© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/03 29. August 2003

 
Skulpturen aus dem Heldenepos
Ein Gespräch mit dem Künstler Jens Nettlich über die geplante Nibelungen-Siegfried-Straße
Claus-M. Wolfschlag

Seit dem 14. Mai dieses Jahres wird im Odenwald ein außergewöhnliches Kunstprojekt in Angriff genommen: die Nibelungen-Siegfried-Straße. Entlang diesem geplanten Erfahrungsweg sollen in 13 Gemeinden Statuen mit Szenen aus dem Nibelungenlied erstellt werden, darunter in Fürth, Bürstadt, Grasellenbach oder in Lindenfels, wo bereits die Gruppe "Siegfried mit dem Drachen Fafnir" enthüllt wurde. Den Anfang machte die trauernde Krimhild, die in Lorsch im südhessischen Kreis Bergstraße der Öffentlichkeit übergeben werden konnte. Das Gesamtprojekt kostet rund 130.000 Euro. Ein Drittel dieses Betrages steuert das Land Hessen zu, die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen beteiligt sich mit 36.000 Euro. Restbeträge sind von den beteiligten Gemeinden aufzubringen. Die Kunstwerke werden erstellt von dem Künstler Jens Nettlich aus Winningen an der Mosel.

Herr Nettlich, wie verlief Ihr künstlerischer Werdegang?

Nettlich: Mein beruflicher Weg fing an mit einer Gold- und Silberschmiedelehre, hinzu kam ein Praktikum bei einem Schmied. An der Fachhochschule Hildesheim studierte ich dann Metalldesign und machte meinen Abschluß als Diplom-Designer, Fachrichtung Metallgestaltung. In das Gewerbe habe ich früh hereingeschnuppert, besuchte Kunsthandwerkermärkte, machte mich bereits während des Studiums selbständig. Heute arbeite ich als freier Designer bei verschiedenen Firmen, betreibe daneben einen eigenen Laden. Bekannt bin ich vor allem in der Messermacherszene, da ich schon Preise für Designermesser gewonnen habe. Ich stelle also handgeschmiedete, maßgeschneiderte Messer her, entwerfe aber auch für die Industrie-Produktion größerer Firmen.

Wie sind Sie auf das Thema der "Nibelungen" gestoßen?

Nettlich: Das Thema "Nibelungen" hat durchaus mit meiner Berufssparte Metallgestaltung/Schmiede zu tun. Man lernt ja hier zuerst alte Techniken. Das Alte faszinierte mich schon immer. Als Kind schon habe ich gerne die deutschen und germanischen Heldensagen gelesen. Ich entwickelte Interesse für alte Waffen - das macht ja schließlich meinen Beruf aus -, und dann forscht man eben weiter. Auch bei Mittelaltermärkten habe ich schon mitgemacht. Die Nibelungen waren schon immer eines meiner Herzthemen. Der Stoff ist komplex, undurchsichtig und uralt, das hat mich gereizt, zudem aber auch eine Geschichte von Macht, Gier, Verrat und Treue, die auch in unsere Zeit paßt.

Welchen Anspruch verfolgt das Projekt der "Nibelungen-Siegfried-Straße"?

Nettlich: Das ganze hat vor allem einen touristischen Aspekt. Man möchte Geschichte erfahrbar machen. Das Nibelungenlied spielt in einer Landschaft zwischen Xanten und Attilas Burg in Ungarn. Kerngebiet der Handlung ist der Odenwald, beziehungsweise die Gegend zwischen Worms und Würzburg. Dort haben mehrere Gemeinden die "Arbeitsgemeinschaft Nibelungen-Siegfried-Straße" gebildet, die eine Künstlerstraße initiieren wollte. Die Leute sollten wieder neugierig werden auf den Sagenstoff, lautete die Absicht. So wurde 2001 ein Wettbewerb ausgelobt. Das war eine Gelegenheit für mich, in der sich alles verband, was mich beschäftigte.

Im heutigen Meinungsklima gilt ein Thema wie dieses schon als "brisant". Haben Sie bei der Ausgestaltung freie Hand, oder gibt es Bedenken gegen Ihre Arbeit?

Nettlich: Die Nibelungen sind nunmal Teil unserer germanischen Geschichte, auch wenn die Beschäftigung mit derartigen Themen nicht unbelastet ist in Deutschland. In Deutschland zerfleischt man sich allerdings bis heute leider gerne selber, wenn das Wort "Germane" nur erwähnt wird. Hier gilt es differenzierter zu urteilen. Wir gehören einer Generation des neuen Europa an, die offen sagen kann: "Das ist unser Kulturgut, das wir nicht verstecken müssen, trotz des Schindluders, das damit getrieben worden ist." Schließlich handelt es sich hier ja auch um einen europäischen, nicht ausschließlich deutschen, Sagenstoff. Es gibt isländische Quellen, Übernahmen fanden in den englischen Sagenstoff der Artussage statt. Anfangs war nicht klar, daß ein Künstler alle Arbeiten macht, aber ich habe wohl den Nerv getroffen. Zwischen Worms und Freudenberg werden in 13 Gemeinden Szenen und Personen aus dem Nibelungenlied dargestellt. Man reist von Szene zu Szene, zum Beispiel Siegfried an der Quelle. Die Szenen sind mit den jeweiligen Gemeinden abgesprochen. Ich war anscheinend der einzige Künstler im Wettbewerb, der auch germanische Bezüge darstellte. So steht Wotan am Anfang und am Ende der Reihe, als Schöpfer und Zerstörer. Ich bin jedenfalls froh, durch dieses Gesamtkunstwerk zu dem schönen Projekt beizutragen, welches nichts mit Deutschtümelei zu tun hat.

Sie geben den Skulpturen eine sehr moderne künstlerische Note. Dient Ihnen die Abstraktion zur Verdeutlichung der seelischen Substanz der jeweils dargestellten Figur?

Nettlich: Nein. Ein wichtiger Aspekt war zuerst der preisliche Rahmen, an den ich mich zu halten hatte. Daraufhin sind die Figuren so stilisiert angelegt geworden. Daraus ergab sich aber auch künstlerisches Neuland. Es geht ja nicht um eine altbackene Kopie der Wagner-Epoche aus dem 19. Jahrhundert mit Schnürstiefeln und ähnlichem Zierrat. Wir leben im 21. Jahrhundert, aber es soll auch ein Bogen zur Geschichte gespannt werden. Dennoch habe ich die Figuren nicht so stark abstrahiert, das eine Gebrauchsanweisung nötig wäre. Man erkennt die Gestik der Körper sehr gut. Bewußt wählte ich den Farbkontrast Schwarz-Gold. Das Rheingold wird damit als Kernelement verkörpert, die Macht, die dunkle Kraft, die wieder unter der Oberfläche verschwinden muß. Zudem stehen die Figuren auf keinem Podest, es sind Figuren mitten unter uns.

Innerhalb welchen Zeitrahmens gedenken Sie das Projekt fertigzustellen, und welche Figurengruppen wird es komplett umfassen?

Nettlich: Bis Himmelfahrt 2004 soll das Gesamtprojekt abgeschlossen sein. Hauptfiguren sind Siegfried und Hagen, beide in verschiedenen Szenen, dann Brünhild, Krimhild, Attila, Wotan, Regin der Schmied und der Drache Fafnir. Interessanterweise wurde Hagen von den Gemeinden zuerst öfter gewählt als Siegfried. Interessant vor allem, weil Hagen aus germanischer Sicht den Charakterstarken darstellt, da Siegfried ein Eidbrecher ist. Hagen ist komplex und verkörpert die alte Ordnung, Hagen hat die Seelenstärke bewiesen, den geliebten Helden nach Walhalla zu bringen. Heute ist diese Sichtweise natürlich verschoben, doch die alte Sicht schwingt trotzdem wohl noch mit, da die Gemeinden ihn ja so bevorzugt wählten.

Welche neuen Pläne haben Sie für die Zukunft?

Nettlich: Konkrete Pläne habe ich nicht, die ergeben sich. Es findet sich allerdings Resonanz wegen der Figuren. Andere Gemeinden wenden sich wegen anderer Aufträge an mich.

 

Fotos: Skulptur "Siegfried und Fafnir" in Lindenfels: "Eine Geschichte von Macht, Gier, Verrat und Treue" / Jens Nettlich in seiner Werkstatt

Kontakt: Jens Nettlich, Atelier Metallformen, Bachstr. 18, 56333 Winningen. Tel.; 0 26 06 / 96 39 83, Fax: 0 26 06 / 96 39 84, Internet: www.metallformen.de 

 

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