© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/03 04. Juli 2003

 
Islam
Abschied der alten Europäer
Dieter Stein

Die Debatte um das Erscheinen des Buches "Der Krieg in unseren Städten" von Udo Ulfkotte hat den Vormarsch des Islam in Europa und Deutschland auf die politische Tagesordnung gesetzt. Mit einer Serie von Prozessen wurden Autor und Verlag seitens mehrerer islamischer Organisationen überzogen (die JF berichtete), die sich zu Unrecht in eine extremistische Ecke gedrängt fühlen. Parallel dazu macht die Verfassungsbeschwerde einer moslemischen Lehrerin Schlagzeilen, die für sich das Recht erstreiten möchte, an einer staatlichen Schule mit Kopftuch zu unterrichten.

Es wird nun offenkundig: Deutschland kämpft wie mehrere andere europäische Länder nicht nur mit einer konjunkturellen Krise und einer Krise der Sozialsysteme. Deutschland muß nicht nur einen gigantischen demographischen Schrumpfungsprozeß verkraften, der die Überalterung unserer Gesellschaft beschleunigt. Gleichsam in einer Zangenbewegung schreitet parallel zum demographischen Niedergang der autochthonen Völker Europas durch Zuwanderung eine soziale und ethnische Umwälzung ungekannten Ausmaßes voran. Da die maßgebliche Zuwanderergruppe in Deutschland die Türken sind (in Frankreich Algerier, Tunesier, Marokkaner), bedeutet dies auch eine religiöse Akzentverschiebung in einem Kulturkreis, der christlich-säkular geprägt ist.

Die Trennung von Religion und Staat ist ein Ergebnis der europäischen und deutschen Geschichte. Die Lehren aus dem religiösen Dreißigjährigen Bürgerkrieg des 17. Jahrhunderts sind konstitutives Element der deutschen Identität. Noch heute, 300 Jahre danach, wird von Müttern an der Wiege gesummt: "Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg, die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt ..." Wir haben das Politische des Religiösen bis zur Neige ausgekostet, wir haben konsequenterweise deshalb historisch das Religiöse weitestgehend ins Private verbannt.

Nun dämmert in der Gestalt des Islam eine neue Religiosität in Europa herauf, die ethnisch und sozial aufgeladen ist. Dieser Islam, der seine Vitalität auch daraus zieht, daß er sich auf Ethnien stützen kann, deren demographische Entwicklung positiv ist, trifft nun auf ein durch und durch säkulares Europa, das sich obendrein immer schneller demographisch und geistig auf sein Altenteil zubewegt. Kurz: Der Islam erhält seine Dynamik in Europa daraus, daß er auf ein geistig-religiöses Vakuum trifft.

Deshalb kann man den in Deutschland lebenden Moslems ihre religiöse Bindung und ihr Festhalten an kulturellen Identitäten als letztes vorwerfen. Der Vorwurf wendet sich gegen die "alten Europäer": Sie sind auf dem Rückzug, und sie wissen immer weniger, was das Vitale ihrer Identität ist. Der im Gegenzug auf dem Vormarsch befindliche Islam wirft hingegen die Frage auf, welche Zukunft und welche Kraft die alten europäischen Traditionen und Bindungen überhaupt noch besitzen. Die Geschichte wird die Antwort liefern, ob wir vor einem Untergang oder einer Renaissance Europas stehen.


 
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