© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/03 08. August 2003

 
Der Siegeszug der Netzwerklogik
Der US-Soziologe Manuel Castells über kommende Existenzgrundlagen zwischen Identität und Globalisierung
Alexander Griesbach

Nicht weniger als eine "Soziologie des Informationszeitalters" will Manuel Castells, Dozent an der US-amerikanischen Eliteuniversität Berkeley, mit seinem drei Bände umfassenden Werk "Das Informationszeitalter" vorgelegt haben, das inzwischen auch in deutscher Sprache vorliegt. Ein hoher Anspruch für einen Wissenschaftler, der bis vor kurzem außerhalb von akademischen Kreisen kaum bekannt gewesen sein dürfte.

Wer also ist Manuel Castells? Der gebürtige Spanier lehrte nach seiner Flucht vor der Diktatur Francos zunächst in Nanterre und Paris. Das war Ende der sechziger Jahre, auf dem Höhepunkt der sogenannten Studentenunruhen. Erst 1979 wechselte er an die für ihre linkslastigen Tendenzen bekannte Universität Berkeley, wo er seitdem als Professor für Soziologie und Stadt- und Regionalplanung lehrt. Daneben war er aber auch als Politikberater in den unterschiedlichsten Funktionen tätig.

Hinter dem auf drei Bände angelegten Werk stehen insgesamt 15 Jahre Arbeit, die Castells rund um den Erdball geführt hat. Sein Thema sind die Netzwerke der Moderne, die - das macht der Autor unmißverständlich deutlich - keineswegs nur Versammlungen von Edlen und Guten darstellen. Netzwerke werden von Geldwäschern, Straßenbanden und Drogenkartellen inzwischen ebenso gekonnt geknüpft wie die Netzwerke auf politischer oder wirtschaftlicher Ebene. Im ersten Band seiner Trilogie spricht der Autor die gesellschaftlichen Konsequenzen einer zunehmend vernetzten Welt an. Netzwerke bilden für Castells die neue soziale Gestalt der Staaten. Die Verbreitung der Netzwerklogik verändere dabei angeblich die Funktionsweise und die Ergebnisse von Prozessen der Produktion, Erfahrung, Macht und Kultur.

Die heutige Wirtschaftsweise sei in globalen Netzwerken von Kapital, Management und Information organisiert, deren Zugang zu technologischem Know-how oft über Produktivität und Konkurrenzfähigkeit entscheide. Unternehmen, aber auch in zunehmender Weise gesellschaftliche Institutionen und Organisationen seien, so Castells, in Netzwerken mit "variabler Geometrie" organisiert, deren Verflechtung die traditionelle Unterscheidung zwischen Konzernen und kleineren Unternehmen aufhebe. Arbeitsprozesse würden dementsprechend immer mehr individualisiert. Die Arbeit werde in ihrer Ausführung in Einzelbestandteile zerlegt und am Ende durch eine Vielzahl zusammenhängender Aufgaben an verschiedenen Standorten neu integriert. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist eine neue Form der Arbeitsteilung, die auf den Eigenschaften und Fähigkeiten jeder einzelnen Arbeitskraft beruhe und nicht mehr auf der Organisation der verschiedenen Arbeitsschritte.

Die Folgen sind für Castells revolutionär, weil sie die Existenzgrundlagen des Individuums und der Gesellschaft veränderten. Nicht nur verlören die Institutionen, die einstmals die Industriegesellschaft prägten - der Staat, Parteien, Kirchen und Gewerkschaften - an Bedeutung; vielmehr entstehe so eine neue soziale Frage des Informationszeitalters. An die Stelle der Ausbeutung im industriell geprägten Kapitalismus trete nun, so behauptet zumindest Castells, eine andere Form der Diskriminierung, nämlich die der Ausschließung - intern, regional und vor allem international.

Im zweiten Band thematisiert Castells die beiden entgegengesetzten Trends Globalisierung und Identität. Da Globalisierung eine global agierende Wirtschaft erzeuge und durch eine Kultur der "realen Virtualität" gekennzeichnet sei, wüchsen "Widerstands-Identitäten" heran. So schaffe sich kollektive Identität machtvoll Ausdruck und es entstünden die kulturellen Kommunen des Informationszeitalters, die sich weigerten, von den globalen Strömen und dem radikalen Individualismus weggespült zu werden. Sie beharrten auf kultureller Eigenständigkeit, auf der Selbstbestimmung über Leben, Umwelt und Kultur. In der Tat sind die Vorbehalte gegen Globalisierung und neue Netze inzwischen weltweit sichtbar. Daraus nähre sich, so Castells, der Fundamentalismus in allen seinen Formen: religiös, ethnisch oder nationalistisch. Und dazu zählte der islamische Fundamentalismus in den arabischen Ländern ebenso wie der christliche Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten.

Jede Antwort auf die Netzwerkgesellschaft dokumentiert nach Castells, daß im Kern die Netzwerkgesellschaft die Souveränität des Nationalstaats und die Legitimität demokratischen Regierens unterhöhle, was sich dann einerseits in den Rückzug auf überschaubare und vertraute Gegenwelten oder andererseits in aktiven Widerstand entlädt.

Im dritten Band weitet Castells seinen Blick auf den Zustand der internationalen Staatenwelt. Zur Jahrtausendwende sei die Welt dabei, ihre neue Form anzunehmen, die im Ganzen das Resultat der informationstechnologischen Revolution, der Krise sowohl des Kapitalismus als auch des Etatismus und des Aufblühens neuer sozialer Bewegungen sei. Ungleichheit, Polarisierung, soziale Asymmetrien und neuartige Konflikte, so Castells, prägten in Zukunft in weiter steigendem Maße das Schicksal der Netzwerkgesellschaft, was sich an der weltweiten Zunahme von Armut, Not, sozialen Verwerfungen und den gewalttätigen Reaktionen darauf deutlich manifestiere. Zugleich zeigt der Autor, daß und wie eine global organisierte Kriminalität Wirtschaft, Staat und Gesellschaft vieler Länder bedroht. Abschließend lenkt Castells den Blick auf den asiatisch-pazifischen Raum, den er als zwar als wichtig einstuft, gleichzeitig aber als einen der unsichersten Parameter in der Netzwerkökonomie identifiziert. Interessant ist, daß Castells in der europäischen Integration den Keim einer angemessenen Kompensation der Auswüchse der Netzwerkgesellschaft sieht, obwohl die Integration des Kontinents aus seiner Sicht noch zu sehr auf wirtschaftliche Aspekte beschränkt sei. Bleibt der Eindruck, daß Manuel Castells mit seinem Werk eine diskussionswürdige Beschreibung und Analyse der Netzwerkgesellschaft vorgelegt hat, an der niemand vorbeikommt, der sich in Zukunft mit diesem Thema beschäftigt.

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Manuel Castells: Das Informationszeitalter. Band 1: Die Netzwerkgesellschaft. Band 2: Die Macht der Identität. Band 3: Jahrtausendwende. Verlag Leske + Budrich, Opladen 2003, zusammen 1.515 Seiten, jeweils 34,90 Euro


 
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