© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/03 05. September 2003

 
Die ratlose Supermacht
Von Kabul bis Bagdad: Die USA befinden sich in einer strategischen Sackgasse
Alexander Griesbach

Ich glaube wirklich, daß der eigentliche Kampf noch gar nicht begonnen hat", warnte kürzlich ein US-Geheimdienstexperte, dessen Buch "Through our Enemies' Eyes" (Mit den Augen unserer Feinde) gerade in den USA Furore macht. Es ist ein ernüchterndes Bild, das der Autor, der anonym bleiben wollte, von der Situation in Afghanistan malt: Die Taliban kehrten zurück, und al-Qaida kämpfe mit alter Kraft im Untergrund von Afghanistan.

Diese konnten, während sich die USA und ihre Verbündeten um die Versorgung der Bevölkerung kümmern mußten, in aller Ruhe neue Anschläge vorbereiten und ihre Anhänger trainieren. Bin Laden und seine Getreuen haben die Amerikaner und ihre Helfer jetzt dort, wo sie sie haben wollten - auf dem Boden Afghanistans. Dort soll der Sieg über die Sowjetunion wiederholt werden. Auch die Anhänger von Ex-Premier Gulbuddin Hekmatyar, der bereits gegen die Sowjets kämpfte, schicken sich an, erneut die politische Bühne zu betreten. Kundus, der geplante Einsatzort der Bundeswehr in Afghanistan, liegt in der Provinz, in der Hekmatyar geboren wurde.

Wollen die USA und ihre Alliierten ihre Präsenz im Nahen und Mittleren Osten behaupten, dann steht ihnen ein langer blutiger Kampf ins Haus - nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Irak und anderswo. Die US-Regierung ist zwei Jahre nach dem 11. September 2001 in eine strategische Sackgasse geraten. Die Militäraktionen drohen sich zu einem Fiasko auszuweiten. Von einer Befriedung kann weder in Afghanistan noch im Irak die Rede sein. Auch von einer Schwächung des internationalen Terrorismus, der diese Kriege eigentlich dienen sollten, spricht keiner mehr.

Statt dessen wird die Negativbilanz länger und länger. Nicht nur, daß im Irak jeden Tag gefallene US- oder britische Soldaten zu beklagen sind. Die Kosten der Besatzung beider Staaten drohen jedes Maß zu sprengen. Deshalb sollen nun die Europäer zur Kasse gebeten werden. Selbst mit einem UN-Mandat kann sich Washington nun anfreunden, wenn man denn nur den Oberbefehl behalten darf.

Einmal mehr entpuppen sich deutsche Politiker in dieser für die USA so kritischen Situation als Fakire der Solidarität. Diesmal drängelt Angelika Beer, die in ihrer Zeit als Oppositionspolitikerin durch dezidiert antimilitaristische Initiativen aufgefallen ist, in der ersten Reihe. Wie Unionsfraktionsvize Wolfgang Schäuble möchte auch die Grünen-Chefin "notfalls" Bundeswehr-Soldaten in den Irak schicken: "Wenn es ein klares Uno-Mandat gibt und die Vereinten Nationen die Federführung übernehmen, muß auch Deutschland überprüfen, inwieweit es eine Befriedung des Irak politisch und militärisch unterstützen kann." Geht es nach der vermeintlichen "Pazifistin" Beer, sollen Bundeswehrsoldaten in dem Moment Ausputzer im irakischen Sumpf spielen, in dem immer deutlicher wird, daß der Widerstand gegen die Besetzung des Iraks durch Briten und Amerikaner tief verwurzelt ist und täglich weiter wächst. Daß Schäuble und seine Parteichefin Angela Merkel als bedingungslose Parteigänger von US-Interessen dies fordern, verwundert nicht mehr.

Wie geschichtsvergessen hierzulande mit der jüngsten Vergangenheit des Irak umgegangen wird, zeigt der Bombenanschlag auf das UN-Gebäude in Bagdad. Unisono wurde der Terrorakt als besonders "abscheuliches Verbrechen" gegeißelt. Dabei sei doch das einzige Ziel der Uno, "dem Irak zu helfen".

Zweifelsohne befanden sich unter den Toten auch UN-Mitarbeiter, die der aufrichtigen Meinung waren, sie dienten tatsächlich den Interessen der irakischen Bevölkerung. Vergessen ist jedoch, daß die Uno stets die ökonomischen Strafmaßnahmen, die Washington nach dem Golfkrieg von 1991 forderte, billigte. Bekanntlich führten diese Sanktionen unter anderem zum Tod Hunderttausender irakischer Kinder. Die Uno forcierte auch die Waffeninspektionen, die als Vorwand dienten, die Sanktionen gegen den Irak nur noch fester zu zurren. Schließlich hat der UN-Sicherheitsrat eine Woche vor dem Bombenanschlag den soeben gebildeten irakischen Regierungsrat begrüßt. Dieses Gremium, das von Washingtons Statthalter in Bagdad, Paul Bremer, ausgewählt wurde, existiert aber nur allein von Gnaden der USA.

Die humanitäre Hilfe, die ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Vereinten Nationen ist, wurde von Sérgio Vieira de Mello geleitet, jenem Mann also, der als Sonderbeauftragter des Generalsekretärs bei dem Anschlag in Bagdad ums Leben kam. Der Irak gehörte, darauf wies der ehemalige Uno-Beauftragte für dieses Land, Hans von Sponeck, hin, im Bereich der humanitären Hilfe nicht zu dieser Einheit. Den Irak hatte man, so Sponeck, "rausgenommen, abgekapselt, damit wurde das ganze kontrollierbarer für die Amerikaner und die Engländer".

Dann sei Personal hineingekommen, das zum Teil Geheimdiensten nahestand. Die USA deuteten vor de Mellos Ernennung durch Kofi Annan bereits an, daß dies der Mann sei, den man gerne hätte. Hätte die US-Regierung geschwiegen, so konstatiert Sponeck, wäre weniger offensichtlich gewesen, daß de Mello die Gunst der Amerikaner genoß. Damit dürfte wahrscheinlich sein, daß der Anschlag auf das Uno-Gebäude in Bagdad vor allem den Amerikanern - und ihrem vermeintlichen Günstling de Mello - gegolten hat.

Es gibt also viele Gründe für den irakischen Widerstand gegen die USA. Dieser operiert, sei es nun auf Betreiben von Islamisten oder von Saddam Hussein, inzwischen mit Methoden, die an den Krieg der afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjets erinnern. Diese zwangen Moskau einen Krieg auf, dessen gnadenloser Charakter sich mit dem Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht messen konnte. Es wird aufschlußreich sein, zu beobachten, wie die US-Armee mit diesem Untergrundkrieg umgeht.

Sowohl im Irak als auch in Afghanistan soll das Land für die Besatzer unregierbar gemacht werden. Je höher die Zahl der Gefallenen, desto größer dürfte der öffentliche Druck in den USA werden. Auch darauf dürften die Untergrundkämpfer spekulieren, die vor dem Tod nicht zurückschrecken. Washington verkündete bereits, man wolle die Anschläge mit noch stärkerer Repressionen beantworten. Die Bush-Regierung müsse ausreichende zusätzliche Mittel bereitstellen und wenn nötig zusätzliche Truppen schicken, forderte die New York Times.

Es gibt aber auch Stimmen, die darauf hinweisen, daß es vor dem Krieg im Irak keine Gefahr von bewaffneten Islamisten gab. Erst die Invasion und Besatzung habe Bedingungen herbeigeführt, in denen diese Organisationen aufblühen könnten. Eine Einsicht, die ihre Gültigkeit bereits 1979 bei der sowjetischen Besetzung Afghanistans hatte.


 
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