© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/03 11. Juli 2003

 
Was ist deutsch?
Warum wir so schnell beleidigt sind und uns die Meinung des Auslands so wichtig ist
Silke Lührmann

Indem er sich gegen Silvio Berlusconis Nazi-Diffamierung wehrte, bediente der SPD-Europaparlamentarier Martin Schulz dummerweise ein anderes weitverbreitetes Klischee: das des Überempfindlichen, ewig Eingeschnappten, der keinen Spaß versteht. Der Deutsche als beleidigte Leberwurst ist den europäischen Nachbarn mindestens so unsympathisch wie die arische Bestie, die der Hollywood-Film populär gemacht hat.

Während El Mundo (Madrid) die einstimmige Kritik deutscher Zeitungen an Berlusconis angeblich ironisch gemeinter Äußerung als "sehr harsch" bezeichnete, warb Le Monde (Paris) bei seinen Lesern um Verständnis dafür, daß "jede Erwähnung des Nationalsozialismus in Deutschland immer noch heikel ist". La Stampa (Turin) räumte ein, Berlusconis Ironie sei so "verquer" gewesen, daß "sie kaum mehr als solche zu verstehen war". Ein Scherz könne "alles kaputtmachen". The Daily Telegraph (London) erging sich in Anzüglichkeiten: "Eine dümmere, unangemessenere Bemerkung könnte man sich kaum vorstellen. ... Der superbrave Sozialdemokrat Martin Schulz hätte nie und nimmer das Zeug zum KZ-Wärter gehabt. Er ist einer dieser modernen Deutschen, die so liberal und friedliebend sind, daß wir dagegen alle wie Kriegstreiber aussehen."

Strammer Nazi ist der Deutsche von heute, wie ihn die Weltöffentlichkeit vor allem aus dem Urlaub, der Werbung und Sportberichterstattung kennt, beileibe nicht, eher schon beleibt, ein Jammerlappen und schlechter Verlierer - das gilt für beide Weltkriege ebenso wie für das legendäre Weltmeisterschaftsfinale gegen England von 1966. Seither spielt er Fußball zum Einschlafen, trägt aber am Ende trotzdem den Titel davon. Wen wundert's, daß die Presse von Manchester bis Mailand jedesmal schärfstes Rhetorik-Geschütz auffährt, wenn eine deutsche Mannschaft gegen eine einheimische antritt - und daß noch im fernen Neuseeland ein Zeitschriftenkolumnist die letztjährige WM zum Anlaß nahm, "darüber nachzusinnen, warum ich die Deutschen so hasse".

Der zeitgenössische Deutsche wartet, bis die Fußgängerampel grün wird, auch wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist. Im Sommer auf Ibiza steht er in aller Herrgottsfrühe auf - um nicht etwa den Sonnenaufgang zu genießen, sondern die besten Plätze am Strand zu belegen. Mal bierernst, mal bierselig ist er und hat obendrein die unappetitliche Angewohnheit, splitternackt in die Sauna zu gehen: Auch dies war der britischen Boulevardpresse während der Europameisterschaft 1996 einige Schlagzeilen wert.

Nicht daß zum Beispiel die Franzosen in der Sun oder im Daily Mirror besser wegkämen, im Gegenteil. Im Zuge ihres Widerstands gegen den Irak-Krieg, der Auseinandersetzung um das Flüchtlingslager Sangatte und der Blockaden und Streiks, die den Inselbewohnern die gewohnten Tagesausflüge nach Calais verderben, um sich dort mit billigem Alkohol einzudecken, mußten sie wieder einmal wüste Beschimpfungen über sich ergehen lassen - ähnlich wie die Spanier wegen der Fischereirechte im Atlantik. Aber weil die Franzosen und die Spanier selber wissen, wer sie sind, scheren sie sich weniger darum, was man im Ausland von ihnen hält.

Deutschland, diagnostizierte die Botschaft in London folgerichtig, hat ein Imageproblem. Das ist nicht ganz dasselbe wie mangelndes nationales Selbstbewußtsein, aber immerhin. Geschlagene 17 Prozent aller 16- bis 25jährigen Briten mögen die Deutschen nicht, ermittelte eine Umfrage im Auftrag von Goethe-Institut und British Council. Als Gründe nennen sie Rechtsextremismus, schlechte Manieren und Humorlosigkeit. Etwa die Hälfte der Befragten gab an, wenig über Deutschland zu wissen. Wenn andererseits überhaupt etwas Deutsches auf der Insel "cool" und "trendy" ist, dann das Dritte Reich. "Englische Schüler finden Hitler sexy", berichtet Ulrich Sacker, Leiter des Londoner Goethe-Instituts. "Achtung" und "verboten" sind kultige Vokabeln, Hakenkreuze schon seit der Punk-Ära in den 1980ern angesagte Accessoires jugendlichen Rebellentums.

Zur Bekämpfung des schlechten Rufs verordnet Sacker eine PR-Kur. Eine Initiative namens "Creative Capital Foun-dation", die ausgerechnet am Mittwoch, dem 2. Juli zum ersten Mal tagte - dem Datum von Berlusconis Ausfall gegen Schulz -, soll mit Hilfe von Marketing-Experten Strategien erarbeiten, die "Marke Deutschland" attraktiver zu präsentieren. Positive Identifikationen müssen her. Pech nur, daß Firmen wie Jil Sander, Hugo Boss oder Escada wiederum "Millionen dafür aus(geben), nicht als deutsch, sondern als europäisch wahrgenommen zu werden", wie die Berliner Zeitung anmerkt. Das ebenfalls zu Rate gezogene Model Nadja Auermann dagegen wäre "sofort bereit, als Kulturbotschafterin aufzutreten".

Was können wir den Vorurteilen in der internationalen Wahrnehmung entgegensetzen, auf welche Errungenschaften will man als Deutscher stolz verweisen? Unsere Autos und, wenn's hochkommt, Auermanns Kollegin Claudia Schiffer. Den Vorsprung durch Technik haben wir längst preisgegeben, und mit Frauen, die von Beruf Blondine sind, können sich auch andere Länder brüsten.

Die Flucht nach Europa wird uns vorerst nicht retten. Unter europäischer Kultur versteht man - gerade aus britischer Sicht - nach wie vor Butterberge und Brüsseler Bürokratie. "Willkommen bei den im Haß Ver-EUnten Nationen!" höhnte der Daily Mirror ob des Berlusconi-Eklats: "Man kann von Silvio Berlusconi halten, was man will - wenigstens sorgt er dafür, daß Europa unter seiner Ägide Spaß macht. Gerade waren wir vollkommen angeödet von der Endlosdebatte über den Euro, da kommt der italienische Premierminister und zerschneidet die Langeweile wie einen Parmaschinken. ... Doch Hand aufs Herz: Wer von uns wäre in einer Rauferei mit einem Deutschen - egal, worum es geht - nicht versucht, jene geringfügige Nebensächlichkeit des Zweiten Weltkriegs aufs Tapet zu bringen?"

Gegen einen derart massiven Wall von Stereotypen werden ein paar noch so gewitzte neue Vermarktungskonzepte wenig ausrichten. Freilich möchte man hinzufügen: Wer von uns Deutschen ist - Hand aufs Herz - nicht versucht, sich zu ducken, sobald irgendein Raufbold den Zweiten Weltkrieg aufs Tapet bringt? Wie so vieles beginnt eben auch die Imagepflege in den eigenen Köpfen.

Deutschland hat mehr zu bieten als den Nationalsozialismus und wichtigeres als den Ballermann. Aber solange wir daran selber nicht recht glauben, wird es kaum gelingen, andere zu überzeugen. So lange muß unsere schändliche Vergangenheit faszinierender bleiben als die biedere Gegenwart.

 

Foto: Gerhard Polt in "Man spricht Deutsch" (1987) in Italien: Deutsche als Jammerlappen und schlechte Verlierer


 
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