© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/03 11. Juli 2003 |
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Jeder wünscht sich, was er nicht hat Globalstudie: Eine US-Studie untersuchte in 50 Ländern die Einstellungen zu wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Fragen Ronald Gläser Die Welt ist fasziniert von amerikanischer Technologie. Diese und andere Erkenntnisse stam-men aus einer Studie des "Pew Global Attitudes"-Projekts. Neben politischen Ansichten (siehe JF 27/03) wurde unter der Schirmherrschaft von Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright auch nach den Meinungen zu unterschiedlichsten wirtschaftlichen und sozialen Aspekten gefragt. Dabei wurde unter anderem die Akzeptanz von Gewerkschaften unter die Lupe genommen. In den westlichen Industrienationen billigen ihnen durchgängig knapp zwei Drittel der Menschen einen positiven Einfluß zu. In Deutschland sind Gewerkschaften mit 65 Prozent Zustimmung ziemlich beliebt. Der Ausreißer nach unten ist Italien, wo nur 38 Vorteile in der Existenz von Gewerkschaften erkennen können. In Osteuropa und im Nahen Osten treffen Arbeitnehmervertretungen ebenfalls auf weniger Gegenliebe als in den westeuropäischen Industriestaaten. Am höchsten werden sie in Vietnam (92 Prozent) und am niedrigsten in Argentinien (zwölf Prozent) bewertet. Ebenso ernten multinationale Konzerne gute Noten. Zwar nimmt der Zuspruch zu Firmenkonglomeraten tendenziell mit der Armut der Länder ab, jedoch gibt es sehr arme Völker, die sehr positiv über Konzerne denken, so zum Beispiel im Senegal. Anerkennung wird auch internationalen Organisationen wie Weltbank und IWF gezollt, nur im Nahen Osten und in Argentinien ist man auf diese Institutionen sehr schlecht zu sprechen. Anders verhält es sich mit den Globalisierungsgegnern. Diese sind den meisten Menschen in Afrika sowie in Asien und Lateinamerika der Mehrheit unbekannt. In Europa steht Frankreich mit 44 Prozent an der Spitze der Länder, in denen höhere Zustimmungsraten existieren. In Italien haben die Ausschreitungen von Genua 2001 den Globalisierungsgegnern jedoch ein schlechtes Image verschafft. Auf jedes Positivurteil kommen zwei negative Bewertungen (54 gegen 27 Prozent). Europäer sprechen sich eher für die Abgabe nationaler Souveränität aus als Amerikaner. Während in Frankreich noch 54 Prozent für die Unabhängigkeit ihres Landes eintreten, sind Deutsche und Briten zum Beispiel in Umweltfragen bereit, sich supranationalen Instanzen zu unterwerfen. Bei der Frage nach dem internationalen Gerichtshof sprechen sich nur 37 Prozent der Amerikaner dafür aus, daß dieser über ihre Soldaten urteilen dürfe. In Rußland bejaht dies sogar nur ein Drittel. Die Briten sind unentschieden. Franzosen (71 Prozent) und Deutsche (65 Prozent) führen die Liste derjenigen, die ihre Soldaten auszuliefern bereit sind. Vor allem Afrikaner fürchten um ihre Traditionen. Doch auch in den westlichen Ländern überwiegt die Angst vor dem Verlust der nationalen Eigenheiten. Konsumerismus und Kommerz werden als Hauptgegner der Traditionen angesehen. Allerorts weit verbreitet ist die Ansicht der Menschen, ihre Kultur wäre anderen überlegen, müsse aber vor Einfluß von außen geschützt werden. An der Spitze liegen Indien, Südkorea und Indonesien. Jordanien ist das einzige Land, dessen Volk seine eigene Kultur als minderwertig betrachtet. "Unser Volk ist nicht perfekt, aber höherwertiger als andere" - der Aussage stimmten 60 Prozent der US-Amerikaner, 55 Prozent der Italiener, 40 Prozent der Deutschen und 37 Prozent der Briten zu. In der Hälfte aller Länder überwiegt die Ansicht, daß es Nachbargebiete gibt, die zu ihrem Land gehören. In Polen sehen dies 59 Prozent so, in Deutschland immerhin jeder Dritte. In Japan sind es 50 und in Südkorea 63 Prozent. Den größten Schmerz über Gebietsverluste meinen jedoch die Inder (73 Prozent), Pakistanis (67 Prozent) und Libanesen (71 Prozent) verschmerzen zu müssen. Ältere Menschen in den Industrienationen haben - was wohl kaum überrascht - eine ablehnendere Haltung gegenüber dem modernen Leben. So stoßen "Fast Food" und Fernsehen bei Jüngeren, besser Ausgebildeten auf eine höhere Akzeptanz als bei ihnen Eltern und Großeltern. Überraschend ist dagegen folgender Punkt: Verhütung und Abtreibung werden in alternden Industrienationen zunehmend als Problem angesehen. In Deutschland äußerten sich nur 47 Prozent positiv. In Italien, das eine noch niedrigere Geburtenrate aufweist, sind es nur 41 Prozent. In Japan, dem alternden Volk schlechthin, sehen nur noch 31 Prozent Geburtenkontrolle als Vorteil an. Auch nach der Einstellung zu ethnischen Minderheiten wurde gefragt. Dabei wurde klar, daß große Mehrheiten in Westeuropa sich für sicherere Grenzen einsetzen, weil sie sich bedroht fühlen. Selbst in Osteuropa herrscht eine vergleichbare Stimmung. Deutschland bildet die Spitze der Länder, deren Bevölkerung sich weiterer Zuwanderung widersetzt. 59 Prozent sagten, daß Menschen aus Nordafrika und dem Nahen Osten "schlecht für ihr Land" seien. In Ländern wie Japan oder Südkorea, wo kaum Wanderungsbewegungen stattfinden, bestehen die geringsten Sorgen wegen unsicherer Grenzen. Hinsichtlich der Türken überwiegen bei Deutschen leicht positive Ressentiments: 41 Prozent nennen ihren Einfluß schlecht, 47 Prozent gut. Insgesamt ist die Stimmung für höhere Restriktionen bei der Einwanderung seit 1991 gestiegen - außer in Deutschland und in Italien, wo sie sich etwas beruhigt hat. Mobilfunk und Internet werden weltweit als große Vereinfachung des Lebens angesehen. Dies gilt sogar für Länder wie Bangladesch (96 Prozent Zustimmung) und Vietnam (92 Prozent Zustimmung), wo nur jeder Zehnte ein solches Gerät oder einen Zugang besitzt. Aber es gibt auch einen harten Kern, der in den USA sogar ein Viertel aller Befragten ausmacht, der Mobiltelefone ablehnt. Auch das elektronische Weltnetz wird von 20 bis 25 der Menschen als Verschlechterung angesehen. Die Menschen sind scheinbar überall mit dem unzufrieden, wovon sie am meisten haben: In Japan, wo die neue Generation von Mobiltelefonen weit verbreitet ist, sagen 37 Prozent, daß es zu viele neue Handy-Technologien gäbe. 44 Prozent lehnen sogar das Fernsehen ab, obwohl gerade in Japan ständig der Kasten flimmert. Dagegen wünschen sich Afrikaner mehr Fernsehgeräte. Bei Frauen überwiegt mehr als bei Männern überall die Ablehnung von genmanipulierten Nahrungsmitteln. Während in Amerika nur die Hälfte der Menschen Vorbehalte hat, lehnen in Frankreich fast 90 Prozent der Einwohner genmanipulierte Nahrung ab. Gefragt nach Gott, gaben die meisten Menschen an, daß es wichtig sei, an eine höhere Instanz zu glauben. Kanadier und Europäer, Ost wie West, halten es jedoch für möglich, sich ohne Glauben an Gott moralisch zu verhalten. Die US-Bürger sind sehr viel gläubiger als die Menschen in anderen westlichen Industrienationen. Ähnlich verhält es sich mit der Akzeptanz von Homosexualität. Im Mittleren Osten und in Afrika bestehen starke Vorbehalte gegenüber dieser Lebensweise. Auch Russen, Polen und Ukrainer lehnen Homosexualität strikt ab. Im restlichen Europa überwiegt die Bereitschaft, Homosexualität zu akzeptieren. Dasselbe gilt für die weitgehend strenggläubigen Lateinamerikaner. Die US-Bürger sind jedoch gespalten, wobei eine kleine Mehrheit Homosexualität billigt. Die übergroße Mehrheit in 41 Ländern wünscht sich auch eine veränderte Rolle der Frau. Nur in Pakistan, Ägypten und Jordanien wurde mehrheitlich die Auffassung vertreten, Frauen sollten zu Hause bleiben und die Erziehung der Kinder weitgehend alleine übernehmen. Die globale Meinungsumfrage wurde in fünfzig Staaten durchgeführt, darunter auch die Palästinensergebiete im Nahen Osten. Befragt wurden pro Gebiet in der Regel 500 volljährige Personen. In den USA waren es sogar 1.500, in Deutschland, Frankreich und Großbritannien jeweils 1.000. In Pakistan waren es 800 und in Südafrika 700. |