© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/03 25. Juli / 01. August 2003

 
Familienwahlrecht
Kinder an die Macht
Dieter Stein

Nicht immer sind die Themen so bedeutungslos, die das sagenumwobene "Sommerloch" zur Zeit als Füllmaterial gebiert. Da taucht unvermittelt der Komplex Bevölkerungspolitik und Familienwahlrecht aus dem Nichts auf. Plötzlich werden Antworten auf die demographische Krise formuliert, die auf der Hand liegen und an die Wurzel gehen.

In einem gemeinsamen Antrag von Abgeordneten aller Fraktionen wird nun die Einführung des lange von kleinen Familienverbänden geforderten Familienwahlrechts befürwortet. Begründung: Erst wenn Erwachsene mit Kindern ein höheres Stimmenpotential verkörperten, erhielte eine aktive Familienpolitik im Parteienstreit auch eine größere Bedeutung. Im Antrag, den die FDP-Abgeordneten Hermann Otto Solms und Klaus Haupt initiiert haben und der immerhin neben anderen von Martin Hohmann (CDU), Johannes Singhammer (CSU) über Antje Vollmer Grüne) bis Wolfgang Thierse (SPD) unterstützt wird, heißt es:

"Die demographische Entwicklung in Deutschland gefährdet die Zukunft unserer Gesellschaft. Die Probleme der deutschen Gesellschaft der Zukunft sind nur zu bewältigen, wenn im Generationen-Vertrag auch die junge Generation berücksichtigt und Kindern und den sie großziehenden Eltern ein ihrer Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft angemessener Stellenwert eingeräumt wird. Die Gesellschaft insgesamt muß kinderfreundlicher werden, die Bereitschaft junger Erwachsener, Eltern zu werden, muß gestärkt, und die zahlreichen Probleme und Nachteile für Familien mit Kindern müssen abgebaut werden."

Die Antragsteller hätten ruhig den Mut haben können, zu sagen, daß die demographische Entwicklung die Zukunft nicht nur unserer Gesellschaft, sondern des deutschen Volkes gefährdet, doch es ist ein honoriger Ansatz. Nach Wunsch der Abgeordneten soll der Bundestag nun durch Annahme des Antrages die Bundesregierung auffordern, "einen Gesetzesentwurf zur Einführung eines Wahlrechtes ab Geburt durch Änderung des Artikel 38 Grundgesetz und erforderlicher weiterer gesetzlicher Änderungen vorzulegen". Dabei sei ein Wahlrecht "ab Geburt dergestalt vorzusehen, daß die Kinder zwar Inhaber des Wahlrechtes werden, dieses aber treuhänderisch von den Eltern bzw. Sorgeberechtigten als den gesetzlichen Vertretern ausgeübt wird". Für den Fall, daß sich die Eltern nicht in der Ausübung des Kinderwahlrechts einigen könnten, solle "eine einfache und beide Elternteile möglichst gleichberechtigende Regelung vorgesehen sein".

Die tatsächliche Umsetzung eines Familienwahlrechts ist nicht nur nach dem Gleichheitsgrundsatz verfassungsrechtlich problematisch. Was ist beispielsweise, wenn die Eltern drei Kinder haben und uneinig sind: Haben dann beide Elternteile je 2,5 Stimmen zu vergeben? Immerhin soll der Antrag nach der Sommerpause ernsthaft verhandelt werden. Zu befürchten ist aber, daß dieser Vorschlag wie das beliebte Sommerloch-Thema Loch Ness aus den Zeitungsspalten dann wieder verschwunden sein wird.


 
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