© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/03 10. Oktober 2003

 
Der letzte Raub des Volkseigentums
Verschwundene SED-Millionen: Der Verbleib großer Geldsummen ist im Gewirr der internationalen Kapitalströme nur noch schwer nachzuvollziehen
Alexander Barti

"Energie geht nicht verloren, sondern wandelt sich nur um." Ein fast ähnliches Gesetz könnte man über politische Systemwechsel des 20. Jahrhunderts aufstellen. Demnach gehen nur wenige Akteure des jeweils untergegangenen Systems "verloren", die meisten überleben durch ihr angehäuftes Beziehungs- und Finanzkapital. Aus dieser Perspektive ist der frustrierte Aufschrei von Gunter Weißgerber (SPD) zu verstehen. Weißgerber, der wie die Berliner Unabhängige Kommission für Parteivermögen (UKPV) verschwundenen DDR-Millionen nachspürt, erklärte sinngemäß, er vermute noch Restbestände der Gelder auf Konten der Ungarischen Nationalbank (MNB). Da die Ungarn aber mauerten, könne das den "Ostdeutschen geraubte Geld" nicht dem rechtmäßigem Eigentümer, also Hans Eichels Staatskasse, zugeführt werden.

In einer kurzen Pressemitteilung wies die MNB die von Weißgerber erhobenen Vorwürfe zurück. Man kooperiere auf allen Ebenen mit den deutschen Behörden, von einer Behinderung der Ermittlungen könne keine Rede sein. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bekräftigte MNB-Pressesprecher Gábor Misura die regelmäßige Zusammenarbeit mit den Deutschen. Gleichwohl wies er darauf hin, daß es ungemein schwierig sei, den Geldtransfer zu rekonstruieren, besonders wegen anderer technischer Voraussetzungen Anfang der neunziger Jahre.

Die eigentlichen Probleme waren und sind jedoch die Scheinfirmen und Strohmänner, durch die die Gelder so lange verschoben wurden, bis sie "reingewaschen" wieder in den legalen Finanzkreislauf gelangten. Eine solche Tarnfirma dürfte die Ost-Berliner Handelsfirma Novum GmbH gewesen sein, die jüngst wieder in den Schlagzeilen war. Die Firma wurde 1951 von dem österreichischen Kommunisten Georg Knepler gegründet. Allerdings handelte Knepler, der Rektor der Berliner Musikakademie "Hanns Eisler", nicht in eigener Sache, sondern im Auftrag der Genossen. Welcher Genossen? Diese Frage wurde am 23. September vom Oberverwaltungsgerichts Berlin (OVG) in zweiter Instanz endgültig geklärt: Die Firma gehörte der DDR, ihr Vermögen von etwa 250 Millionen Euro somit der Bundesrepublik.

Wien war die Drehscheibe der verschobenen SED-Millionen

Die österreichischen Kommunisten (KPÖ), die bis zuletzt gehofft hatten, daß ihnen das Gericht "wie in der ersten Instanz" die Rechte an Novum zuspricht, sind entsprechend enttäuscht und vermuten politische Absicht hinter dem Richterspruch. Hätte die KPÖ das Novum-Vermögen höchstrichterlich bekommen, wären vielleicht weitere Millionen "verschwunden". Denn von den 250 Millionen Euro konnten 1992 nur etwa 125 Millionen beschlagnahmt werden. Der Rest ist seitdem unauffindbar.

Eine Schlüsselrolle in diesem Fall spielt sicherlich Rudolfine Steindling, die seit 1973 die Firma von Knepler übernommen hatte. Die eloquente Wiener Kommerzialrätin Steindling, in jüngeren Jahren noch glühende Kommunistin, machte Novum zu einem wichtigen Faktor innerhalb der DDR-Wirtschaft. Der Aufstieg der Firma begann, als die DDR ab Anfang der siebziger Jahre das sogenannte "Zwangsvertretersystem" einführte, um die abstürzende Wirtschaft mit Devisen zu versorgen. Nach diesem System mußte jede westliche Firma, die in Mitteldeutschland tätig sein wollte, einen staatlichen Handelsvertreter zwischenschalten. Novum hatte den Status eines solchen Vertreters und kassierte für jedes Geschäft mit dem Klassenfeind eine ordentliche Provision.

Ein Teil der "Gebühren" ging an die berühmt-berüchtigte Kommerzielle Koordination (KoKo) von Alexander Schalck-Golodkowski, der Rest blieb bei Novum bzw. bei Steindling, die in ihrer Wiener Villa mit den Einkünften aus dem "Arbeiter- und Bauernstaat" einen eher bourgeoisen Lebensstil pflegte - sicherlich mit Billigung der sozialistischen Oberen. Denn Steindling, auch bekannt als "rote Fini", war geschäftstüchtig. Der wohl größte Auftrag gelang ihr mit der österreichischen Voest, die für eine halbe Milliarde Euro ein Stahlwerk in Mitteldeutschland errichten durfte. Wie viel Provision damals in "Finis" Taschen wanderte, darüber gibt es zwar keine Angaben, aber vermutlich dürften es über zehn Millionen Euro gewesen sein. Obwohl Rudolfine Steindling vermutlich konkrete Hinweise geben könnte, wo die verschwundenen Millionen Euro sein könnten, wurden sämtliche Ermittlungsverfahren "aus Mangel an Beweisen" eingestellt. Um aber ganz in Sicherheit zu sein, hat die rüstige Rentnerin Steindling ihren Lebensmittelpunkt inzwischen nach Israel verlagert. Zum Staatschef Ariel Scharon werden ihr beste Kontakte nachgesagt, ihren Namen findet man aber zum Beispiel auch im Führungsstab der Jerusalem- Stiftung.

In einem Artikel der linksliberalen Tagezeitung Népszabadság vom 26. September, in dem über die Vorwürfe gegen die Ungarische Nationalbank (MNB) berichtet wird, findet sich ein Hinweis auf den Stasi-Agenten Günther Forgber. Die Deutschen sollten doch Forgber nach den Millionen fragen, heißt es im Népszabdaság-Artikel gereizt, da der Mann angeblich wieder aus seinem spanischen "Exil" heimgekehrt sei und nun bei Berlin wohne. Forgber war im November 1994 untergetaucht, nachdem die Berliner Justiz wegen des Verdachts der Untreue gegen ihn und seine Rolle in der Firma Exportcontact zu ermitteln begann. Angeblich hatte es unrechtmäßige Geldüberweisungen nach Österreich, Schweiz, Panama und Israel gegeben.

Die Berliner Zeitung berichtete am 10. Februar 1995, daß das Unternehmen Exportcontact "laut Stasi-Akten zu einer der wichtigsten Beschaffungslinien des MfS gehörte, wenn es um Embargogüter auf dem High-Tech-Sektor ging". Finanziell dürfte Geschäftsführer Forgber von Schalck-Golodkowskis KoKo-Abteilung bestens ausgestattet worden sein, sonst hätte er keine Spitzentechnologie einkaufen können. Ob es zwischen Forgber und "Fini" Steindling auch nach der Wende ein "geschäftliches Interesse" gab, ist zwar nicht bekannt, aber wahrscheinlich. Immerhin konnten deutsche Fahnder vor Forgbers Abtauchen etwa 22 Millionen Euro sicherstellen - zumindest auf seinen bekannten Konten.

Nachdem der Wiener Finanzplatz offensichtlich eine Drehscheibe bei der Verschiebung von SED-Vermögen war, rückt unwillkürlich ein in Deutschland kaum beachteter Bankenskandal ins Licht. Am 1. April 1996 veröffentlichte die Österreichische Bankenaufsicht einen Bericht über die Central Wechsel- und Creditbank AG (CW Bank) mit Sitz in der Wiener Kärntnerstraße. In der Untersuchung wurden erhebliche Mängel in der gesamten Unternehmensführung festgestellt, die zu einer finanziellen Schieflage des Geldinstitutes geführt hätten. Die Bankenaufsicht verlangt von den Eigentümern sofortiges Handeln, um den Bankrott abzuwenden.

In Budapest ließ man sich durch den Alarm der Aufsicht nicht aus der Fassung bringen, denn die CW Bank war ein Tochterunternehmen der Ungarischen Nationalbank und damit fast unbegrenzt kreditwürdig. Seit Mitte 1994 hatten außerdem wieder die Wende-Kommunisten unter Ministerpräsident Gyula Horn die politische Macht in Ungarn, so daß bis zu ihrer Abwahl 1998 bei der CW alles beim Alten bleiben konnte.

Mit der Machtübernahme der Bürgerlichen unter Ministerpräsident Viktor Orbán 1998 spitzte sich die Lage in Wien derart zu, daß die internationalen Wirtschaftsprüfer Pricewaterhouse Coopers (PWC) eine interne Untersuchung der CW Bank durchführen sollten. Im September 1999 setzte das ungarische Parlament zusätzlich eine Untersuchungskommission ein, um die Verantwortlichen für die katastrophale Geschäftspolitik zu ermitteln. In dem streng vertraulichen Abschlußbericht von PWC, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, wird das Geschäftsgebaren in der Zeit vom 31. Dezember 1990 bis 30. Juni 1998 dargestellt. Vor der Wende habe die Aufgabe der CW Bank darin bestanden, staatliche ungarische Wirtschaftsunternehmen zu finanzieren, so PWC. Seit der Ernennung von Imre Makai zum Vorstandsvorsitzenden 1991 habe dieser versucht, so PWC, durch seine "guten russischen Sprachkenntnisse und seine osteuropäischen Kontakte das Betätigungsfeld in Richtung einer exportfinanzierenden Bank zu verändern". Komisch nur, daß gerade als der Markt der "sozialistischen Bruderstaaten" zusammenfällt, ein "Sowjet-Banker" das Kommando bei CW übernimmt.

Inkompetenz und mangelnde innere Transparenz

Kredite seien in der Zeit ohne jede Risikoabsicherung vergeben worden, so der Bericht weiter. Bis 1996 habe es nur rudimentäre innere Kontrollen gegeben. Als die österreichische Bankenaufsicht nach einer Routinekontrolle auf die Mißstände aufmerksam macht, verläßt Makai Anfang 1997 fluchtartig das sinkende Schiff und übergibt einem gewissen Frank Fürst das Ruder. Fürst ist schon mindestens seit 1987 Mitglied des Vorstandes; sein Kollege Andreas Pinter taucht ebenfalls schon vor der Wende (seit dem 1. September 1989) im CW-Vorstand auf. Im Aufsichtsrat sitzt außerdem seit 1991 Kálmán Mészáros; es ist der gleiche Genosse Mészáros, der mindestens seit 1987 bis 1991 Vorstandsvorsitzender der CW Bank war. Damit wird deutlich, daß es einen personellen Neuanfang nach der Wende bei CW nie gegeben hat - und daß die Mißstände nicht aus Versehen entstanden sind, ergibt sich vor allem aus einer Begebenheit in der Kreditabteilung der Bank.

Ab 1992 ist Kurt Sedlmayer verantwortlich für diese Abteilung. Gleich zu Beginn seiner Laufbahn beschwert er sich schriftlich in emotionaler Weise beim Vorstand über die Inkompetenz der Mitarbeiter und die mangelnde innere Kontrolle und schlägt dringende Änderungen vor. Eine Kopie des Briefes schickt Sedlmayer auch an den Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender ebenfalls ein alter Genosse, Frigyes Hárshegyi, ist. Den Mitarbeitern von PWC gelingt es, in der allgemeinen Unordnung zwei Briefe zu entdecken, die an den damaligen Vorstandsvorsitzenden Makai gerichtet sind und direkt zu Sedlmayers Vorwürfen Stellung nehmen. Der eine ist unterzeichnet von Frank Fürst, der andere ist zwar ohne Unterschrift, wird aber Pinter zugeschrieben. Fürst fordert in seinem Brief Sedlmayers sofortige Entlassung.

Wenige Tage später kommt der CW- Vorstand zu einer Sitzung zusammen, bei der festgehalten wird, daß man mit dem renitenten Sedlmayer "ein Gespräch führen" müsse. Sehr wahrscheinlich kommt es auch zu dieser Unterredung, denn - so stellen die PWC-Prüfer fest - Sedlmayer "paßte sich der Unternehmenskultur an und versuchte nicht mehr, positive Änderungen zu erreichen". Seine neue Kooperationsbereitschaft schütze ihn allerdings nicht davor, daß er als einer der wenigen Führungskräfte zum 31. Dezember 1997 entlassen wird - möglicherweise wollte Sedlmayer der Österreichischen Bankenaufsicht doch noch seine Sicht der Dinge schildern.

Zwei weitere Dokumente lassen vermuten, daß die CW Bank kein Unternehmen gehandelt war, das gewinnorientiert wirtschaften mußte: Es handelt sich dabei um sogenannte "Patronatserklärungen" der Mutterbank in Budapest. Sie sind gleichsam der Blankoscheck, mit dem die Millionen als "Kredite" getarnt verschoben wurden. Darin garantiert die MNB, daß "die Einhaltung des Kreditwesengesetzes, insbesondere der Maßstäbe der Paragraphen 12 bis 15 (...) jederzeit gewährleistet wird". Die erste Patronatserklärung stammt vom 20. Mai 1987 und ist von László Karczag und János Fekete unterzeichnet.

Letzterer gehört zu den einflußreichsten Genossen der Wendezeit, und auch Fekete (alias Schwarz) werden ebenso wie Steindling gute Beziehungen zu Israel bescheinigt. Daß sich beide gut gekannt haben, ist anzunehmen. Die zweite Patronatserklärung stammt vom 9. Dezember 1996 und wurde notwendig, weil die Wirtschaftsprüfer KPMG Hungaria "eine Überschuldung von 1,18 Milliarden Schilling per 30. September 1996 errechnet" haben. Mit den Erklärungen wurden die Schulden per Umweg über die MNB elegant den ungarischen Steuerzahlern aufgebürdet.

Zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Bürgerlichen 1998 hatte die CW Bank schon lange ihre inoffizielle Aufgabe erfüllt, es ging jetzt also nur noch darum, die Verluste für den ungarischen Staat nicht noch weiter aufzublähen. Präsident der MNB war zu jener Zeit György Surányi. Als Ministerpräsident Orbán auch Surányis Verantwortung öffentlich zur Sprache brachte, wies dieser am 15. September 1999 in einem vierseitigen Brief jeden Vorwurf von sich. Die MNB habe Mitte 1996 von dem Schuldenberg nichts wissen können, den die CW Bank aufgehäuft hatte, lautet der Grundtenor des Schreibens, das der JF vorliegt.

Die Auflösung der CW Bank hat viele Spuren verwischt

Die personellen Verflechtungen lassen allerdings ganz andere Schlüsse zu. Neben den schon genannten Personen könnte besonders ein weiterer Spitzenbanker, Werner Riecke, viel zu der CW- Geschäftspolitik bzw. zu den verschwundenen SED-Millionen sagen. Riecke wurde am 8. Juni 1953 in Haldensleben geboren. 1973 beginnt er ein Wirtschaftsstudium an der Karl-Marx-Universität Budapest, 1977 heiratet er eine Ungarin und läßt sich ein Jahr später ganz in Ungarn nieder. Seit 1982 - dem Jahr, in dem Ungarn in den Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgenommen wird und die ersten Westkredite fließen - ist Riecke ungarischer Staatsbürger. In dieser Zeit soll auch der jetzige Ministerpräsident Péter Medgyessy als Stasi-Agent (Deckname "D-209", siehe JF 27/02) in der MNB gearbeitet haben. War es Zufall, daß Riecke gerade damals seine steile Karriere im ungarischen Finanzsystem begann? In seinem eigenhändig unterzeichneten Lebenslauf macht Riecke keine Angaben über die Zeit zwischen 1980 und 1989. Sein Leben beginnt erst wieder in dem turbulenten Wendejahr 1989, als er für ein Jahr in dem Sekretariat des ungarischen Ministerrates tätig ist; in der gleichen Zeit wird er Berater des Präsidenten der Ungarischen Nationalbank. Inzwischen hat es Riecke neben Positionen in der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau bis zum Vizepräsidenten der MNB gebracht. Aus den Papieren des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses geht hervor, daß Riecke seit dem 14. Mai 1996 auch Mitglied des Aufsichtsrates der CW-Bank war. Seit dem 27. Mai 1998 fungierte er sogar als dessen Vorsitzender. Es ist kaum anzunehmen, daß Werner Riecke von all den Machenschaften in der CW Bank nichts gewußt habe. Wenn jemand aufgrund von Herkunft, Ausbildung und Sprachkenntnissen kompetent in Sachen "DDR-Vermögen" war und ist, dann Riecke. Man darf annehmen, daß Genosse Riecke auch die "rote Fini" gekannt haben muß. Ob diese Verbindung von deutschen Behörden je geprüft wurde, ist nicht bekannt. Der Name Riecke taucht merkwürdigerweise im Zusammenhang mit den SED-Millionen und der CW Bank nirgends auf.

In dem CW-Skandal ist keiner der Verantwortlichen je zur Rechenschaft gezogen worden. Zwar gab es einige Anzeigen gegen das Management, aber es kam nie zu einer Verurteilung. Warum nicht, dokumentiert eine Anklageschrift des Wiener Anwaltsbüros Wolf Theiss und Partner vom 13. September 1999: Die internationale Verflechtung der CW Bank und ihrer Geschäfte ist derart komplex, daß die Verantwortung spielend vertuscht werden konnte. Jeder der Beteiligten berief sich auf diese Unordnung. Auch der Parlamentarische Untersuchungsausschuß endete 2000 ohne konkretes Ergebnis.

Die CW Bank ist inzwischen liquidiert worden, nachdem die faulen Kredite von den ungarischen Steuerzahlern beglichen wurden; der Firmensitz in der Wiener Innenstadt wurde erst kürzlich verkauft. Damit wird nie geklärt werden, ob und wie viel von den Novum-Millionen über die CW Bank "verarbeitet" wurden. Gunter Weißgerbers Aufschrei kommt somit viel zu spät.