© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/03 20. Juni 2003

 
Wer länger lebt, ist besser dran
Geschlechterkampf: Der Militärhistoriker Martin van Creveld hat ein provozierendes Buch über die Stellung der Frauen in Geschichte und Gegenwart geschrieben
Günter Zehm

Die erste Pointe dieses Buches wird bereits auf dem Einband gezündet: Autor und Titel und Titelbild beißen sich (scheinbar) gegenseitig in die Weichteile. Martin van Creveld, "Das bevorzugte Geschlecht", dazu die Reproduktion eines knallbunten Gemäldes von Botero, eine übermollige nackte Schöne, die sich in ihrem Boudoir eifrig vor zwei Spiegeln räkelt.

Es geht hier also um "Gender Studies", Geschlechterfragen. Creveld aber ist Militärhistoriker und Militärtheoretiker, ein Schüler von Clausewitz, einer, der sich mit Sicherheit auf Kriegsschauplätzen besser auskennt als in Boudoirs. Wie kommt ein solcher Autor dazu, ein solches Buch zu schreiben, und noch dazu in solchem Umfang, ein Riesenopus, gleichsam das Gegenbuch zu Simone de Beauvoirs legendärem, ebenfalls höchst umfänglichem "Anderen Geschlecht"?

Doch die Sache hat schon ihre Logik. Seitdem in der Beauvoir-Nachfolge radikale Feministinnen die "Gender Studies" beherrschen und das geistige Klima dort prägen, all die Kate Millett und Germaine Greer und Alice Schwarzer, herrscht erklärter Krieg zwischen den Geschlechtern, wenigstens in den Büchern und Zeitschriften der Protagonistinnen. Es knallt und kracht, und die Szene ist erfüllt von Pulverdampf, der einen Überblick fast unmöglich macht. So etwas mußte eines Tages einen gelernten Militärhistoriker auf den Plan rufen.

Und um es gleich zu sagen: Creveld bleibt auch hier seinem exzellenten Ruf als Fachmann und Wissenschaftler treu, behält die Contenance in jeglicher Schreibsituation, faltet geduldig die jeweiligen Problemlagen auseinander, wühlt in alten und neueren Urkunden und anderen Dokumenten, vergleicht und wägt ab. Es geht ihm um Sachverhalte, um nichts anderes als Sachverhalte, die er faktenträchtig und in schlichter, genauer Diktion vor dem Leser ausbreitet.

Um so eindrucksvoller sein Resümee nach knapp fünfhundert Seiten. Die Frauen, so dieses Resümee, waren und sind in der Regel (und in der Gegenwart des Westens sowieso) nicht unterprivilegiert, wie die Feministinnen behaupten, sondern sie waren und sind in der Regel überprivilegiert, sie sind - so der englische Originaltitel des Buches - "The Privileged Sex". Die gegenteilige Perspektive, die ja hierzulande drückend dominiert, verdankt sich einzig weiblicher Dauerpropaganda, einem ewigen Klagen und Barmen, das sich durch die Jahrhunderte zieht und heute im Westen seinen schrillen Höhepunkt erreicht zu haben scheint.

Wenn es um Leben und Tod geht, gilt "Ladies first"

Creveld widmet diesem Klagen und Barmen der "armen Hascherl", die angeblich immer auf der Schattenseite des Lebens standen, ein eigenes Kapitel, mit dem der unvorbereitete Leser vielleicht die Lektüre beginnen sollte, obwohl es ziemlich weit hinten steht: "Das wehleidige Geschlecht". Die "Legenden" rücken ins Bild, mit denen die Feministinnen bei ihren historischen Rückblicken hausieren gehen: die Legende vom "elenden Los", das sie angeblich bei den alten Griechen, an der Wiege der abendländischen Demokratie, erdulden mußten, die Legende von den Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit, die sich angeblich allein gegen die Frauen richteten, die Legende von der Frauenverfolgung, die angeblich im "Dritten Reich" der deutschen Nationalsozialisten herrschte.

Andere Kapitel sind allgemein dem Verhältnis von Arbeit und Geschlecht gewidmet, dem Verhältnis von Krieg und Geschlecht, der verschiedenen Lebensqualität, die den Geschlechtern im Laufe der Zeiten zuteil wurde, ihrer verschiedenen Behandlung vor Gericht, ihrem verschiedenen Anteil an Mitgift und sozialer Sicherung. In keinem dieser Bereiche konnte oder kann davon die Rede sein, daß die Frauen da stets den kürzeren zogen, im Gegenteil, Creveld weist nach, daß sich unterm Strich ein eindeutiges Plus für die Frauen ergibt.

Sie hatten und haben es gemütlicher, sie leben beträchtlich länger als die Männer, sie müssen (mußten) viel seltener in den Krieg ziehen als diese, sie haben mehr Freizeit, mehr Gelegenheit, sich zu pflegen und zu konservieren, sie genießen schließlich viel mehr öffentliche und innerfamiliäre Rücksichtnahme. Und in sogenannten Grenzsituationen, wenn es um Leben oder Tod geht und die Devise "Rette sich, wer kann!" ausgerufen wird, gilt sowieso und unter allen Umständen: "Ladies first!"

"Der Mann arbeitet, und ich muß zu Hause sitzen", sagen manche modernen Frauen, "wo bleibt da die Selbstverwirklichung?" Aber ist das, was heute üblicherweise "Arbeit" heißt, denn wirklich die beste Voraussetzung für Selbstverwirklichung? Noch immer, sagt van Creveld, ist die weitaus verbreitetste, die repräsentative und offenbar von der Natur nahegelegte Sozialform die Familie: Mann und Frau leben als Paar zusammen, bilden "ein Haus" mit gemeinsamer Kasse, und es ist tatsächlich der Mann, der "auf Arbeit geht", während die Frau "zu Hause bleibt", sich um die Kinder kümmert und allenfalls einen Teilzeitjob übernimmt. Wie steht es bei dieser repräsentativen Konstellation mit der Selbstverwirklichung?

Zitat van Creveld: "Die Idee, wonach zur Selbstverwirklichung unbedingt die Arbeit gehöre, ist modern, aber deshalb noch lange nicht selbstverständlich. Laut Bibel wurde die Arbeit Adam - und nicht Eva - aufgehalst, und zwar als Strafe. (...) Für die Mehrheit der Männer bedeutet Arbeit etwas, das man tun muß, ob man will oder nicht. Arbeit bedeutet Zeitverschwendung mit stundenlangem Pendeln in irgendeine Fabrik oder irgendein Büro, ein ungeliebtes Tagwerk für einen Chef, den man nicht leiden kann, und für ein Gehalt, das gerade so zum Überleben reicht."

Und weiter: "Wie steht es dagegen mit dem Haushalt, der meistens der Frau obliegt? Zunächst einmal bietet die Besorgung und Überwachung des Haushalts die größte Sicherheit. Und sie bietet unter allen Berufen die größte Freiheit. Die Frau kann ihr eigenes Tempo festlegen, ohne daß ihr ein Chef über die Schulter guckt. Statistiken belegen, daß Hausfrauen mehr Freizeit als irgendeine andere Gruppe haben - Zeit, die sie zur Weiterbildung, für die Gartenpflege oder irgend etwas anderes, das ihnen Spaß macht, nutzen können."

Bleibt der Bereich der genuinen Politik, der Volksberatung, der Gesetzgebung, des Entscheidungtreffens über Angelegenheiten der Polis, des Stammes, der Nation, des Imperiums. Hier ist nun tatsächlich und für sämtliche Zeiten und Gesellschaftsformationen ein Übergewicht der Männer zu konstatieren, von Anfang an hieß es: "mulier in ecclesiam tacet", die Frau schweige in der Gemeinde!

Waren die Frauen aber deshalb politisch einflußlos? Davon, insistiert Creveld (und belegt es sogleich), kann überhaupt keine Rede sein. Was den Frauen an direkter Mitrede verwehrt wurde, das machten sie durch indirekte Einflußnahme wett und oft mehr als wett.

Frauen bauen das Nest und definieren die Heimat

Schon Nietzsche hat über diese Konstellation Erhellendes aufgeschrieben, und Creveld folgt ihm weitgehend. In vielen sogenannten primitiven Gesellschaften, bei den "Naturvölkern" und in den archaischen Hochkulturen, stand unsichtbar über der Ratsversammlung der (alten) Männer das Orakel der "weisen Frau", der Seherin, der Sibylle, die in ihrem Heiligtum thronte und zu der man sich aufmachte, um von ihr voller Respekt Anweisung und (Vor-)Urteil entgegenzunehmen. Dieser Brauch reichte bis hin zu Sokrates, der sich, wie man in Platons "Symposion" erfährt, mitten in der Blütezeit der "frauenfeindlichen" Polis von Athen zu der Seherin Diotima begab, um von ihr letzte, definitive Auskünfte über das Wesen des Glücks und der Erkenntnis zu erfragen.

Die türkischen Sultane waren in all den Jahrhunderten, in denen sie herrschten, von den Gebieterinnen des Harems mindestens so abhängig wie vom offiziellen Ratschlag ihrer männlichen We-sire. Auch die Reiche und Reichsstädte des germanischen Mittelalters wurden oft von Frauen zutiefst beeinflußt, wenn nicht gar regiert, von Kaisermüttern, Groß-Äbtissinnen, freien Beginen. Und in der scheinbar so exklusiv männlichen, angestrengt vollbärtigen Gesellschaft des industriell aufblühenden Westens war es wohl kaum anders. Die Vollbärte gingen abends nach Hause und bekamen von ihren Frauen die Leviten gelesen und die Lichter aufgesteckt. Die Literatur der Epoche, der Balzac und Maupassant, gibt darüber hinreichend Aufschluß. Es war eine Art Aufrüstung im Ehebett für die Strapazen des folgenden Arbeitstages, in den sich dann nur die Männer, nicht die Frauen stürzen mußten.

Die indirekte Teilnahme an der Herrschaft brachte für die Frauen, wie Nietzsche zeigt, viele Vorteile. Man entzog sich weitgehend der Verantwortung, wurde nicht zur Rechenschaft gezogen, wenn etwas schiefging, auch wenn man in Wirklichkeit führend daran beteiligt war. Man operierte allermeist aus der Deckung heraus und hatte, sofern man über Schönheit und Format oder beides verfügte, die Möglichkeit, ohne Gesichtsverlust die Fronten zu wechseln, sich auf die Seite der Sieger zu schlagen, sich dort zunächst als Beute vorzeigen zu lassen und später erneut Einfluß zu gewinnen. Noch heute gibt es für Frauen in führender Position kaum Karriereabstürze à la Möllemann, allenfalls Frontwechsel.

Bei alledem fragt sich der Leser des Creveld-Buches bald, wieso es eigentlich gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zum Geschlechterkrieg, zur "Suffragettenbewegung" gekommen ist, von "aufgeklärten", "emanzipierten" Frauen angezettelt. Und wieso im Gefolge der 68er-Bewegung des zwanzigsten Jahrhunderts dieser schier wahnwitzige Feminismus um sich griff, mit seinen Versuchen, die Geschichte der Menschheit total umzuschreiben, die Natur regelrecht umzubauen, mit seiner aggressiven und nur allzu schnell Schule machenden Verweigerung des Kinderkriegens und des Familienlebens überhaupt, mit seinen absurden Phantasien von Männermord und Amazonenherrschaft. Was ist da passiert? Und wie findet man da wieder heraus?

Van Creveld ist Historiker und Militärtheoretiker, ihn interessiert weniger das "Warum" als das "Wie", ihm geht es um die Offenlegung von realen Strategien und Taktiken mittlerer Reichweite. Das macht ihn und sein Buch sympathisch, reizt indes auch zur Fortschreibung über bloße Geschlechterforschung hinaus. Ganz offenbar steht der Geschlechterkrieg in engem Zusammenhang mit weiteren, noch umfassenderen Bewegungen der Epoche, ist Bestandteil und Ausdruck jener großen Gleichmacherei, Einebnung und Entsublimierung, die die Welt im Zeichen ungehemmter Profitwirtschaft, "wissenschaftlich" ausgedachter Globalkonzepte und um den Globus vagabundierender Finanzströme ergriffen haben.

Die Frauen sind in der Ordnung der natürlichen Arbeits- und Interessenteilung zwischen Mann und Frau an sich das beharrende, konservative Element, das Element der Differenz und der Innerlichkeit. Sie bauen das Nest und behaupten die Stellung, definieren die Heimat, machen ein Geheimnis aus ihr und verteidigen sie gegen zerstörende, alle Verhältnisse grell ans Licht zerrende Einflüsse von außen. In einer Zeit, die just das Grelle, Geheimnislose und überall Gleiche zum Prinzip und zur Meßlatte erhebt, geraten sie folglich mit ihren natürlichen Gaben ins Hintertreffen. Und sie reagieren darauf, indem sie überreagieren, indem sie gleichsam gänzlich von sich Abschied nehmen, um endlich "auch so wie die Männer" und sogar "besser, männlicher als die Männer" zu werden.

Spekulation auf das Kavalierstum der Männer

Das Suffragettentum und der Feminismus haben überall dort, wo sie siegreich waren, keine (im Sinne von Simone de Beauvor) "andere", nämlich spezifisch weibliche Kultur geschaffen, wie das etwa einst im Rokoko gelang, als sich die Männer wohl oder übel an den dominierenden weiblichen Stil der Epoche anpassen mußten, sondern was wir heute erleben, ist eine komplette Anpassung der Frauen an die Männerwelt, die sie okkupieren und übertrumpfen wollen und die sie dabei nur allzu oft ins Lächerliche und Degoutante hineintreiben. Symbol dafür ist etwa die rabiate Fernseh-Kommissarin in Lederklamotten, die auch noch die dicksten Kerle außer Gefecht setzt, indem sie sie brutal zwischen die Beine tritt.

Das gleichzeitige Gejammere über die "Unterprivilegierung" der modernen Frau, das Creveld so eindrucksvoll Lügen straft, ist nur die andere Seite des Kommissarinnentritts zwischen Männerbeine. Es spekuliert ungeniert auf das natürliche Kavalierstum der Männer, ihren Besitzer- und Beschützerinstinkt und auf ihren Sinn für Gerechtigkeit. Bisher ist man (frau) damit gut gefahren, die Männer haben kampflos, ganz gentlemanlike, eine Domäne nach der anderen geräumt, im Fernsehen gibt es beinahe nur noch weibliche Moderatorinnen. Aber wie lange wird es so weitergehen?

Nietzsche sagte schon vor über hundert Jahren voraus: Es wird nur so lange weitergehen, bis die Männer gemerkt haben, daß hinter den "neuen" Frauen gar kein Geheimnis mehr steckt, keine Verheißung mehr, keine Heimat mehr, nur noch nackte Konkurrenz, und zwar auf Gebieten, wo sie, die Männer, es auf jeden Fall besser können - wenn sie nur wollen. Und eines Tages, wenn die Dinge immer schlechter laufen, werden sie es eben auch wirklich wollen.

Es könnte freilich sein, daß sich bis dahin - mangels Familiengründung und Kindersegen - westliche Männlein und Weiblein schon selber ausgerottet haben. Neue Völkerschaften übernehmen dann den Laden, die über das Verhältnis der Geschlechter, ihre Privilegierung oder Unterprivilegierung, spontan besser Bescheid wissen als noch die gelehrteste Feministin und die auch das Buch von Martin van Creveld nicht extra gelesen haben müssen.

Foto: Lady Vera in ihrem Studio: Die Domina befriedigt Kundenwünsche auch mit Peitsche oder Teppichklopfer

Martin van Creveld: Das bevorzugte Geschlecht, Gerling Akademie Verlag, München 2003, gebunden, 492 Seiten, 29,60 Euro


 
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