Ihnen zu drohen, im Sinne von Muskeln spielen zu lassen. Ich spreche von einer Situation, in der Israel mit dem Rücken zur Wand steht. Meine "Drohungen" sollen genau genommen das Gegenteil dessen sein, was eine Drohung eigentlich ist. Ich will damit nicht zur Eskalation beitragen, sondern die Notbremse ziehen. Ich will warnen, damit wir umsteuern, bevor es zur Eskalation kommt.

Deeskalation durch Drohung?

Zadka: Ja, die Drohung als Mittel der Provokation. Hätte ich nur einen weiteren nachdenklichen Artikel geschrieben, hätte doch niemand aufgehorcht. Mir war klar, daß eine Diskussion über die prekäre Lage nur mit einer Provokation zu erreichen ist. Ich bin gesprächsbereit, wie Sie sehen. Ich will, daß wir mit den Europäern in Dialog über die Probleme treten. Wollte ich nur Rache, würde ich mich doch gar nicht mit Ihnen unterhalten.

Sie schreiben, Deutsche und andere Europäer würden "allmählich ungeduldig werden" angesichts der Tatsache, daß der Staat Israel "bereits 55 Jahre alt geworden ist". Glauben Sie, die Deutschen wünschen sich heimlich die Vernichtung Israels?

Zadka: Leider gibt es bei den Deutschen die Tendenz, sich vom Holocaust distanzieren zu wollen. Ich vermute, deshalb haben Sie beschlossen, mehr Aufmerksamkeit den Ungerechtigkeiten zu widmen, die die Palästinenser erfahren. Unter Helmut Kohl war die deutsche Politik noch wesentlich israelfreundlicher als unter Schröder. Rudolf Augstein hat sich zuletzt sogar getraut, Scharon mit Hitler zu vergleichen, was in früheren Jahren unmöglich gewesen wäre.

Haben Sie am Ende Ihres Artikels nicht stolz erwähnt, Sie könnten auf das Argument "Holocaust" verzichten?

Zadka: Ich will den Holocaust nicht als moralisches Argument verwenden, und so habe ich meine Aussage eben auch nicht gemeint. Ich glaube, ich habe genug Argumente, die sich allein aus dem Fehlverhalten der Europäer ergeben. Leider versuchen viele Israelis den Holocaust als moralisches Argument einzusetzen. Ich halte das für einen Fehler, das macht den Holocaust nur billig.

Dennoch, die Europäer hassen Israel?

Zadka: Nein, aber sie wollen ihre Beziehungen zur arabischen Welt nicht gefährden. Außerdem leben viele Millionen Moslems in den europäischen Ländern, ein Faktor, mit dem die europäischen Regierungen in Zukunft rechnen müssen. Aber was sollen wir denken, wenn zum Beispiel der französische Botschafter in London bei einem Dinner von Israel als dem "kleinen Miststaat" spricht, wegen dem sich im Nahen Osten ein dritter Weltkrieg zu entzünden drohe. Ein italienischer Politiker hat mir selbst von der großen Feindseligkeit der Europäer gegenüber Israel erzählt, weil in ihren Augen unsere Existenz für viele Probleme und Gefahren verantwortlich ist. Daher schimmert bei immer mehr europäischen Politikern, Medien und Bürgern die Auffassung durch, daß es ein Fehler war, den Juden zu erlauben, den Staat Israel zu gründen.

Also übt Europa Verrat?

Zadka: Denken Sie an das letzte Attentat des Dschihad Islami in Haifa. Das Hauptquartier dieser Terrorgruppe ist in Damaskus, doch kein Europäer bricht deshalb die Beziehungen zu Syrien ab! Im Gegenteil: Frankreich unterstützte Syrien sogar, als das Land vor einigen Wochen ins Visier der Amerikaner geraten ist. Die Briten haben vor einem halben Jahr Präsident Assad mit allen Ehren in London empfangen, einschließlich rotem Teppich und Empfang bei der Königin. Syrien wird derzeit sogar als Mitglied des Uno-Sicherheitsrates geduldet, das ist doch ein Witz! Doch dabei vergessen Sie, daß wir Ihre Frontlinie darstellen. Sind wir erst einmal vernichtet, stehen die Moslems bald wieder vor Wien. Jeder Angriff auf Israel ist auch ein Angriff auf den Westen und seine Art zu leben. Jede Bombe gegen uns richtet sich auch gegen Sie! Sie sind naiv, wenn Sie glauben, die radikalen Islamisten dächten nicht so.

Sie haben bislang kein Wort über die schweren Verletzungen der Rechte der Palästinenser durch Israel verloren.

Zadka: Ich war bis Ausbruch der zweiten Intifada Direktor des Israelisch-Palästinensischen Medien-Forums, unterstützt von der Unesco, ich habe wirklich und wahrhaftig an den Dialog geglaubt. Die Europäer glauben, wir wollten nur erobern, doch wir sind nicht in Nablus, um in Nablus zu sein, sondern um Tel Aviv möglichst gut vor dem Terror zu beschützen. Das aber verstehen die Europäer nicht und reagieren mit einer Hinwendung zu den Palästinensern. Ich habe mich ursprünglich sogar für unseren Abzug aus dem Süd-Libanon eingesetzt, weil ich annahm, das würde sich als friedensstiftende Maßnahme erweisen. Doch nun werden wir über die Grenze hinweg angegriffen und zudem aus verbesserter Angriffsposition. Wir waren naiv. Die Araber haben unser Nachgeben als Erfolg verbucht und fühlten sich damit in ihrer Strategie des Terrors bestätigt.

Vergessen Sie über den Vorwurf der mangelnden Solidarität der Europäer nicht den Kern des Problems, die israelische Siedlungspolitik?

Zadka: Ich bin selbst ein Gegner der Siedlungen, die Mehrheit der Israelis wäre gegen die Siedlungen, wenn deren Aufgabe wirklich Frieden brächte. Aber das wird nicht der Fall sein, solange die gleichgültige Haltung der Europäer anhält.

Gehen Sie jetzt nicht zu weit?

Zadka: Ich bin überzeugt davon, daß die Europäer den Terror in Israel schon längst hätten stoppen können, wenn sie nur entschlossen Druck ausüben würden.

Sie überschätzen den Einfluß Europas.

Zadka: Nein, die Palästinenser wähnen Europa zu einem Gutteil auf ihrer Seite, das gibt ihnen den nötigen Rückhalt, ohne den sie den Terrorkrieg gegen uns nicht durchhalten würden.

Der Botschafter der EU in Israel, Giancarlo Chevallard, hat Ihre Kritik als geboren aus einer "Phantasiewelt, die sich aus Dummheit, Intoleranz, Haß und Gewalt zusammensetzt", bezeichnet.

Zadka: Das ist lächerlich, ich habe Herrn Chevallard angeboten, über alles zu reden, aber er hat es abgelehnt. Doch angesichts der Zustimmung, die ich in Israel erfahren habe, halte ich diese Position nicht für klug. Moritz Schwarz

Fotos: Saul Zadka: "Druck ausüben" / Titelseite der Zeitung "Ma'ariv"

 

Dr. Saul Zadka, geboren in Jerusalem, studierte in London Kriegswissenschaften, war in den achtziger Jahren Großbritannien-Korrespondent der israelischen Tageszeitung "Ha'aretz" und ist heute Leiter des Fachbereichs für Medien und Kommunikation am Israel Valley College.

 

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