© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/03 22. August 2003

 
Zentrum gegen Vertreibung
Mangel an Mut zur Geschichte
Dieter Stein

Seit der Veröffentlichung von Günter Grass' Novelle über den Untergang des ostdeutschen Flüchtlingsschiffes "Wilhelm Gustloff" 2002 hat das Thema der deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs die Öffentlichkeit in zunehmender Weise erfaßt. Gesteigert wurde das Interesse an den Leiden der Zivilbevölkerung zuletzt noch durch Jörg Friedrichs Darstellung über den alliierten Bombenkrieg ("Der Brand"). Auch deshalb ist das Wohlwollen gewachsen, mit dem der Initiative des Bundes der Vertriebenen (BdV) begegnet wird, ein "Zentrum gegen Vertreibungen" zu errichten.

Die Vorsitzende des BdV, Erika Steinbach, setzt sich seit vier Jahren intensiv für die Idee eines solchen Zentrums ein, dessen Sitz Berlin sein soll. Unter einem Dach sollen hier Kultur, Schicksal und Geschichte der Vertriebenen und der ostdeutschen Provinzen präsentiert werden. Optische, akustische und schriftliche Zeitzeugenberichte aus allen Vertreibungsgebieten sollten zusammengeführt werden. Aber auch die Veränderung West- und Mitteldeutschlands durch die Integration Millionen Vertriebener soll dargestellt werden. Darüber hinaus soll aber auch über aktuelle Vertreibungen anderer Völker in Wechselausstellungen informiert werden. Für diese Idee hatte der BdV eigens eine Stiftung ins Leben gerufen, für die bis heute ein Millionenbetrag an Spenden gesammelt wurde. Steinbach gelang es auch, namhafte Persönlichkeiten als Unterstützer zu gewinnen, darunter Arnulf Baring, Guido Knopp und Peter Glotz.

Von Anfang an begann eine wachsende Zahl von Politikern, dieses verdienstvolle Vorhaben zu torpedieren. An der Spitze agiert auf besonders geschickte Weise der SPD-Politiker Markus Meckel, zuletzt mittels eines öffentlichen Appells, der mit einigen bekannten in- und ausländischen Unterzeichnern aufwarten konnte. Meckel versucht, den Steinbach-Plan des Zentrums in Berlin kaltzustellen, indem er eine Ansiedlung in Breslau vorschlägt. Zusätzlich soll das Zentrum durch Internationalisierung verwässert und der Gegenstand der Erinnerung aus nationaler Sicht immer beliebiger werden. Meckel erklärte, ein "vorwiegend nationales Projekt, wie es in Deutschland die Stiftung der Heimatvertriebenen plant", sei nicht "im gemeinsamen Interesse unserer Länder". Was ist im Interesse Deutschlands? Eine Aufweichung des BdV-Konzepts, wie von Meckel gefordert, kommt nun all jenen entgegen, denen ein solches Zentrum prinzipiell ein Dorn im Auge ist.

Bislang hat Bundesinnenminister Otto Schily das Zentrum in Berlin unterstützt. Jetzt sind ihm Kanzler Schröder und Außenminister Fischer in den Rücken gefallen. Fischer erklärt, er halte hingegen für "denkbar", daß "auf europäischer Ebene" und "im Konsens mit den Nachbarn" ein solches Zentrum realisiert werde. Eine "europäische Lösung" wird immer dann gefordert, wenn man entweder kein Geld in der Kasse hat oder zu feige für einen eigenen nationalen Standpunkt ist. In diesem Fall trifft wohl beides zu.


 
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