© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/03 19. September 2003

 
Erziehung
In Watte gepackte Prinzen
Dieter Stein

Da wächst eine Generation von Egoisten heran, die mit ihrer Rücksichtslosigkeit und ihren fehlenden Manieren nicht nur uns das Leben schwer macht, sondern vor allem auch sich selbst." Wo dieser Satz steht? Nicht in einem reaktionären Traktat, sondern in der September-Ausgabe der Zeitschrift Eltern. "Müssen Eltern wieder strenger werden?" werden die Leser in der Titelgeschichte gefragt und erhalten die Antwort: "Kinder brauchen starke Sparringspartner und keine ständig nachgebenden Weichlinge."

Warum ist das so, daß nicht nur immer weniger Kinder geboren werden, sondern diese immer häufiger als verwöhnte Prinzen verhätschelt aufwachsen, die nach Rundumbetreuung verlangen? Unsere Gesellschaft scheint die Kinder zu haben, die sie verdient. Sie drückt ihnen ihren Stempel auf - so oder so. Bereits die Eltern sind doch mit der Erfahrung groß geworden, daß der Einzelne immer seltener die Konsequenzen für sein Handeln tragen muß. Überall winken weiche Polster, Hängematten und Resozialisierungsprogramme, die es beinahe unmöglich zu machen scheinen, daß der Einzelne auslöffelt, was er sich einbrockt. Bei völliger Überschuldung und explodierender Arbeitslosigkeit steht aktuell die öffentlich subventionierte Ganztagsbetreuung für Kinder und Jugendliche hoch im Kurs. Alle Risiken werden grundsätzlich sozialisiert, d. h. auf die Gemeinschaft abgewälzt - und sei es, daß die Schule die verkorkste Erziehung wieder geradebiegen soll.

Im Grunde leben wir in einer Gesellschaft, in der demnächst auch Ganztagsbetreuung für Erwachsene notwendig ist - und nach diesem Ideal geraten schon jetzt die Kinder. Trotzdem, so ermittelte die Eltern-Redaktion, sagen 64 Prozent der Deutschen, daß Kinder nicht mehr streng genug erzogen werden, 86 Prozent fordern mehr Respekt gegenüber Erwachsenen.

Wer selbst ein Kind hat, kann miterleben, wie der kleine Mensch tagtäglich mit Freude bemüht ist, sich in der Welt zurechtzufinden, in die er durch die Geburt geworfen wurde. Schritt für Schritt wird sie tastend erobert. Mein einjähriger Sohn machte dabei kürzlich die Erfahrung körperlicher Züchtigung: Wiederholt war er kreischend hinter unserer Katze hergekrabbelt und hatte versucht, ihr Fell zu packen. Ein roter Kratzer auf seiner kleinen Stirn zeugte kurz darauf davon, daß sich die Katze zu wehren gewußt hatte. Plötzlich hielt nun der Kleine respektvoll Abstand und näherte sich der Katze vorsichtiger, ja zärtlicher.

Die ersten Worte: Ganz genau will ein Kind wissen, wie die Gegenstände heißen, die es umgeben. Auto, Ball, Zahnbürste. Sprache ist klar und deutlich. Warum maßen wir uns eigentlich an, ein Kind in ein festes Korsett einer Sprache zu zwängen? Weil es gut ist. Ein Kind ist glücklich, Gegenstände und Begriffe zusammenzufügen wie ein Puzzle.

Was für die Sprache gilt, trifft auch für alle anderen Fragen der Erziehung zu: Ein Kind will wissen, wo's langgeht. Klares Ja, klares Nein. Hier ist die Grenze, da darfst du hin, da nicht. Und dann kann die aufregende Entdeckungsreise weitergehen - in die große weite Welt.


 
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