© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/03 27. Juni 2003

 
Kampf gegen einen sperrigen Brocken
Karl-Heinz Schmicks beachtenswerte Studie kritisiert auch Reemtsmas Neufassung der Wehrmachtsausstellung in weiten Teilen entlarvend
Stefan Scheil

Mit einer Kritik an der Neufassung der Wehrmachtsausstellung macht man sich wenig Freunde. Dies mußte auch Karl-Heinz Schmick, Lehrer aus Berlin, erfahren, der sich in einer auf zwei Bände angelegten Studie mit diesem Produkt des Hamburger Instituts für Sozialforschung befaßt hat und wegen dieser Veröffentlichung sogar berufliche Nachteile erleiden mußte.

Zunächst ist festzustellen, daß Schmick sich viel vorgenommen hat. Allein vom Umfang her ist die neue Ausstellung des Reemtsma-Instituts ein sperriger Brocken, und eine Kritik an den vielen Einzelpunkten wird in jedem Fall zur aufwendigen Angelegenheit. Der Autor nähert sich ihr von der Basis her, beginnt mit kurzen biographischen Anmerkungen zu den Mitarbeitern des Instituts, fährt mit einem Rückblick auf die alte Ausstellung fort und geht dann zu einer stattlichen, gut 140seitigen Liste mit "alten und neuen Fehlern" über.

Dabei schießt er gelegentlich im Tonfall über das Ziel hinaus und liegt sachlich nicht immer richtig. Das gilt beispielsweise für manche Vermutung über gefälschte Dokumente. Sehr oft trifft er jedoch ins Schwarze und kann die Verkürzungen und merkwürdige Argumentation der Aussteller aufzeigen. Die Belagerung Leningrads etwa und die Begebenheiten in Lemberg, Lubny, und Dubno erweisen sich nicht als "Verbrechen der Wehrmacht". An anderen Stellen tritt Schmick den Ausstellern allerdings mit nicht ganz treffenden Mitteln entgegen, so etwa beim "Reichenau-Befehl".

Generalfeldmarschall von Reichenau, der im Polenkrieg scharf gegen Ausschreitungen gegenüber der Zivilbevölkerung protestiert hatte und über den Goerdeler-Kreis phasenweise auch Kontakte zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus unterhielt, hat 1941 einen Befehl erlassen, der schon in den Nachkriegsprozessen eine Rolle gespielt hat. Reichenau beklagte darin ausdrücklich die viel zu sorglose und gutmütige Haltung der Wehrmachtssoldaten gegenüber der Zivilbevölkerung, die dem sowjetischen Partisanenkrieg Tür und Tor öffne. Er forderte dann ausdrücklich, deutsche Soldaten hätten Verständnis dafür zu haben, wenn "artfremde Heimtücke und Grausamkeit" ausgerottet würde. Es gehe darum, das "deutsche Volk von der asiatisch-jüdischen Gefahr ein für allemal zu befreien". Die Tötung von Menschen forderte er nicht.

Die Aussteller halten dies dennoch für so bedeutsam, daß sie Reichenaus Text gleich viermal an verschiedenen Stellen abdrucken. Hier soll nun also die Nähe der Wehrmacht zum NS-Regime anschaulich und beweisbar geworden sein. Schmick meint dagegen, das Dokument als Fälschung entlarvt zu haben. Er verweist darauf, daß es kein einziges Papier gibt, auf dem Reichenau unterschrieben hätte, und betont die formalen Fehler der vorliegenden Exemplare. Tatsächlich muß man jedoch bezweifeln, ob der Text eine solche Aufregung überhaupt wert ist. "Das klingt auch nicht anders als das Zeug, was wir 1944/45 herausgaben", schrieb Sir Reginald Paget, Jurist der englischen Krone und Mitglied des Parlaments für die Labour-Partei im Jahr 1949, während er als Verteidiger des Generalfeldmarschalls von Manstein agierte. Der Reichenau-Befehl ist das Produkt einer radikalen Auseinandersetzung mit dem Gegner, er ist ein Dokument demonstrativer Linientreue und Freund-Feind-Definitionen, wie sie im totalitären Zeitalter nicht selten vorkamen.

Reichenau war daher kein nationalsozialistischer Einzelgänger in der Wehrmacht, wie Schmick meint, noch ein typischer soldatischer Überzeugungstäter, wie ihn die Aussteller darstellen wollen. Er hatte sich mit seinen Kontakten zum Widerstand verdächtig gemacht und wurde keine Woche vor dem Erlaß des Befehls von der polnischen Untergrundbewegung öffentlich zum Haupt des Widerstands gegen Hitler erklärt. Sein Befehl ist kein Dokument verbrecherischer Neigungen der Wehrmacht, eher ein Ausdruck der Zwangslagen, in die sich ihre Soldaten immer wieder gebracht sahen. Es bleibt zu hoffen, daß dies in der Diskussion zunehmend mehr Berücksichtigung finden wird.

Foto: Oberkommando des Heeres 1941: Generalfeldmarschall Walter v. Reichenau (r.) im Gespräch mit dem Oberbefehlshaber Generalfeldmarschall Walther v. Brauchitsch (l.) und Generaloberst Ewald v. Kleist (M.)

Karl-Heinz Schmick: Alter Wein in neuen Schläuchen? Eine erste Annäherung an die neue Wehrmachtsausstellung. Ludwigsfelder Verlagshaus, Ludwigsfelde 2002, 261 Seiten, 19 Euro


 
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