© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/03 11. Juli 2003

 
"Hemdsärmliges Verhalten"
Der Sicherheitsexperte Dieter Stockfisch über den Diebstahl der Rosenholz-Datei als Verletzung der Souveränität der Deutschen
Moritz Schwarz

Herr Stockfisch, 1990 haben die USA die geheimen Dateien des IM-Personals des Ministeriums für Staatssicherheit an sich gebracht. In der deutschen Presse wurde diese Tatsache nach Bekanntwerden überwiegend achselzuckend zur Kenntnis genommen. Handelt es sich aber nicht um einen Anschlag auf unsere Souveränität?

Stockfisch: Durchaus, allerdings gilt es zu bedenken, daß wir zu diesem Zeitpunkt im völkerrechtlichen Sinne noch nicht ganz souverän waren, im Osten stand noch die Rote Armee und noch war Deutschland nicht wiedervereinigt, sprich die Souveränität der Bundesrepublik reichte genaugenommen nur bis zur Elbe, noch nicht bis zur Oder. Dennoch, diese Daten dokumentieren das Wirken der Stasi in DDR und Bundesrepublik, also in Deutschland, und sind damit ein Kapitel deutscher Geschichte, über das die USA derzeit besser Bescheid wissen als wir selbst. Insofern gebe ich ihnen recht, es handelt sich um eine gewisse Mißachtung der Souveränität der Deutschen.

Hätte man nicht zumindest eine Zusammenarbeit der Amerikaner mit dem Bundesnachrichtendienst erwarten können?

Stockfisch: Aber natürlich, immerhin betrachten sich unsere Nationen als Verbündete, und der BND stand bis 1989 "hautnah" in Auseinandersetzung mit MfS und HVA. Einerseits hat sich die CIA wie ein guter Geheimdienst verhalten, sie war im entscheidenden Moment zur Stelle und hat wichtige Informationen für die USA gesichert - und da kann man nur sagen: tüchtig! tüchtig! Andererseits hat sie die politische Dimension dieses hemdsärmeligen Verhaltens einfach ignoriert.

Welches Interesse haben denn die USA an den Daten gehabt?

Stockfisch: Es waren immerhin wohl mindestens 11.000 Agenten in Westdeutschland für die Stasi tätig, und die haben natürlich nicht nur westdeutsche Belange ausgekundschaftet, sondern ebenso Personal und Einrichtungen der Nato, sprich auch der US-Armee. Es ist also schon verständlich, wenn die USA diese Daten auch als von Belang für ihre nationale Sicherheit sehen.

Also haben die USA rein defensiv gehandelt?

Stockfisch: Nicht allein defensiv, auch offensiv. Denn natürlich werden sich die USA auch mit den Daten beschäftigt haben, die ihnen Interessantes über die deutschen Belange verraten. Man darf nicht vergessen, daß wir zwar sicherheitspolitisch Partner sein mögen, wirtschaftlich aber Konkurrenten sind. Denken Sie nur an die Handelsstreitigkeiten zwischen der EU und den USA. Wenn auch noch nicht klar ist, ob und was die Daten diesbezüglich verraten. Die CIA hatte die Daten zehn Jahre lang für sich behalten, bevor die Informationen peu à peu an Deutschland zurückgegeben wurden. Zehn Jahre ist eine lange Zeit, und da kann man schon nachdenklich werden.

Die Presse spricht dieser Tage überwiegend unkritisch von einer "Rückgabe", dabei haben wir mitnichten die originalen Unterlagen zurückerhalten, sondern lediglich digitalisierte Photographien des Materials. Und wir mußten mit der Analyse überdies brav warten, bis es den USA jetzt gefiel, die Geheimhaltung aufzuheben. Die gestohlenen Originale halten die Amerikaner weiterhin unter Verschluß.

Stockfisch: In der Tat, damit können wir nicht zufrieden sein, zumal auf den Kopien Teile der Originaldaten fehlen, wir bekommen also nur das zu sehen, was uns die Amerikaner zu sehen erlauben. Das ist nicht akzeptabel. Offenbar ist aber das politische Interesse an den kompletten Daten bzw. einer Rückgabe der Originale nicht sehr groß. Wir müssen erst langsam lernen, eigene nationale Interessen zu formulieren.

Was veranlaßt Sie zu diesem schwerwiegenden Verdacht?

Stockfisch: Das bisherige Procedere. Zudem hätte unsere Regierung andernfalls doch durchaus auch einmal ein öffentliches Signal geben können. Beispiel Beutekunst.

Warum hat sie kein Interesse?

Stockfisch: Darüber kann man nur spekulieren.

Haben die Amerikaner eventuell Ex-Stasi-Agenten übernommen?

Stockfisch: Das ist bei allen Geheimdiensten gängige Praxis.

Das heißt, statt im Dienste der Stasi agieren einige ehemalige Agenten nun im Dienste der CIA gegen Deutschland?

Stockfisch: Das halte ich für weniger wahrscheinlich, vermutlich hatte es die CIA eher auf HVA-Agenten in der Dritten Welt abgesehen - die Stasi operierte schließlich nicht nur in der BRD. Aber natürlich spionieren die USA - unabhängig von Rosenholz - in Deutschland.

Spioniert Deutschland auch in den USA?

Stockfisch: Nicht daß ich wüßte.

Also muß der BND noch lernen, nachzuziehen?

Stockfisch: Angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, der wir gemeinsam entgegensehen, würde ich mir statt dessen lieber eine gleichberechtigte Zusammenarbeit wünschen.

 

Dieter Stockfisch der Kapitän zur See a.D., geboren 1940 in Hannover, diente von 1989 bis 1993 als Chefplaner für Sicherheitspolitik im Nato-Hauptquartier Europa-Nord in Oslo. Heute ist er freier Journalist für Sicherheitsfragen und maritime Angelegenheiten.

 

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