© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/03 03. Oktober 2003

 
Abstand nehmen
Eine ständige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat ohne Veto-Recht wäre fatal
Josef Schüßlburner

B undeskanzler Schröder als Sozialdemokrat hat in seiner Ansprache an die UN-Generalversammlung anzudeuten gewagt, daß man sich bei einer - als wünschenswert bezeichneten - Reform der Uno, insbesondere bei Erweiterung des Sicherheitsrates, vorstellen könnte, einen ständigen deutschen Sitz in diesem Weltgremium zu beanspruchen.

Eine derartige Stellung Deutschlands und Japans würde sichtbar den Zweiten Weltkrieg beenden, dessen Ergebnis gerade durch die Struktur der Uno fortgeschrieben wird. Die Forderung ist gerecht, da der Sicherheitsrat nun einmal eine Weltoligarchie darstellt und die wesentliche Rechtfertigung oligarchischer Strukturen - "Wer zahlt, schafft an" - das Geld ist: Wer rechtmäßig erworbenen Reichtum hat, zeigt bestimmte Fähigkeiten, die es im Allgemeininteresse der Weltordnung nutzbringend einzusetzen gilt, wozu der Anreiz des politischen Einflusses ersichtlich beiträgt. Der entsprechende politische Einfluß des Zahlenden garantiert dann auch eher, daß das Geld sinnvoller als bislang ausgegeben wird. Da Deutschland schon längere Zeit drittgrößter Beitragszahler ist, wäre die Forderung nach einer internationalen Privilegierung durchaus angezeigt.

Allerdings wäre zeitgeschichtlich die ideologisch gebotene Alternative die Schaffung eines Weltparlaments nach dem Prinzip one man, one vote. Gegen die Einführung einer Weltdemokratie, selbst wenn sie sich verwirklichen ließe, wenn neben Indien auch China die Demokratie einführte, dürften aber die USA ihr Veto einlegen. In einer Weltdemokratie würden sie nämlich gewissermaßen auf den Stand der FPD im Bundestag reduziert. Aufgrund dieser Konstellation bedarf es im internationalen Rahmen der Argumente, die eine oligarchische Stellung rechtfertigen, was neben Reichtum die Militärmacht und damit einhergehende Kriegsbereitschaft oder ideologische Stärke, das heißt Sendungsbewußtsein und Weltgestaltungswillen erfordert. Unter diesen Gesichtspunkten ist dann die Frage zu stellen, wer die entsprechende Änderung der UN-Satzung, die Deutschland als Veto-Macht einsetzt, unterstützen würde und wie man zur Unterstützung bereite Staaten davon überzeugt, daß eine deutsche Veto-Position in ihrem Interesse liegt.

Es dürfte klar sein, daß ein deutscher Wunsch, Veto-Macht zu werden, hauptsächlich von den Staaten bekämpft wird, die offiziell als "Freunde" bezeichnet werden, wie etwa Italiener, Polen und Engländer. Dagegen könnten die USA und Frankreich eventuell zur Unterstützung geneigt sein, wenn Deutschland zur Ausrichtung auf deren Weltgestaltungswillen bereit ist. Dies dürfte im Ergebnis, wie von amerikanischen think tanks bereits angedeutet, auf die Schaffung einer Kategorie von ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates hinauslaufen, die gerade über kein Veto-Recht verfügen, und in diesem Sinne dürfte eher die vorsichtige Formulierung des Bundeskanzlers zu verstehen sein: Man ist bereit, ständiges Mitglied zu werden, ohne damit die Veto-Macht zu beanspruchen.

Dies liefe jedoch auf einen verhängnisvollen Kompromiß hinaus: Dann wären die Deutschen und daneben die Japaner verstärkt in die Pflicht genommen, ohne die damit verbundene Macht als Gegenleistung zu bekommen. Sie müßten mehr Geld und Kanonenfutter stellen, damit die Veto-Mächte, insbesondere die USA, im Rahmen der Uno besser ihr Sendungsbewußtsein ausleben können. Von einer derartigen Stellung Deutschland muß daher dringend abgeraten werden: Die Position eines ständigen Mitglieds des UN-Sicherheitsrats ergibt nur dann einen Sinn, wenn dies mit dem Veto-Recht verbunden ist.

Damit stellt sich die Frage, was Deutschland mit seinem Veto-Recht machen würde. Die Antwort, die andere Staaten legitimerweise erwarten dürfen, setzt die Vorstellung von einer Weltordnung voraus, die nicht unbedingt der amerikanischen Sicht folgt, mit dem Ergebnis, daß ein deutsches Veto durchaus gegen US-Interessen in Einsatz gebracht werden müßte. Eine derartige Position könnte etwa sein: Deutschland bekennt sich zum klassischen Völkerrecht souveräner Staaten, modifiziert durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Verwirklichung der Demokratie wird als wünschenswert angesehen, jedoch auf der Prämisse beruhend, daß der demokratischen Idee nur durch einen Staatenpluralismus Rechnung getragen werden kann und deshalb die Internationalisierung im Grundsatz abzulehnen ist. Deutschland müßte in etwa die Position des freien Verfassungspluralismus einnehmen, den Sparta im Peloponnesischen Krieg gegen Athen vertreten hat, das in seinem Bereich zur manipulativen Demokratisierung den Bürgerkrieg gefördert hat. Deutschland müßte die Position der konföderierten Südstaaten gegen die liberalen, wertedemokratischen Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg einnehmen: Demokratie erfordert das Sezessionsrecht aus der Weltordnung und ist nur partikularistisch zu verwirklichen!

Aber steht einer derartigen "antiamerikanischen" Position nicht schon der Verfassungsschutz entgegen? Diese Frage soll nur zeigen, welch weitreichende Denkreformen erforderlich wären, um den Erwerb einer Veto-Position im UN-Sicherheitsrat anstreben zu können. Aber gerade deshalb sollte dieses Ziel als politische Forderung formuliert werden.

 

Josef Schüßlburner arbeitete von 1987 bis 1989 im Referat für Völkerrechtskodifikation des Sekretariat der Uno in New York.


 
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