© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/03 08. August 2003

 
Mit Händen und Füßen geht es nicht
von Thomas Paulwitz

Die Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Nicht in dem wir einem Ausländer einen Paß "verpassen" und ihn durch Gesetz einfach zum Deutschen erklären; nicht indem wir ihm in seiner Sprache entgegenkommen, zum Beispiel mit mehrsprachigen Beschriftungen, und ihm so den Aufenthalt scheinbar erleichtern; sondern vor allem über die deutsche Sprache kann er integriert werden, wenn es denn gewollt ist.

Freilich reicht die Beherrschung der Sprache nicht aus, ein Teil der Nation zu werden. Doch die Sprache ist das Beförderungsmittel von Kultur und Geschichte. Deshalb kann eine Einwandererfamilie frühestens in der dritten Generation in der Nation angekommen sein. Sagt man bei Generationen von Siedlern, "der ersten den Tod, der zweiten die Not, der dritten das Brot", so gilt für Zuwanderer, die sich der Nation anschließen wollen, ähnliches. Doch der Prozeß kann selbstverständlich auch länger dauern oder gar völlig scheitern; vor allem dann, wenn der politische Wille und die politische Tat zur Eingliederung ausbleiben. Ohne Anpassungsdruck gibt es keine Integration. Dazu muß das deutsche Volk eine starke Anziehungskraft ausüben. Die Lässigkeit bis Nachlässigkeit, mit der im öffentlichen Raum mit der deutschen Sprache umgegangen wird, ist ein Zeichen für die derzeit nur geringe Strahlkraft deutscher Kultur.

Statt dessen verbreitet sich eine engleutsche Sprachvermischung, wird mit einer sogenannten Reform ohne Not die Einheit der Rechtschreibung aufgegeben, und es entstehen sogar Slangs wie das sogenannte Kanakisch ("Isch mach disch Krankenhaus!"). Im Ausland werden reihenweise Goethe-Institute geschlossen, weil die Regierung die Mittel für eine deutsche Kulturpolitik kräftig gekürzt hat. Selbst in Osteuropa gerät die deutsche Sprache gegenüber dem Englischen ins Hintertreffen. Die Sprache in der EU mit den meisten Muttersprachlern, nämlich Deutsch, ist nicht einmal anerkannte Arbeitssprache.

Als Wissenschaftssprache ist Deutsch auf dem Rückzug. Immer mehr deutsche Fachzeitschriften erscheinen auf englisch, immer mehr Hochschulen beschließen, englischsprachige Lehrveranstaltungen einzuführen. Der Hochschulkompaß der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gibt die Zahl der Studiengänge, deren erste Unterrichtssprache Englisch ist, mit 245 von 9.207 an, also knapp drei Prozent. Bei den weiterführenden Studiengängen sind es allerdings bereits 33 Prozent. Sabine Gerbaulet, Sprecherin der Technischen Universität Darmstadt, erklärte: "Für uns ist Englisch die Wissenschaftssprache. Unsere Professoren bieten ihre Veranstaltungen fast alle auf englisch an. Die maßgeblichen Publikationen der Technikwissenschaften erscheinen sowieso alle auf Englisch."

 

Die Stuttgarter Zeitung, die anläßlich des "Tags der deutschen Sprache" in einer Ausgabe auf Anglizismen verzichtete, fragt: "Und was, wenn wir Gast im eigenen Land werden? So jedenfalls fühlen sich offenbar viele Menschen - vor allem ältere, aber keineswegs ausschließlich solche -, wenn sie tagtäglich die Zeitung lesen, den Fernseher einschalten, ihrer Arbeit nachgehen, zum Einkaufen in die Stadt fahren oder eben dort einen netten Abend verbringen wollen. Denn in der Zeitung lesen sie von Börsenboom, Experten-Hearing und Nation-Building, ihr Fernsehsender ist inzwischen ‚powered by emotion' oder bietet ‚XXL-Entertainment', auf der Arbeit müssen sie Controllern und Chief Assistant busy, busy Erfolge vorweisen, zum Einkaufen hernach Backshop oder Multistore aufsuchen. Und das Lokal, in dem es bisher abends nach dem Kino immer so nett war, ist inzwischen zur Lounge geworden."

Diese Entwicklung müssen wir in eine gänzlich andere Richtung lenken, wenn wir die Fesselungskraft der deutschen Kultur erhöhen wollen. Wir brauchen eine nationale Sprachpolitik, begleitet von einer unabhängigen nationalen Sprachakademie. Wer will schon einer Nation angehören, die ihre Sprache nicht achtet und selbstbewußt vertritt? Ein russischer Wissenschaftler meinte, daß "viele Deutsche selbst im Begriff sind, ihre eigene Sprache als Verwendungssprache im Umgang mit dem Ausland zugunsten des Anglo-Amerikanischen aufzugeben. Zahlreiche Deutsche, die nach Rußland zu verschiedenen geschäftlichen Verhandlungen oder wissenschaftlichen Konferenzen kommen, bedienen sich der englischen Sprache bzw. eines englischsprachigen Dolmetschers, obwohl deutschsprachige Dolmetscher in Menge da sind. Man kann sich sogar des Eindrucks nicht erwehren, daß es bei vielen Deutschen zum guten Sozialstil gehört, sich auch im nicht englischsprachigen Ausland durch die englische Sprache auszuweisen."

8,3 Prozent der deutschen Kinder, die im vergangenen Jahr eingeschult worden sind, können sich laut amtsärztlicher Beurteilung nicht ihrem Alter entsprechend verständlich machen. Wenn bereits die einheimischen Kinder unter Schwierigkeiten mit ihrer Sprache leiden, wie können wir dann in der Schule glaubwürdig Forderungen an Zuwandererkinder stellen?

In der Schule finden wir den ersten Ansatz zur Verstärkung der Integration. Mit den neuesten Erkenntnissen aus der Pisa-Untersuchung können auch Rückschlüsse auf die Rolle der in Deutschland lebenden ausländischen Schulkinder gezogen werden. Im Jahr 2000 war vorwiegend die Lesefähigkeit 15jähriger gemessen worden. Seither haben die Pisa-Forscher des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung in drei Schritten die Öffentlichkeit über die Ergebnisse unterrichtet. Im März dieses Jahres wurde ein weiteres Häppchen bekanntgemacht.

Bezeichnend ist, daß selbst die Pisa-Forscher Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben. Um politisch möglichst korrekt zu sein, flüchten sie in einen Sprachgebrauch, der umständliche und umschreibende Wortungetüme wählt. Das geht freilich zu Lasten von Klarheit und Verständlichkeit. Zuwandernde Ausländer werden zu "Migranten" (statt Immigranten), also "Wandersleuten", obwohl es sich nicht um Zigeuner oder Urlauber handelt; Kinder von Zuwanderern werden dementsprechend zu "Jugendlichen mit Migrationshintergrund".

Es gibt im ganzen Pisa-Bericht auf vierhundert Seiten keine "Schüler", sondern Leser und Leserin müssen immer wieder über die aufgeblasene Paarung "Schülerinnen und Schüler" stolpem. Ohne Wortblähungen dieser Art und ohne die scheinwissenschaftlichen Latinismen wäre der Text wohl um einiges kürzer und schneller zu verstehen. Mit solchen Zumutungen an die Leser machen sich die Erforscher (und Erforscherinnen) der "Lesekompetenz" selbst unglaubwürdig.

Die veröffentlichten Zahlen sind dennoch beachtenswert. Ein Anteil ausländischer Schüler von mehr als zwanzig Prozent - eine Prozentzahl, die die FAZ noch als verhältnismäßig gering einstuft - senkt das mittlere Leistungsniveau sprunghaft. In der Pisa-Untersuchung heißt es, daß ohne die Ausländerkinder Deutschland im internationalen Vergleich der Schulleistungen ein ordentliches Ergebnis erzielt hätte. Der Grund liegt in den mangelnden Sprachkenntnissen der Ausländerkinder, die Schwierigkeiten haben, die Lehrer sprachlich gut zu verstehen. Wenn die Lehrkräfte ihrerseits sich abmühen müssen, sich verständlich zu machen, geht das natürlich auch auf Kosten der deutschen Kinder.

Da wirkt es nur wie ein schlechter Witz, wenn die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Beck hilflos darauf beharrt, daß es sich bei vielen in der Pisa-Rubrik "Ausländerkinder" genannten Schülern gar nicht um Ausländer handele, sondern daß diese nach dem derzeitigen Staatsangehörigkeitsrecht als Deutsche gälten. Ein ausgezeichnetes Beispiel von Sprachmanipulation durch die Regierungsmacht. Sie verringert den Ausländeranteil einfach durch Umbezeichnung und erklärt die Angelegenheit zu einer rein sozialen. Die nationale Bedeutung klammert sie damit aus. Integration ist aber eine soziale wie nationale Frage.

Der bildungspolitische Sprecher der hessischen CDU-Landtagsfraktion, Hans-Jürgen Irmer, bemerkte zu den neuesten Pisa-Erkenntnissen: "Kinder, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, gehören nicht in die Schule." Wir fragen uns: Wohin sollen die schulpflichtigen Ausländerkinder dann? Auf die Straße? Ab ins Heimatland - und die Eltern gleich mit? Das eine förderte Absonderung, Verbrechen und Sozialschmarotzertum, das andere ist rechtlich oft nicht möglich. Dauerhaft hier lebende Ausländer müssen in die Schule, weil sich dort eine der wenigen Möglichkeiten bietet, die Integration zu beeinflussen, indem die Kinder zunächst einmal richtig Deutsch beigebracht bekommen.

Wie können wir aber trotzdem den hohen Anteil schlecht Deutsch sprechender Ausländerkinder in den Schulklassen senken? Es gibt bereits die Unterscheidung zwischen Regelklassen und Sprachlernklassen. In gesonderten Sprachlernklassen werden in kleinen Lerngruppen mit zwölf bis fünfzehn Kindern eingehend Deutschkenntnisse gepaukt. Nach spätestens zwei Jahren werden die Kinder dann, angeblich ohne Zeitverlust, in die Regelklassen Gleichaltriger eingegliedert. Wir können also die Regelklassen quotieren: Der Ausländeranteil ist auf höchstens fünfzehn Prozent festzusetzen. Der Überschuß von weniger gut Deutsch sprechenden Schülern muß in Sprachlernklassen.

Die bayerische Staatsregierung hat als Antwort auf den dritten Teil der Pisa-Ergebnisse bereits angekündigt, die Zahl der Sprachlernklassen im Freistaat von hundert auf zweihundert zu verdoppeln. Freilich sind das noch viel zu wenig. Um zusätzliche Sprachlernklassen einrichten und finanzieren zu können, wird es unumgänglich sein, bei den Eltern schlecht Deutsch sprechender Kinder ein Schulgeld zu erheben. Schließlich liegt es auch in der Verantwortung der Eltern, nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Kindern ausreichende Deutschkenntnisse angedeihen zu lassen.

Um die Ausländerquote in den Schulklassen zu senken, ist es freilich auch notwendig, auf der einen Seite allgemein die Massenzuwanderung von Ausländern zu bremsen und die Abwanderung Integrationsunwilliger zu fördern. Auf der anderen Seite müssen deutsche Familien unterstützt werden, um die Geburtenrate wieder zu erhöhen, was ja auch im Hinblick auf die zusammenbrechende Altersversorgung geboten ist.

Die Schule ist fast die einzige Möglichkeit, Einfluß auf das Sprachverhalten von Ausländern zu nehmen. So sprechen viele türkische Eltern weder Türkisch noch Deutsch richtig und sind "zweisprachige Analphabeten". Aufgrund traditioneller Einstellungen kommen gerade türkische Mütter oft kaum mit einer Umwelt in Verbindung, in der Deutsch gesprochen wird. Welche Muttersprache dann ihre Kinder lernen, ist klar. Deutsch ist es jedenfalls nicht. Für die Hausaufgabenbetreuung fallen diese Mütter ohne Deutschkenntnisse aus.

Fördermaßnahmen wie zum Beispiel "Mama lernt Deutsch" der "Deutsch-Offensive Erlangen", eines der Vereine, die es in vielen Städten inzwischen gibt, können nur einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen. Die Frauen lernen in diesen Kursen, sich in Alltagsbegebenheiten mit der deutschen Sprache zurechtzufinden. Unterrichtet werden sie von einer Fachkraft für Deutsch als Fremdsprache.

Um die Kleinkinder kümmern sich in dieser Zeit in einem anderen Raum Betreuerinnen. Solche Kurse sind zwar sehr wirkungsvoll, kosten jedoch Geld und müssen häufig von den Gemeinden bezuschußt werden, die aufgrund einer Steuerreform, die Großunternehmen in ungerechter Weise begünstigt, ohnehin unter beständiger Finanznot leiden. Außerdem erfassen die Kurse nur einen Bruchteil derer, die dringend Deutsch lernen müßten.

Ein Vorschlag, der von den nichteingegliederten Ausländern etwas abverlangt, geht in die folgende Richtung: Jeder erwachsene Ausländer, der dauerhaft in Deutschland lebt oder der die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten will, muß solange Deutschstunden nehmen, bis er seinen "Deutsch-Führerschein" in der Tasche hat. Die Kosten für die Lernstunden muß er selbst tragen, damit zusätzlicher Druck erzeugt wird.

Denkbar ist aber auch die Möglichkeit, durch kulturelle Annäherung Integrationsbereitschaft zu zeigen, um sich dadurch der angefallenen Kosten für den Deutschunterricht zu entledigen. Der deutschlernende Ausländer könnte das zum Beispiel durch eine Eintrittskarte für den Besuch eines Theaterstücks eines deutschen Klassikers, durch unbezahlte gemeinnützige Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, damit Mütter in Deutschkurse gehen können, oder durch eine Spende an einen deutschen Sprachpflegeverein nachweisen.

Es ist klar, daß durch so eine Maßnahme Kreuzberg nicht von heute auf morgen nur noch Deutsch spricht; es wäre aber ein Zeichen dafür, daß die Deutschen ihrer Sprache einen hohen Wert beimessen und es als Kulturvolk nicht hinnehmen, daß der Verständigung innerhalb der Nation durch Babylonisierung Schaden zugefügt wird. Es wäre ein Beitrag für den inneren Frieden Deutschlands und schon allein deswegen einen Versuch wert. Bei allen Anstrengungen muß jedoch bewußt bleiben, daß eine Sprache erst dann wie eine Muttersprache verinnerlicht sein und das Denken prägen kann, wenn sie von Kindesbeinen wie mit der Muttermilch aufgesogen worden ist.

 

Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der Deutschen Sprachwelt, Postfach 1449, 91004 Erlangen, Internet: www.deutsche-sprachwelt.de .


 
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