© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/03 15. August 2003

 
Ohne Tritt in die Zukunft
Bundesgrenzschutz: Geschichte der Entwicklung von einer paramilitärischen Organisation zur Bundespolizei
Michael Waldherr

"Wie sich die Zeiten ändern: Heute ist mein oberster Dienstherr ein Mann, den ich in den siebziger Jahren in Unterhosen gefilzt habe, weil er Verteidiger von RAF-Terroristen war", erzählt mit verschmitztem Schmunzeln ein altgedienter BGS-Beamter, der 1976 bei den Prozessen gegen Mitglieder der Rote-Armee-Fraktion (RAF) in Stuttgart-Stammheim für Sicherheit sorgte. Aus verständlichen Gründen möchte er lieber anonym bleiben. Der Mann, von dem er spricht, ist der Ex-Grüne und heutige sozialdemokratische Bundesinnenminister Otto Schily.

Aller Anfang ist schwer - so auch für den Bundesgrenzschutz (BGS). Die katastrophale Niederlage des Dritten Reiches war noch in frischer Erinnerung, und in Westdeutschland zog man daraus die Konsequenz, daß alles Militärische für die Zukunft abzulehnen sei. Doch der Kalte Krieg wurde am Eisernen Vorhang in Deutschland inzwischen besonders aggressiv. In der höchst gefährlichen Situation der Bedrohung durch den Kommunismus wurde seit Sommer 1950 über einen deutschen Verteidigungsbeitrag diskutiert - die Westalliierten hielten einen solchen für unverzichtbar. Doch die Planungen zur Aufstellung deutscher Divisionen für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zogen sich zäh dahin, während die Lage an der innerdeutschen Zonengrenze und der Grenze zur Tschechoslowakei immer brisanter wurde.

Von der DDR als "Waffen-SS der BRD" diskreditiert

Aus diesem Grund genehmigte der Alliierte Kontrollrat am 15. Februar 1951 der Bundesrepublik Deutschland die Aufstellung einer Sonderpolizeitruppe des Bundes in der Stärke von 10.000 Mann. Ihr Auftrag war im ersten BGS-Gesetz vom 16. März 1951 festgelegt: "Die Bundesgrenzschutzbehörden sichern das Bundesgebiet gegen verbotene Grenzübertritte ... und gegen sonstige, die Sicherheit der Grenzen gefährdende Störungen der öffentlichen Ordnung im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern."

Wäre der Kalte Krieg heiß geworden, hätte der BGS nicht nur Grenzsicherungs- sondern auch Verteidigungsaufgaben im kriegsvölkerrechtlichen "Kombattantenstatus" gemeinsam mit den regulären Streitkräften der westlichen Besatzungsmächte wahrgenommen. Dazu wurde der Bundesgrenzschutz nicht nur mit leichten Handwaffen und Maschinengewehren, sondern auch mit Panzerfäusten, Granatwerfern und sogar Panzerspähwagen ausgerüstet. Die Ausbildung der Truppe mit den martialischen Tarnjacken und Wehrmachtsstahlhelmen war hart und "kriegsnah", der Umgangston rauh, was nicht weiter verwunderte. "Die meisten jungen Grenzjäger sind zwar noch nicht Soldat gewesen, aber beim Unteroffiziers- und Offizierskorps ist nicht ein einziger, der sich nicht die Stiefel auf Europas Schlachtfeldern abgelaufen hat", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung 1951 über den neuaufgestellten BGS. Das alles blieb auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs nicht verborgen, so daß die "antifaschistische" Propaganda der DDR den BGS als "Waffen-SS der BRD" zu diskreditieren suchte, ihm insgeheim aber einen Elite-Status zubilligte. "Der Bundesgrenzschutz ist eine militärische Kaderorganisation", wetterte der pazifistisch eingestellte damalige Oppositionsführer und SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher gegen die Truppe, die nach außen immer ihren polizeilichen Charakter betonte.

So ganz unrecht hatte Schumacher nicht. Nach einer Verdoppelung des BGS empfahl der Bundesverteidigungsrat auf Drängen des christdemokratischen Bundeskanzlers Konrad Adenauer am 4. November 1955, den BGS zum Aufbau der Bundeswehr heranzuziehen. Daraufhin beschloß das Bundeskabinett, daß aufgrund freiwilliger Entscheidung BGS-Einheiten möglichst geschlossen übernommen werden sollten, um damit die Grundlagen für Kadereinheiten der Streitkräfte zu schaffen. Dazu wurde am 30. Mai 1956 das zweite BGS-Gesetz verabschiedet.

"Die Männer, die vor Jahren als erste wieder Uniform anzogen, um Volk und Heimat zu verteidigen, sind als Träger bester deutscher Tradition und staatsbürgerlicher Gesinnung berufen, bei der Wiedergeburt des deutschen Soldatentums an hervorragender Stelle mitzuwirken", lobte Bundeskanzler Adenauer am 1. Juni 1956 diejenigen BGS-Beamten, die freiwillig zur Bundeswehr übertraten. Der BGS büßte fast die Hälfte seiner Stärke ein: 594 Offiziere, 999 Feldwebel-Dienstgrade, 1899 Unteroffiziere und 6081 Grenzjäger wechselten die Uniform und wurden Soldat.

Der Mauerfall am 9. November 1989 stellt für den Bundesgrenzschutz eine historische Zäsur dar, ist er doch stärker als die meisten anderen staatlichen Organisationen von den folgenden Umwälzungen betroffen. Am 1. Juli 1990 werden Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze aufgehoben. Mit Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 wird der in der ehemaligen DDR nach bundesdeutschem Vorbild 1990 aufgestellte "Grenzschutz der DDR" mit etwa 5.000 Beschäftigten vom Bund zusammen übernommen und in den BGS eingegliedert. Über diesen Umweg tragen jetzt auch Angehörige der berüchtigten ehemaligen "NVA-Grenztruppen" die Uniform des "Klassenfeindes". Außerdem werden fast 5.000 ehemalige Bahnpolizisten übernommen, davon zirka 3.000 von der früheren Deutschen Bundesbahn und etwa 2.000 aus verschiedenen Polizeiorganisationen der DDR, insbesondere der sogenannten "Transportpolizei". Mit der Wiedervereinigung entfällt der Einsatzbereich der Polizeiverbände des BGS an der vormals abgeschotteten und von der DDR her mit menschenverachtender Präzision "gesicherten" innerdeutschen Grenze.

Aus den Grenzwächtern soll eine Bundespolizei werden

Eine umfassende Neustrukturierung des BGS beginnt mit dem am 1. April 1992 in Kraft tretenden "Aufgabenübertragungsgesetz" (Gesetz zur Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bundesgrenzschutz). Der BGS übernimmt die Aufgaben Bahnpolizei und Luftsicherheit im gesamten Bundesgebiet. Er erhält bisher von der Grenzpolizei Bayerns wahrgenommene grenzpolizeiliche Aufgaben an der "grünen Grenze" zur heutigen Tschechischen Republik und auf dem am 17. Mai 1992 in Betrieb genommenen neuen Münchener Großflughafen Franz-Josef-Strauß. Das Personal-Soll des BGS an vollausgebildeten Polizeivollzugsbeamten stieg hierdurch von 20.560 im Jahr 1989 auf etwa 29.200 Beamte 1992.

Die Trennung zwischen Grenzschutzverbänden und Grenzschutzeinzeldienst wird aufgehoben. Die Neustrukturierung bedeutet für die BGS-Beamten eine wesentliche Verbesserung ihrer Berufs- und Zukunftsperspektive. Es gibt jetzt nämlich mehr Tagesaufgaben und Lebenszeitfunktionen und damit verbunden eine günstigere Entwicklung zu einer attraktiven Polizei des Bundes mit einem interessanten Berufsbild. Durch die Neustrukturierung wird die Organisation des BGS an die in den Bundesländern vorhandenen polizeilichen Strukturen angeglichen - etwa die Zusammenfassung der Aufgaben im Polizei- und Verwaltungsbereich in regionale Grenzschutzpräsidien unter einheitlicher Führung.

Die Wiedervereinigung bedingte eine Verlagerung von Standorten an der innerdeutschen Grenze hin zu den EU-Außengrenzen nach Polen und Tschechien. Ein Schwerpunkt dort ist die Bekämpfung der Schleuserkriminalität. Was aber wird nach der EU-Osterweiterung aus dem BGS? "Kurz- und mittelfristig sind Befürchtungen unbegründet, daß die Bundespolizei ihre wichtigsten Aufgaben dadurch verliert, wenn Deutschland nur noch von EU-Mitgliedsstaaten umgeben ist", beschwichtigt Innenminister Schily. Seine Idee einer "Europäischen Grenzpolizei", die später die neuen EU-Außengrenzen sichern soll, gefällt freilich nicht jedem BGS-Beamten.

Heute gilt der BGS als "Polizei des Bundes". Den Bundesgrenzschutz gibt es als "BGS See" zu Wasser und mit den Hubschraubern der Grenzschutzfliegerstaffeln auch in der Luft. Seine Aufgaben sind vielfältig: Grenzsicherung, Kontrolle des Reiseverkehrs sowie Luftsicherheit auf Flughäfen, aber auch Personen- und Objektschutz für Bundesorgane. Im Zuge der Bahn-Reform kamen bahnpolizeiliche Aufgaben hinzu. Auslandsverwendungen für die Vereinten Nationen oder die Europäische Union, etwa auf dem Balkan, sind Ausdruck der neuen Rolle Deutschlands in der Weltpolitik.

Die Polizeien der Länder können auf Antrag mit BGS-Einsatzhundertschaften als Sicherheits- und Eingreifreserve unterstützt werden, wenn dies zur "Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung in Fällen von besonderer Bedeutung" erforderlich ist, etwa bei Großdemonstrationen und der Begleitung von Castor-Transporten. Durch die Hubschrauber seiner Fliegerstaffeln ist der BGS seit Mitte der siebziger Jahre in der Lage, innerhalb von zwei Stunden an jedem beliebigen Ort der Bundesrepublik 300 Beamte einzusetzen. Dadurch ist er ein wichtiges und effektives Mittel zur präventiven Aufstandsbekämpfung. Noch 1984 lag einem fünftägigen BGS-Manöver mit Handgranaten und Maschinengewehren das Szenario "langanhaltende Arbeitskämpfe und Umsturzversuche" zugrunde.

Legendären Ruhm hat sich die "Grenzschutzgruppe (GSG) 9" unter ihrem Gründer und Kommandeur Ulrich Wegener erworben, als sie 1977 in der somalischen Hauptstadt Mogadischu erfolgreich die Geiseln aus der von Terroristen entführten Lufthansa-Maschine "Landshut" befreite. Noch heute zählen die fallschirmspringenden Nahkampf-Spezialisten der GSG 9 zu den besten Anti-Terror-Einheiten der Welt. Die geheimnisumwitterte Elitetruppe des BGS ist mittlerweile dreißig Jahre alt. Anlaß für die Gründung der polizeilichen Spezialeinheit war ein Ereignis, das die als "Spiele des Friedens und der Freude" konzipierte Sommerolympiade von München überschattete: Im September 1972 überfiel ein Terrorkommando der palästinensischen Organisation "Schwarzer September" die Mannschaft Israels im Münchner Olympischen Dorf und nahm die jüdischen Athleten als Geiseln. Auf dem Militärfliegerhorst in Fürstenfeldbruck geriet ein geplanter Befreiungsversuch zum Fiasko. Alle neun israelischen Geiseln, fünf palästinensische Terroristen und ein Polizeibeamter kamen ums Leben. Eingehende Untersuchungen ergaben: Die Waffenausstattung der Polizei war unzureichend, und geeignete taktische Einsatzkonzepte gegen terroristische Bedrohung fehlten.

Die GSG 9 ist immer noch die beste Visitenkarte des BGS

In dieser politisch und diplomatisch äußerst schwierigen Situation - Israel kritisierte das deutsche Vorgehen als dilettantisch, und einzelne Stimmen vermuteten hinter dem Scheitern der Befreiungsaktion sogar Vorsatz - beauftragte der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) den seinerzeitigen BGS-Verbindungsoffizier im Bonner Innenministerium, Oberstleutnant Ulrich Wegener, mit der Aufstellung eines "Spezialverbandes zur Rettung von Menschenleben in Fällen schwerster Gewaltkriminalität". Am 17. April 1973 meldete Wegener in der BGS-Kaserne St. Augustin die Einsatzbereitschaft der ersten beiden GSG 9-Trupps.

Ihre Feuertaufe bestanden die Anti-Terror-Experten der GSG 9 am 17. Oktober 1977 grandios mit der erfolgreichen Geiselbefreiung in Mogadischu. Ihr charismatischer Kommandeur Wegener erwarb sich bei dieser Operation "Feuerzauber" den Ruf eines umsichtigen Haudegens, wurde befördert und mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Die öffentlichkeitsscheuen Elitepolizisten blieben von Rückschlägen nicht verschont. Als bitterster Tag der Geschichte der GSG 9 gilt der 27. Juni 1993: Auf dem Bahnhof im meck-lenburgischen Bad Kleinen wurden zwei Mitglieder der terroristischen Vereinigung "Rote-Armee-Fraktion" (RAF) gestellt und die Terroristin Birgit Hogefeld festgenommen. Es kam zu einem folgenschweren Schußwechsel: Der Polizeikommissar im BGS Michael Newrzella wurde vom RAF-Terroristen Wolfgang Grams erschossen, der anschließend auf den Bahngleisen Selbstmord beging. Kritische Medien mutmaßten über die Vertuschung einer Hinrichtung durch rachsüchtige GSG 9-Beamte im Blutrausch. Der zum Märtyrer stilisierte tote Terrorist wurde fast mehr betrauert als der tote BGS-Beamte.

In der Folge der sich zum innenpolitischen Skandal entwickelnden Operation trat sogar der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) zurück. Die GSG 9-Männer fühlten sich von den übergeordneten Stellen förmlich im Regen stehengelassen. Etwas Positives hatte der tragische Vorfall dennoch für die GSG 9: Wenige Tage später wurden verdeckt zu tragende Schutzwesten beschafft, die Leben retten können. Seitdem ist es um die BGS-Elitetruppe aus St. Augustin still geworden, was aber nicht heißt, daß sie bloß noch übt, aber nicht mehr eingesetzt wird. Im Gegenteil: Die Operationen der GSG 9 finden weitaus häufiger statt, als man gemeinhin glaubt, doch sie laufen weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ab. Das spricht wiederum für die Effektivität der "stillen Profis", die kein Rampenlicht suchen.

Der Wandel des BGS von der paramilitärischen Organisation hin zur reinen Polizeitruppe ist auch an Äußerlichkeiten festzumachen. Die sozial-liberale Koalition ersetzte 1976 die militärischen Dienstgrade durch polizeiliche: Aus dem "Leutnant im BGS" wurde ein "Polizeikommissar im BGS", der Major mutierte zum Polizeirat. Doch die schönen, in Silber und Gold geflochtenen Dienstgradabzeichen mit den Metallsternen, die sehr an deutsche Wehrmachtsuniformen erinnerten, sind zunächst geblieben. Das wurde im Jahre 2002 anders: Bundesinnenminister Schily ließ die traditionellen, "politisch nicht korrekten" Schulterstücke durch schlichte grüne Schulterklappen ersetzen, wie sie auch die Landespolizisten tragen. Auch die schmucken Kragenspiegel, die ihren Ursprung in den Garde-Doppellitzen der alten preußischen Armee haben, mußten weg. Die grünen Hosen wurden gegen beigefarbene umgetauscht - ganz wie bei der Landespolizei. Das Ärmelabzeichen mit dem Bundesadler wurde mit der Überschrift "Polizei" ergänzt. Doch darüber ist der Schriftbogen "Bundesgrenzschutz" erhalten geblieben.

Wie lange noch wird diese Reminiszenz an alte Zeiten überdauern? In einer Presseerklärung des Bundesgrenzschutz-Verbandes (BGV) begrüßte dieser die Ankündigung aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag, den Namen des BGS in "Bundespolizei" zu ändern: "Wir, die Gewerkschaft der Polizei des Bundes, finden jedenfalls, daß es endlich an der Zeit ist, dem Bundesgrenzschutz nicht nur ein neues Ärmelabzeichen oder neue Autos mit der Aufschrift 'Polizei' zu geben, sondern ihn auch offiziell 'Bundespolizei' zu nennen." Nur mit mehr Selbstbewußtsein ließen sich die immer umfangreicher werdenden Aufgaben des BGS zukünftig bewältigen. Die visionären BGV-Offiziellen nennen als Patentrezept: "Eindeutige Bezeichnung als 'Bundespolizei', klare europäische Ausrichtung durch blaue Uniformen wie überall in Europa sowie eine einheitliche Führung durch ein eigenes Headquarter." Aha! Hauptquartier wäre ja auch zu altmodisch und überdies zu deutsch. Ein altgedienter BGS-Beamter von der Basis kommentiert weise: "Nichts ist so beständig wie der Wandel!"


 
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