© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/03 26. September 2003

 
Eine nationale Frage
Der Streit um ein Zentrum gegen Vertreibungen bricht offen aus
Peter Freitag

Die Debatte um das geplante Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin hat neuen Zündstoff erhalten. Die polnische Zeitschrift Wprost zeigte auf ihrem Titel eine Fotomontage, in der die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, mit einer SS-Uniform angetan auf dem Rücken des Bundeskanzlers reitet. Diese drastische Karikatur enthält alles, was eine erfolgreiche Kampagne ausmacht: Sie provoziert den Gegner und bewirkt Geschlossenheit in den eigenen Reihen. Aus der Initiative für das institutionalisierte Gedenken an die Opfer der Vertreibung könnte, so die Furcht vieler Polen, der Anspruch auf Eigentumsrestitutionen abgeleitet werden.

Man kann die Verunglimpfung der deutschen Politikerin als das abtun, was sie ist: eine Geschmacklosigkeit. Doch greift dies zu kurz. Aus polnischer Sicht ist es eine durchaus verständliche Reaktion auf die Bedrohung nationaler Besitzstände. Staaten und Völker mit gesundem Selbstbewußtsein sind in solchen Fällen eben nicht zimperlich - Beispiele aus angelsächsischen Medien gibt es dafür zuhauf.

Ganz anders stellt sich die Lage in unserer Res Publica dar. Als am Montag Bundeskanzler Gerhard Schröder im Ruhrgebiet mit Polens Ministerpräsident Leszek Miller zusammensaß, betonte der deutsche Regierungschef genauso wie sein polnischer Kollege, daß "der Gefahr der Einseitigkeit wegen" Berlin kein geeigneter Standort für das Projekt sei. Damit reihte sich der Kanzler erneut öffentlich in die Schar derjenigen ein, die wie seine Parteifreunde Markus Meckel und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gegen das Berliner Zentrum Stellung beziehen. In Meckels Aufruf heißt es: "Die Gestaltung eines solchen Zentrums als vorwiegend nationales Projekt ... ruft das Mißtrauen der Nachbarn hervor und kann nicht im gemeinsamen Interesse unserer Länder sein."

Die in Deutschland grassierende Sorge um die Interessenwahrung unserer Nachbarn - gemeint sind die Staaten, aus denen nach 1945 Deutsche gewaltsam vertrieben worden sind - ist im Gegensatz zu den scharfen Tönen in Polen und der tschechischen Republik das wirklich Befremdliche. Nun ist Schröder ein durch und durch pragmatischer Politiker, der nicht zu nationaler Leisetreterei neigt; ihm scheint die ganze Debatte eher lästig und zeitlich ungelegen zu sein im Hinblick auf die Beitrittsverhandlungen mit Polen und die Diskussion über eine europäische Verfassung. Anders motiviert ist aber die Haltung von Schröders Vize Fischer. Der Außenminister erklärte seine Ablehnung des Berliner Zentrums damit, daß er die Deutschen nicht als Opfer sieht: Die Vertreibung - auch die Verbrechen an unschuldigen Deutschen - bewertete der Außenminister in einem Interview der Zeit als "deutsche Selbstzerstörung".

Fischers Parteifreund und Bundestagskollege Jerzy Montag, der zu den Unterzeichnern von Meckels Aufruf gehört, spitzte die Ablehnung mit dem Argument zu, "ein Vertriebenenmahnmal neben dem Holocaustmahnmal in Berlin, der Hauptstadt Deutschlands, wäre politisch verheerend". Die Begründung schwang unausgesprochen mit: Du sollst keine anderen Opfer haben neben ...

Sieht man von vereinzelten Verlautbarungen derjenigen Politiker ab, die hinter dem geplanten Zentrum stehen, waren in den deutschen Medien keine lautstarken Proteste angesichts der polnischen Ausfälle gegen Frau Steinbach zu vernehmen. Peter Glotz, der Co-Vorsitzende der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, sprach von der "schlimmsten publizistischen Entgleisung", und der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hartmut Koschyk, forderte den Kanzler auf, ein "Weitertreiben der polnischen Stillosigkeiten" zu unterbinden, doch blieben solche Forderungen ohne nennenswerte Resonanz. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle zeigte sich zwar ebenso besorgt über die polnischen Ausfälle und Meckels Diskussionsbeiträge, doch beeilte er sich hinzuzufügen, Frau Steinbach hätte besser der "rechtsgerichteten" JUNGEN FREIHEIT kein Interview gegeben.

Tatsächlich ist die BdV-Vorsitzende in einer denkbar unangenehmen Lage. Soll das Zentrum gegen Vertreibungen tatsächlich in Berlin entstehen, ist sie auf Fürsprecher in den politischen Lagern angewiesen, die in der Vergangenheit nicht gerade mit besonderer Verve die Vertriebenenlobby unterstützten. Solche fanden sich in Glotz, den jüdischen Professoren Wolffsohn und Schoeps ebenso wie in den Bürgerrechtlern Klier und Gauck und im Vorsitzenden der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch. Als auch noch Ralph Giordano und Daniel Cohn-Bendit für das Projekt versöhnlich gestimmt werden konnten, schien genug moralischer Kredit vorhanden. Voraussetzung war jedoch, daß das Zentrum nicht auf die deutschen Opfer der Vertreibungen beschränkt bleibt und daß die Vertreibungsverbrechen in den historischen Kontext des deutschen Angriffskrieges gegen die Vertreiberstaaten eingebettet werden. Damit machte sich Frau Steinbach in den eigenen Reihen nicht nur Freunde.

Nun erlebt sie, daß man ihr diesen erweiterten Ansatz als Mimikry auslegt und ihr in Polen und der Tschechischen Republik, aber auch in Deutschland vorwirft, den schwierigen "Aussöhnungsprozeß" zu gefährden.

Die Ablehnungsfront, die das Vertreibungszentrum bei unseren östlichen Nachbarn hervorruft, sollte die deutschen Bedenkenträger ermutigen, diesen Ländern die Sorge um ihre nationale Sichtweise selbst zu überlassen; nicht zuletzt die Frage der Beibehaltung der Benes-Dekrete hat gezeigt, daß sie dies ganz gut alleine können. Wenn Miller die "Aussiedlungen" ein "notwendiges Übel" nennt und sein tschechischer Kollege Spidla die Vertreibung als "Quelle des Friedens" bezeichnet, ist es fraglich, ob man in diesen Punkten auf absehbare Zeit Einigkeit erlangen kann.

Die Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibungen - Standortfrage hin, Europäisierung her - zeigt auf erschreckende Weise, wie aktuell der Vorwurf ist, den der Politologe Bernard Willms schon vor zwanzig Jahren erhoben hatte: Das "Dominantsetzen der Sichtweise der Sieger" bei der Beurteilung der jüngeren Vergangenheit sei in der Folgezeit nichts anderes "als die Fortsetzung des Krieges (respektive der Vertreibung, P. F.) mit anderen Mitteln".

Ein Urteil aber, das nur in der Übernahme der Sichtweise der anderen besteht, ist "disqualifiziert". Denn ein eigenes Urteil setzt, so Willms, einen "Subjektcharakter" voraus. "Eigenes Urteil bedeutet hier, von sich selbst her zu urteilen, in eigener Annäherung an Bestände und Kategorien". Nur ein Urteil vom "Standpunkt der Nation her kann politisch sinnvoll sein".


 
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