© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/03 25. Juli / 01. August 2003

 
Umkehr der Beweislast
Antidiskriminierungsgesetz II: In Berlin tagte das "Antidiskriminierungs-Netzwerk" / Teilnehmer fordern neben zivilrechtlichen auch strafrechtliche Konsequenzen
Ronald Gläser

Bezeichnenderweise fand das Treffen in Berlin-Neukölln statt. Der Türkische Bund Berlin Brandenburg hat vergangene Woche zur Konstituierung eines Anti-Diskriminierungsnetzwerkes geladen. Erschienen sind etwa 50 Vertreter professioneller Ausländer-Lobbyorganisationen.

Die Mehrheit der Teilnehmer bestand aus Deutschen, nicht etwa aus sich rassistischer Diskriminierung ausgesetzt fühlenden Ausländern. Nach der offiziellen Eröffnung wurde das zentrale Anliegen in einem juristischen Vortrag auf den Tisch gebracht. Matthias Mahlmann hielt einen Vortrag über die "EU-Richtlinien gegen Ungleichbehandlung". Der Jurist von der Freien Universität widmete sich auch der augenblicklichen Gesetzeslage. Es liegt nämlich bereits ein Referentenentwurf vor, bei dem einem angst und bange werden kann. Es gehe darum, das "menschenrechtliche Profil" der primär wirtschaftlichen Institution Europäische Union zu schärfen, so Mahlmann. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung müsse zur zentralen Norm werden. Diskriminierung aufgrund der Nationalität, des Geschlechts und schließlich der "sexuellen Orientierung" sei zu unterbinden. Daß eine junge Deutsche ihr Recht auf den Dienst an der Waffe beim Europäischen Gerichtshof erstritten hat, ist ein praktisches Beispiel.

Das Selbstbewußtsein soll gestärkt werden

Die EU-Richtlinie wurde nicht zuletzt wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ auf den Weg gebracht. Gerade hinsichtlich der "sexuellen Orientierung" gehe sie erfreulich weit, so Mahlmann. Denn in vielen europäischen Ländern gebe es noch "überholte Moralvorstellungen". Gemäß der Richtlinie darf es in Zukunft auch keine "Anweisung zur Diskriminierung" geben. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn ein Unternehmen für einen Messestand bei einer Promotionsagentur Hostessen bestellt und darauf besteht, daß die Frauen blonde Haare haben müssen. Wichtig sei auch, daß sich Organisationen ohne expliziten Auftrag für diskriminierte Personen gegenüber Dritten einsetzen können. Schon jetzt reiben sich die anwesenden Lobbyisten die Hände. Nur die Kirchen hätten eine Tendenzschutzklausel für sich herausschlagen können. Sie können auch in Zukunft nicht gezwungen werden, Angehörige anderer Konfessionen zu beschäftigen. Dies ruft sofort den lautstarken Protest aus dem Publikum hervor: "Warum bekommen sie dann öffentliche Mittel für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben?"

Der "außerordentlich mutige" Referentenentwurf für ein deutsches Antidiskriminierungsgesetz stoße jedoch auf Widerstand - die Kirchen, die Wissenschaft und auch die Unternehmerverbände schössen Breitseiten gegen die Vorlage, führt Mahlmann aus. Auch Teile der SPD seien damit unzufrieden. Der wichtigste Aspekt, so Mahlmann, sei die Umkehr der Beweislast. Der Gleichheitsfanatiker bezeichnet den Entwurf daher selbst als "Antidiskriminierungsregime". Immerhin wird ein entscheidender Bestandteil des Rechtsstaates außer Kraft gesetzt: die Unschuldsvermutung. Wer künftig einen Ausländer, Homosexuellen oder eine Frau nicht einstellt, muß beweisen, daß dies nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Minderheit geschehen ist.

Die Unschuldsvermutung wird außer Kraft gesetzt

In einer folgenden Diskussion wurde ernsthaft gefordert, einen "Kontrahierungszwang" einzuführen. Dadurch soll eine diskriminierende Person gezwungen werden können, beispielsweise einen Miet- oder Arbeitsvertrag mit einer vermeintlich diskriminierten Person zu schließen. Ein Redner forderte strafrechtliche Konsequenzen bei Diskriminierung. Der Projektkoordinator Florencio Chicote sprach über sogenannte Alltagsdiskriminierung. Gemeint sind ungestraft getätigte Aussagen wie "Die kommen nur her, um unser Sozialsystem auszunutzen." In Neukölln, wo es berlinweit sowohl die meisten Empfänger von Sozialhilfe als auch die meisten Ausländer gibt, wirkt dieser Diskriminierungsvorwurf etwas sarkastisch.

Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin will dem entgegentreten. Betroffene können sich beraten lassen. Auch und gerade durch das Einschalten der Medien und die Dokumentation wollen die Aktivisten gegen Diskriminierung intervenieren. Außerdem soll das Selbstbewußtsein der Betroffenen gestärkt werden. Die diskriminierenden Deutschen und ihre unterdrückten Mitbürger finanzieren diese Arbeit - wen wundert's? - mit ihren Steuergeldern.


 
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