© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/03 22. August 2003

 
Nur ein Containerschiff pro Woche
Gewässerschutz: Sachsen und Böhmen streiten über Staustufen in der Elbe / Ökologische Interessen kollidieren mit ökonomischen
Paul Leonhard

Die Elbe droht auszutrocknen. Der Pegel ist auf 70 Zentimeter gefallen. Die tschechischen Lastkähne bleiben seit Wochen aus. Die modernen Kreuzfahrtschiffe liegen vor Anker. Die Touristen wurden mit Bussen weitertransportiert. Auch die Sächsische Dampfschiffahrtgesellschaft fährt nur noch auf verkürzten Strecken.

Der niedrige Pegelstand ist Wasser auf die Mühlen der Befürworter eines Ausbaus der Elbe. An deren Spitze stehen die tschechischen Binnenschiffer. Aber auch das Dresdner Wasser- und Schiffahrtsamt fordert sei einem Jahrzehnt eine ganzjährige Fahrrinnentiefe von mindestens 1,60 Metern und 50 Meter Breite. Damit soll besonders die Containerschiffahrt eine gute Auslastung erreichen. Nur so sei eine stabile Schiffahrt auf der Elbe auch bei Niedrigwasser gewährleistet, sagt Achim Pohlmann, Leiter der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Ost.

Statistisch fahre aber pro Woche nur eines jener Containerschiffe, für die die Elbe ausgebaut werden soll, kontert Karl-Heinz Gerstenberg. "Umweltfreundlich ist die Schiffahrt nur, wenn die Schiffe in ihrer Größe dem Fluß angepaßt werden." Mit dieser Aussage weiß Sachsens bündnisgrüner Landessprecher die Mehrheit der Sachsen hinter sich - im "schwarzen" Freistaat ein seltener Fall. Solange die weißen Dampfer auf der Elbe zwischen Meißen und Sächsischer Schweiz unterwegs sind und sie sich selbst auf den Elbwiesen ungestört sonnen können, ist für die Dresdner die Welt in Ordnung.

Bereits seit Jahren schwelt ein Kampf zwischen der Tschechei und Sachsen über den Bau von Staustufen. Schon vor zehn Jahren forderte das Prager Verkehrsministerium nachdrücklich die deutsche Seite auf, die Elbe zwischen Schöna und Magdeburg auszubauen. Zu diesem Zeitpunkt mußte der Fluß von seiner Quelle im Riesengebirge bis Melnik 15 Staustufen und bis Schreckenstein (Strekov) weitere sechs Staustufen mit Doppelschleusen überwinden, während er die Strecke von der Sächsischen Schweiz über Dresden bis Magdeburg im freien Lauf durchfließt.

Die Tschechen wollten mit Regulierungsmaßnahmen eine Mindesttauchtiefe von 1,40 Metern gewährleisten. Dazu sollte die bisher vernachlässigte Strecke zwischen Aussig (Ústí nad Labem) und der deutschen Grenze ausgebaut werden. Außerdem war es erklärtes Ziel, die östlich Prags gelegene Industriestadt Pardubitz (Pardubice) fortan durch Elbschiffe erreichbar zu machen.

Während Prag sich für die Binnenschiffer stark macht, beharrt man in Dresden auf dem Status quo. Aber das sächsische Wirtschaftsministerium wehrte sich in der Amtszeit Kajo Schommers (CDU) hartnäckig gegen Staustufen oder eine Kanalisation der Elbe. Es gebe keine Möglichkeit, die Oberelbe für Europa-Schiffe wirtschaftlich nutzbar zu machen, betonte damals das Ministerium. Seitdem wurde - abgesehen von peripheren Eingriffen wie im Raum Torgau - der Fluß nicht angetastet. Als Grund wurden die unter Schutz stehenden Elbauen genannt. So blieb auch der geplante Anschluß des Leipziger Binnenhafens an die Binnenwasserstraßen in den Akten. Lediglich die Option für den Bau eines Kanals zur Saale hielten sich die Sachsen offen.

Ausgerechnet kurz vor dem Jahrhunderthochwasser vom Sommer 2002 drohte die neue sächsische Regierung unter dem zunehmenden Druck aus Böhmen, Sachsen-Anhalt und auch von der EU einzuknicken. Sachsens Umweltminister Steffen Flath äußerte ebenso wie Wirtschaftsminister Martin Gillo (beide CDU) plötzlich Verständnis für die tschechischen Pläne, vor der sächsisch-böhmischen Grenze zwei weitere Staustufen zu errichten. Allerdings wehrte sich zumindest der Umweltminister noch energisch gegen einen Elb-ausbau. In Prag rechnete Flath vor, daß in Deutschland 38 neue Staustufen gebaut werden müßten, um die Elbe auf ganzer Flußlänge wirtschaftlich sinnvoll nutzen zu können. Das aber sei politisch nicht durchsetzbar.

Angesichts der vom Jahrhunderthochwasser angerichteten Schäden wurde die sächsische Regierung erneut nachdenklich. Als ausgerechnet der Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) Anfang des Jahres auf einer Elbe-Konferenz in Wittenberge den versammelten Verkehrsministern verkündigte, den Elbausbau wieder aufzunehmen, fiel es der Führung des Freistaates nicht schwer, wieder auf den alten Kurs zurückzuschwenken. "Wir werden auf sächsischem Gebiet die Elbe nicht ausbauen", sagte Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) mit besonderem Nachdruck.

Allerdings geriet Stolpe auch in die Kritik der Bündnisgrünen. Der Stopp für den Elbausbau sei im Koalitionsvertrag festgeschrieben, erinnerte Undine Kurth, umweltpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion. In dem entsprechenden Papier ist festgeschrieben, daß alle Ausbaumaßnahmen und in ihrer Wirkung vergleichbare Unterhaltungsmaßnahmen an der Elbe nicht umgesetzt werden.

Sachsens Umweltminister Flath erinnerte prompt daran, daß die Elbe einer der letzten unbegradigten Ströme Europas sei. Ein "tiefgreifender" Ausbau komme für ihn nicht in Frage. Gleichzeitig sprach sich der Christdemokrat dagegen aus, daß mit europäischen Geldern die Elbe in Tschechien ausgebaut wird.

Den Elbausbau im Bereich des Freistaates hat sich Detlef Bütow, Chef des Dresdner Hafens, nun fürs erste aus dem Kopf geschlagen. Zwar hält er an einem Ausbau des Flusses fest, aber nur in Sachsen-Anhalt. Für den Freistaat favorisiert er zur Zeit die Minimalvariante: regelmäßiges Ausbaggern der Ablagerungen aus den Fahrrinnen. Die Wassertiefe habe sich um mehr als einen halben Meter verschlechtert, da das Hochwasser Schlamm und Geröll im Flußbett abgelagert hat, sagt Bütow. Der Bund sei weiterhin in der Pflicht, die Wasserstraße Elbe in Ordnung zu halten. Gegen die vom Hafenchef geforderten Instandsetzungsarbeiten hat auch Sachsens Umweltminister nichts: Reparaturen an den europäischen Binnenschiffahrtsstraßen müssen durchgeführt werden.

Einen Stopp des Elbausbaus fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Elbe müsse "zum Symbol für eine neue zukunftsfähige Flußpolitik" werden. Das unter dem Eindruck des Hochwassers von der Bundesregierung verkündete Umdenken in der Flußpolitik müsse eingefordert werden, heißt es in dem im August verabschiedeten Bericht zur Lage der Elbe 2003. Je mehr die Erinnerung an das Hochwasser verblasse, desto lauter seien wieder Rufe nach einem Ausbau der Elbe zu hören, warnen die Umweltschützer. Naturnahe Flüsse seien die beste Versicherung gegen Hochwasser.

Außerdem sei in den letzten zehn Jahren die auf der Elbe transportierte Gütermenge von acht auf vier Millionen Tonnen zurückgegangen, während im gleichen Zeitraum 100 Millionen Euro zur vorgeblichen Instandsetzung des Flusses verbaut wurden. Neue wirtschaftliche Potentiale sieht der BUND in der Förderung des naturnahen Tourismus, im Abschied von Großschiffen und der Konzentration auf die Entwicklung moderner und dem Fluß angepaßter Schiffe. Die wirtschaftlichen Belange haben sich zuerst an der Ökologie der Flüsse zu orientieren.


 
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