© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/03 05. September 2003

 
Als erstes kommt das Abc
Von der Meinung anderer zur eigenen: Peter Ustinov beklagt sich über seine Lehrer an einer Londoner Eliteschule
Thorsten Thaler

In der aktuellen Ausgabe der Frauenzeitschrift Brigitte äußert sich Sir Peter Ustinov (82), Autor, Schauspieler, Menschenfreund und Großironiker, maliziös und sarkastisch über seine - immerhin schon einige Jährchen zurückliegende - Schulzeit in London. Der kleine Peter war privilegiert und durfte die teure Eliteschule Westminster, eine Privatschule von feinster altbritischer Machart, besuchen. Dennoch hat er keine gute Erinnerung daran.

Keiner von den Lehrern habe dort die Schüler nach ihrer eigenen Meinung gefragt. Statt dessen habe man lernen müssen, "eine Meinung auszudrücken, die nicht die eigene ist". Das sei "kolossal dumm" gewesen, konstatiert Sir Peter und meint es offenbar kolossal ernst, ganz ohne doppelten Boden und ohne sein berühmtes Augenzwinkern.

Welcher Kobold hat ihn denn da geritten? Paßte ihm vielleicht die Nase der Interviewerin nicht? Erziehung besteht doch überall darin, mit der eigenen Meinung zunächst einmal hintanzuhalten, sich mit den Tatsachen des Lebens bekannt zu machen, das Abc zu lernen, Vokabeln und mathematische Formeln zu pauken usw.

Im Falle wirklich guter Erziehung, Elite-Erziehung, tritt dann eben hinzu, sich an den großen Texten von Dichtern, Philosophen und anderen Weisen, also der "Meinung anderer", zu üben und zu lernen, sie makellos wiederzugeben. Damit kann man gar nicht früh genug beginnen. Je früher, desto erfolgreicher ist die Schule. Die eigene Meinung kommt immer noch früh genug, und sie artikuliert sich um so sicherer, je besser man versteht, sich an der Meinung anderer und deren guter Form zu erproben und sich mit ihnen zu messen. Schaden kann das auf keinen Fall, im Gegenteil.

Auch Peter Ustinov hat es offenbar nicht geschadet, es hat ihm allem Anschein nach eher sehr genützt, und zwar nicht nur in seinem Beruf als Schauspieler. Vielleicht verhilft es ihm auf seine alten Tage auch noch dazu, seinen bestimmt nicht schlechten Lehrern an jener Londoner Eliteschule Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.


 
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