© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/03 06. Juni 2003

 
"Wir schaffen neue Vollzeitarbeitsplätze"
Interview: Der Aufsichtsratschef der Pin AG, Bernhard Klapproth, wehrt sich gegen den Vorwurf des "Lohn-Dumpings"
Jörg Fischer

Herr Klapproth, noch vor zwei Jahren wurde der "New Economy" eine große Zukunft vorausgesagt. Firmen, die Internetseiten programmierten oder die Rechte an US-Trickfilmserien besaßen, waren an der Börse mehr wert als die Lufthansa. Auch die Pin AG als Briefdienstleister nahm in Zeiten des "Börsenbooms" ihre Tätigkeit auf. Wo stehen Sie heute?

Klapproth: Als die Pin AG 1999 in Berlin gegründet wurde, zählten uns potentielle Investoren nicht zur New Economy. Im Gegenteil, wir wurden von vielen gar nicht ernst genommen. Wir hatten in der Gründungsphase keine High Tech zu bieten. Wir haben nie wie die New Economy-Firmen auf leichtem Wege Millionensummen akquirieren können, wir haben uns mühsam mit Eigenkapital versorgen müssen. 95 Prozent der Investoren haben uns damals ausgelacht. Mittlerweile ist die New Economy-Blase geplatzt. Aber die Pin AG hat sich durchgesetzt, weil wir wenige, aber ausreichend Investoren finden konnten. Die haben sich gesagt: Die Pin AG hat Bestand, egal was die Weltwirtschaft macht. Sie ist konjunkturunabhängig, ein Versorger, also eine langfristige, aber sichere Investition. Viele, die damals nicht bei uns investieren wollten, würden dies nun gern tun, aber wir sind nicht börsennotiert - und wir finanzieren uns zunehmend selbst aus dem Cash-Flow, also einbehaltenen Gewinnen und Abschreibungen. Wir haben keine nennenswerten öffentlichen Fördermittel erhalten. Für Dienstleister wie uns gibt es so gut wie keine staatliche Unterstützung.

Seit dem Inkrafttreten der Postreform 1998 wurden Hunderte Lizenzen für den Briefbereich bis 1.000 Gramm durch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post erteilt. Aber im Gegensatz zum Paketbereich sind für die Kunden bislang kaum Alternativen erkennbar. Warum?

Klapproth: Es gibt in Deutschland derzeit nur ganz wenige Briefdienstleister, die der Deutschen Post ernsthaft Konkurrenz machen können - und die sind zumeist an Verlage wie etwa die WAZ-Gruppe im Ruhrgebiet gebunden oder Ableger ausländischer Postgesellschaften. Die Pin AG ist der größte und einzige unabhängige, freifinanzierte Anbieter. Wir haben eine Bilanzsumme von 14 Millionen Euro. Aufgrund der strengen Lizenzvorschriften und des aufwendigen Geschäftsaufbaues sind wir bislang nur in den Bereichen Berlin und Leipzig tätig, wir wollen unsere Tätigkeit aber sukzessive weiter ausbreiten. Das Ende des Briefmonopols der Post wurde von der Bundesregierung von Januar 2003 auf 2007 verschoben. Erst dann wird sich in dem Bereich mehr Wettbewerb entwickeln können.

Sie verlangen nur 45 Cent für einen Brief, die Deutsche Post AG 55 Cent. Wie kann die Pin AG dennoch Gewinne erzielen?

Klapproth: Unser "Wasserkopf" ist vielfach kleiner als der der Post. Weit über 500 unserer 700 Mitarbeiter sind im operativen, produktiven Bereich tätig: als Zusteller, Teamleiter, Niederlassungsleiter und in der Produktion. Der Rest ist in der Verwaltung und in der Forschung und Entwicklung tätig. Unsere Zentrale liegt kostengünstig am Stadtrand in Berlin-Marzahn, unsere Büros sind keine Schlösser. Bitte vergessen Sie nicht, daß das bis 2007 andauernde Quasimonopol die hohen Portopreise der DPAG erst möglich macht. Dies spiegelt sich in den gewaltigen Gewinnen der DPAG wider.

Resultiert Ihr Preisvorteil nicht vor allem aus den niedrigeren Löhnen?

Klapproth: Unsere etwa 450 Postzusteller verdienen im Schnitt 1.500 Euro brutto im Monat. Das ist inzwischen branchenüblich. Der Verdienst der Zusteller der DPAG WorldNet liegt bei den aktuellen und vergleichbaren Tarifverträgen auch im Bereich von 1.500 Euro brutto. Somit befindet sich die Pin AG ungefähr auf Augenhöhe zur Deutschen Post. Mitarbeiter in der Nachtsortierung erhalten die gesetzlichen Zuschläge in Höhe von 25 Prozent. Wir haben eine 40-Stunden-Woche mit genau bemessenen Acht-Stunden-Touren pro Tag. Wir schaffen neue Vollzeitarbeitsplätze, die Post baut hingegen Stellen ab, gliedert ganze Bereiche an Subunternehmer aus. Wir übernehmen viele ehemalige Postmitarbeiter, die sonst arbeitslos wären. Wir stellen auch Leute ohne Berufsausbildung ein und qualifizieren sie. Natürlich kann man bei uns nicht über Nacht reich werden, aber unsere Mitarbeiter haben eine Perspektive. Fast alle Führungskräfte im Zustellbereich waren zuvor selbst als Zusteller tätig. Zu unseren Kunden zählt beispielsweise das SPD-PDS-regierte Land Berlin - und die haben uns mehrfach überprüft. Sie haben festgestellt, daß wir eine ordentliche Leistung kostengünstig anbieten - und trotzdem unseren Mitarbeitern vernünftige Arbeitsbedingungen bieten.

Gibt es in Ihrem doch recht großen Unternehmen überhaupt einen Tarifvertrag?

Klapproth: Ich kenne keinen privaten Postdienstleister, der tariflich gebunden ist. Die Pin AG hat einen eigenen Haustarif, und wir können uns im Moment weder ein Urlaubs- noch ein Weihnachtsgeld leisten. Wir haben schließlich keinen Großkonzern im Hintergrund oder sind ein ehemaliger Staatsbetrieb. Aber unser wichtigstes Kapital sind unsere qualifizierten Mitarbeiter, von ihrer Leistung und Motivation hängt unser Unternehmenserfolg ab. Schlechte Qualität und ständige Fluktuationen können wir uns nicht leisten - schon deshalb zahlen wir keine "Dumping-Löhne".

Der Pin AG wird vorgeworfen, ihr Betriebsrat sei eine "Marionettenveranstaltung des Vorstands". Was sagen Sie dazu?

Klapproth: Der erste Pin-Betriebsrat wurde von einem ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied (Herrn Steele, siehe JF 15/03) initiiert - unserer Ansicht nach aus rein persönlichen Motiven und um die Pin AG zu schädigen. Es kam damals zu unschönen Vorfällen, Filialen wurden verunstaltet, Mitarbeiter bedrängt und belästigt. Die Pin-Mitarbeiter verabscheuten damals dieses Vorgehen und leiteten deshalb die Gründung eines Betriebsrates ein. Aus diesem Grund kam es zu einer juristisch vollkommen sauberen Gründung eines neuen Betriebsrates, an der weder die Gewerkschaft Verdi noch die DHV etwas auszusetzen hatte. Seither laufen alle entsprechenden Entscheidungen über diesen Betriebsrat - dem übrigens auch zwei Verdi-Mitglieder angehören. Bei uns werden sämtliche Arbeitnehmerrechte gewahrt.

 

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