© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/03 27. Juni 2003

 
Nur die Ungeduld der Wirtschaft wächst
Wirtschaftsrat I: Bekannte Vorschläge des CDU-Unternehmervereins werden im 40. Jubiläumsjahr heftiger vorgetragen
Bernd-Thomas Ramb

Es birgt kaum Neues, was der Wirtschaftsrat in seinen "12 Prioritäten für Deutschlands Wiederaufstieg zur erfolgreichen Wirtschaftsnation" entwickelt hat. Zweifellos gehen die dort erhobenen Forderungen in den überwiegenden Teilen weit über das zögerliche Maß der Bundestagsparteien hinaus. Neben den rigiden Kürzungsvorschlägen beispielsweise im Sozialbereich stehen aber auch Passagen, die weniger überzeugen. Dabei entsteht insgesamt der Eindruck, weniger (als zwölf Punkte) wäre mehr gewesen. Daneben stellt sich die Frage, was seit den Vorschlägen, die der Wirtschaftsrat im vergangenen Dezember unter dem Titel "7 Punkte für den Aufschwung" veröffentlichte, substantiell hinzugekommen ist.

Schon der erste der zwölf Punkte, immerhin an hervorgehobener Stelle plaziert, überzeugt wenig: Die Forderung "Staatsstruktur erneuern - Reformfähigkeit stärken" beschränkt sich substantiell auf den Vorschlag, die Zahl der Bundesländer zu reduzieren. Die dabei erhobene Forderung einer Aufhebung der "Mischfinanzierung" zugunsten erhöhter Steuerkompetenz der Gebietskörperschaften widerspricht der an anderer Stelle verlangten Abschaffung der Gewerbesteuer bei gleichzeitiger Anhebung der kommunalen Anteile an der Mehrwertsteuer. Bedenklich ist auch die Forderung einer "Entflechtung der Gesetzgebungskompetenzen". Da wäre der Wunsch nach Aufhebung der Länderhoheit ehrlicher gewesen.

Wie der Anfang erweist sich auch das Ende der Forderungsliste kaum als Knalleffekt. Eher wie eine lahme Ente wirkt das hehre Verlangen: "Leistung muß sich wieder lohnen! Eigeninitiative darf nicht länger durch Bürokratie und Bevormundung erstickt werden." Hier wird ebenfalls die exponierte Stellung in der Listung vertan. Zudem widerspricht der vollmundige Appell: "Deutschland braucht keine neuen Detailreformen, sondern eine grundlegende Neuorientierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik" genau dem, was in den zehn eingerahmten Punkten entwickelt wird: detaillierte Forderungen zur Reform des Arbeitsrechts, des Steuersystems, des Krankenversicherungswesens, des Rentensystems und des Bildungswesens sowie der EU-Politik. Die dort entwickelten Ideen gehören zu den erkennbaren Stärken des Wirtschaftsratkonzeptes.

Beispielhaft sind die Reformvorschläge zum Gesundheitswesen: Da werden kurzerhand die unterschiedlichen Ansätze von Regierung und Opposition zu einem Paket zusammengeschnürt: Einstieg in die kapitalgedeckte Eigenbeteiligung von zehn Prozent bis 2010 und insgesamt 30 Prozent bis 2030; Einführung sozialverträglicher Selbstbehalte von jährlich bis zu 500 Euro und die private Absicherung von Freizeitunfällen, des Zahnbereichs sowie des Krankengeldes. Verbunden mit dem Wunsch nach mehr Vertragsfreiheit und Wettbewerb für Ärzte, Apotheken, Kassen und Krankenhäuser errechnet sich der Wirtschaftsrat eine Senkung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung auf zehn Prozent.

Burschikos klingen auch die Vorschläge zur Reform der Arbeitslosenversicherung: Zulassung betrieblicher Bündnisse für Arbeit mit qualifizierter Mehrheit der Belegschaften, aber ohne Veto-Recht der Gewerkschaften; Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau und für erwerbsfähige, aber arbeitsunwillige Empfänger Kürzung um 30 Prozent; beim Arbeitslosengeld die Einführung eines Karenzmonats und die Kürzung der Bezugsdauer auf international übliche 12 Monate; Anhebung der gesetzlichen Kündigungsschutz-Schwelle nicht nur für Neueinstellungen, sondern für alle Arbeitnehmer in Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten; Vereinfachung der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen, um Leistungsträger im Unternehmen halten zu können.

Bei dieser Rauhbeinigkeit muß der Wirtschaftsrat mit dem wütenden Aufschrei der Gewerkschaften sowieso fest rechnen. Da verwundert die Milde, die den Arbeitnehmervertretern bei den Vorschlägen zur Reform der Mitbestimmung entgegengebracht wird. Unter der besänftigenden Überschrift "Mehr Effizienz in der deutschen Mitbestimmung" wird lediglich ein Wahlrecht der Unternehmen, sich für paritätisch besetzte Aufsichtsräte zu entscheiden, sowie die Verkleinerung der Aufsichtsräte von Unternehmen auf die Hälfte gefordert. Äußerst bedenklich ist dagegen der unter diesem Punkt versteckte Wunsch nach einer Option, auf die strikte Trennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu verzichten.

Die Themen "Abbau der Staatsschulden" und "Senkung der Steuern" wirken etwas müde abgehandelt. Es wird nicht so recht klar, wie beides unter einen Hut zu bringen ist. Eine hier dringend angebrachte Vorschlagsliste zur Streichung der Staatssubventionen fehlt. Lediglich im umweltpolitischen Abschnitt wird zaghaft eine "Rückführung" der Steinkohle-Subventionen angesprochen. Zum Thema Renten wiederholt der Wirtschaftsrat bekannte Ansätze: Anhebung des Rentenalters und Ausbau der privaten Vorsorge. Wiederholung des aktuellen Stands gilt weitgehend auch für die restlichen Punkte.

Kurzum: wenig Neues, viel Bekanntes. Das Hauptproblem ist nun auch nicht die Entwicklung neuer Reformansätze, sondern die politische Realisation. Der Präsident des Wissenschaftsrates bemerkte dies treffend: "Es ist eine Schande, daß ein führendes Industrieland von wirtschaftlichen Dilettanten geführt wird, denen die großen Industrieverbände auch noch Beifall klatschen, wenn sie unzureichende Reformen ankündigen. Heute spendet die Gesellschaft Beifall für Minimalprogramme und bestraft mit Anerkennungsentzug diejenigen, die den Mut zur Wahrheit haben."


 
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