© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/03 10. Oktober 2003

 
Wir sprechen deutsch!
Die Pflege der Muttersprache ist ein großes Gemeinschaftswerk
Thomas Paulwitz

In Kairo eröffnete Kanzler Gerhard Schröder am vergangenen Wochenende eine deutsche Auslandshochschule. Nach der "Deutschsprachigen Universität Budapest" ist sie erst die zweite Gründung dieser Art. Allerdings finden die Vorlesungen und Seminare der "German University in Cairo" überwiegend auf englisch statt, obwohl zahlreiche Dozenten aus Deutschland kommen. Warum wird hier die deutsche Sprache preisgegeben?

Am auffälligsten spiegelt sich das Ansehen unserer Sprache in der Werbung wider, die im Grunde kreativ mit ihr umgehen sollte. Indes: "One World, one brand, one claim" - "Eine Welt, ein Markenzeichen, ein Werbeleitspruch" lautet die Weisheit vieler Großunternehmen, die glauben, immer stärker auf Deutsch verzichten zu können. Aus ihrer Sicht ist die Welt ein Verbrauchervolk, die Marke ein Verbraucherreich, der Werbespruch ein Verbraucherführer. Regiert werden soll das zu melkende Verbrauchervolk über eine weltweite Einheitssprache. Deutsch ist zum Globalisierungsopfer geworden.

Doch Sprachschutz ist auch Verbraucherschutz. Das untermauert eine kürzlich vorgestellte Untersuchung. Die Endmark AG zeigt, daß eine große Zahl englischer Werbesprüche die Deutschen in die Irre führt. Nur acht Prozent der 19- bis 49jährigen verstehen RWE: "One Group. Multi Utilities". Sirenen im Stimmbruch: "Come in and find out" (Douglas) übersetzen viele falsch mit "Komm herein und finde wieder heraus". Ausgerechnet McDonald's, dessen "Every time a good time" am besten verstanden wird (59 Prozent), wirbt nun mit "Ich liebe es". McDonald's beherzigt hier die Wirtschaftsweisheit "Every business is local", was etwa bedeutet: Jedes Geschäft findet am Ort des Kunden statt. Der Siemens-Konzern ist noch nicht ganz so weit. Er wirbt zwar in Spanien auf spanisch, in Frankreich auf französisch, in Deutschland jedoch - auf englisch.

Die Werbung ist nur ein Beispiel für den Stellenwert der deutschen Sprache in Deutschland, zeigt aber den Bedarf für Sprachpflege. Sie hat verschiedene Ebenen. Der Einzelne ist für sie genauso verantwortlich wie die Gemeinschaft. Aristoteles erklärte in seiner "Politik", daß es die Aufgabe der Sprache sei, "das Nützliche und Schädliche deutlich kundzutun", damit sich der einzelne Mensch vorstellen könne, was Recht und was Unrecht sei. Aristoteles weiter: "Die Gemeinschaftlichkeit dieser Vorstellungen ruft aber eben das Haus und den Staat ins Leben."

Wer also durch Sprachvernebelung die Entwicklung des Rechtsbewußtseins behindert, der schadet folglich nicht nur dem Einzelnen, sondern auch dem ganzen Staat, dessen Ordnungsgrundlage das Recht ist. Es reicht deswegen nicht, wenn der einzelne Bürger auf die Verständlichkeit seiner Sprache achtet. Auch die Gemeinschaft steht in der Pflicht. Darum muß Sprachpolitik betrieben werden. Deswegen hat die Zeitung Deutsche Sprachwelt zum Tag der deutschen Sprache zehn sprachpolitische Forderungen aufgestellt, in denen es um mehr geht als um die Bekämpfung überflüssiger Anglizismen ( www.deutsche-sprachwelt.de ). Die erste Forderung lautet: "Deutsch muß im öffentlichen Raum die vorrangige Sprache sein."

Aristoteles sah den Ursprung des Staates im "Haus" (oikos), in dessen Gemeinschaft die Familie eine wichtige Rolle einnimmt. Dort erlernt der Mensch seine Muttersprache. Die Pisa-Untersuchung hat gezeigt, wie wichtig es für die Lesefähigkeit der Kinder ist, daß sie in einem gesicherten sozialen Umfeld aufwachsen. Eltern, die sich um die Spracherziehung ihrer Kinder kümmern wollen, wird es jedoch nicht leichter gemacht, wenn die Kultusminister ständig die Bildungsstandards verändern. Seit der Rechtschreibreform können Eltern keine sicheren Ratschläge mehr darüber geben, wie etwas richtig geschrieben wird, wo ein Komma zu setzen ist und wo keines. Durch die Reformierung der Schreibschrift können die Eltern ihren Kindern nicht mit den Kenntnissen helfen, die sie selbst erworben haben. Statt dessen sollen die Eltern von ihrer Erziehungspflicht mit Hilfe von Verwahranstalten, Ganztagsschulen genannt, weitgehend entbunden werden. Statt die freie Entwicklung in der Familie zu unterstützen, der Keimzelle auch des Staates, fordert die Staatsgewalt in Verkennung ihrer Aufgabe die "Lufthoheit über den Kinderbetten", wie SPD-Generalsekretär Olaf Scholz das nennt. Der Staat ist zur Beute der Bürokratie geworden, deren Trachten das Einschränken der Freiheit ist.

Fehler finden sich auch auf einer höheren Ebene der Bildungspolitik. Während die Spracherziehung der Kleinen erschwert wird, haben sich Ende September in Berlin vierzig europäische Staaten darauf verständigt, im Zuge des Bologna-Prozesses bis 2010 einen einheitlichen europäischen Hochschul- und Forschungsraum zu schaffen. Infolge der europaweiten Amerikanisierung des Hochschulwesens soll das System von Bachelor- und Masterabschlüssen vollständig eingeführt werden. Das "Berliner Communiqué", in dem die Einzelheiten beschrieben sind, ist bezeichnenderweise bis jetzt nur auf englisch zu bekommen. Mit der Amerikanisierung des Hochschulbetriebes ist ein schrittweises Vordringen der englischen Sprache verbunden. Immer mehr Vorlesungen werden schon jetzt auf englisch gehalten.

Sprachvereine aus dem gesamten deutschen Sprachraum haben darum kürzlich in ihrer "Klosterneuburger Entschließung" dazu aufgerufen, die deutsche Sprache auch in den Wissenschaften zu bewahren. Wenn auch für den weltweiten Austausch eine international übliche Verständigungssprache verwendet werden solle, "so haben doch Denken, Arbeiten, Diskutieren, kreatives Forschen keine Chance, wenn ihre Grundlage, die differenzierte, logische und hoch assoziative Muttersprache - Quell unserer Denkstruktur und unseres Weltwissens - aufgegeben wird".

Den Zahlen nach müßte eine Europäisierung des Hochschulwesens eigentlich der deutschen Sprache zugute kommen, die rund 145 Millionen Menschen in ganz Europa sprechen. Deutsch liegt damit hinter Englisch (176 Millionen Sprecher) an zweiter Stelle. Doch nicht einmal in der Europäischen Union nützt das vorhandene zahlenmäßige Gewicht. Obwohl der deutschsprachige Raum das höchste Bruttosozialprodukt in Europa erwirtschaftet, werden EU-Dokumente zu 55 Prozent auf englisch, zu 44 Prozent auf französisch und nur zu ein Prozent auf deutsch abgefaßt. Nur mit der Hilfe aktiver Sprachpolitik kann die deutsche Sprache den Stellenwert einnehmen, der ihr zukommen müßte, in Berlin genauso wie in Kairo. 

 

Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der "Deutschen Sprachwelt", Postfach 1449, 91004 Erlangen.