© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/03 10. Oktober 2003

 
Frisch gepresst

Gulag. Die Washington Post-Journalistin Anne Applebaum, die ab 1988 als Polen-Korrespondentin ihre ersten Einblicke in das kommunistische System gewann, hat sich durch einen Berg von einschlägiger Literatur sowie durch russische Archive gearbeitet und gibt einen recht passablen Überblick über den roten Terror, den viele Millionen in den Lagern zwischen Karelien und Kamtschatka erduldeten und Unzählige mit dem Leben bezahlten. Das sozialistische Ideal, das Kulaken, "Trotzkisten", Oppositionelle, Angehörige nationaler Minderheiten und später deutsche Kriegsgefangene und Verschleppte aus seiner Sphäre verbannte - schlechtenfalls unter das Diktat der Kriminellen, die in den Gulags ein Schreckensregime führen durften -, um daraus seinen volkswirtschaftlichen Nutzen zu ziehen, ist nicht zum ersten Mal dargestellt worden. Daß nun mit Applebaum eine US-Liberale bar jedes Verdachts einer Relativierung des roten und braunen Terrors dieses Werk geschrieben hat, führt zu einer gesteigerten Salonfähigkeit dieses aufarbeitungswürdigen Themas. Leider kann sich Applebaum nicht der Versuchung entziehen, die Gulag-Opfer quantifizieren zu wollen, und kommt auf 4,5 Millionen Tote. Die Verantwortlichen der Gulags dürften dieser "Rechnung" kaum widersprechen (Der Gulag. Siedler Verlag, Berlin 2003, 733 Seiten, 32 Euro)

Stalin. Für die linken Lehrer galt Stalin als Familienschande, weshalb im Geschichtsunterricht von dem sowjetischen Diktator kaum die Rede war. Das kann man an der Volkshochschule des Kanton Zürich nachholen. Von hier kommt das knappe, übersichtliche Taschenbuch über "Josef Stalin und seine Zeit" mit dem programmatischen Titel "Utopie und Terror". Wer Volkshochschule hört, erwartet nicht unbedingt eine anspruchsvolle Darstellung. Die Beiträger bieten immerhin emotionale Einstiegshilfen und nähern sich "Kobas" Regime biographisch. Interessante Fotos führen in das Zeitalter ein. Richtig dämonisch allerdings wirkt Stalin nicht - ob es an ihm liegt oder doch an der Volkshochschule, bleibt offen (Eva Maeder, Christian Lohm, Hrsg.; Chronos Verlag, Zürich 2003, 204 Seiten, 24,80 Euro).

Polens Westdrang. Die intensiven, aus engen Fachzirkeln hurtig in die Feuilletonspalten gehievten Kontroversen um die "historische Verantwortung" gerade der in Breslau, Danzig oder Königsberg tätig gewesenen deutschen Historiker krankten stets daran, daß deren tschechischer oder polnischer Konterpart nie die Bühne betrat. So ließen sich die Rothfels, Schieder et al. trefflich als intellektuelle Büchsenspanner "deutscher Aggression" denunzieren. Wie gerufen kommt daher eine Dissertation, die endlich einmal die Gegenseite ins Auge faßt. Dabei widmet sich Markus Krzoska dem Historiker Zygmunt Wojciechowski, einem polnischen "Vordenker" des Warschauer Expansionismus und Ideologen der Deutschenvertreibung lange vor 1939 (Für ein Polen an Ostsee und Oder. Zygmunt Wojciechowski, 1900-1955, Historiker und Publizist. Fibre Verlag, Osnabrück 2003, 482 Seiten, 35 Euro).