© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/03 10. Oktober 2003

 
Frisch gepresst

Baltikum. Der nächste Deutsche Historikertag findet Mitte September 2004 in Kiel statt. Das Rahmenthema heißt "Kommunikation und Raum". Der verpönte "Raum"-Begriff erfährt somit seine wissenschaftspolitische Rehabilitierung. Da kommt ein Wälzer gerade recht, der sich vornimmt, das Baltikum als "Erzählregion" zu erkunden. Die Freiburger germanistische Dissertation des heute an führender Stelle in der Hertie-Stiftung tätigen Armin von Ungern-Sternberg widmet sich der literarischen Verarbeitung der baltischen Landschaft und der Lebenswelt ihrer Bewohner. Vordergründig scheint es trivial, daß literarische Texte eine spezifische Raumstruktur ausbilden, daß imaginierte Räume wie das Lübeck der Buddenbrooks oder das Rostock der Kempowskis, Grass' Danzig und Fontanes Mark, unsere Vorstellung stärker bestimmen als die "Wirklichkeit" dieser Orte. Doch scheinbar Triviales führt schnell zu nicht nur literaturwissenschaftlich äußerst vertrackten Problemen, die dem Raum-Begriff inhärent sind: Was ist "Heimat"-Raum? Wie bildet sich lokale "Identität", regionales "Bewußtsein"? Daß der Verfasser solche zentrale Fragen ohne Abschweifung diszipliniert verfolgt, wird man bei diesem ausufernden Werk nicht behaupten können, doch den kategorialen Stellenwert des Raumes in der literarischen Kommunikation wird niemand mehr unterschätzen, der sich durch dieses Opus durchgekämpft hat ("Erzählregionen". Überlegungen zu literarischen Räumen mit Blick auf die deutsche Literatur des Baltikums, das Baltikum und die deutsche Literatur, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2003, 1.009 Seiten, Abbildungen, 50 Euro).

Helmut Schmidt. Als der Alt-Bundeskanzler neulich aus den USA zurückkam, schnarrte er auf dem Frankfurter Flughafen im Leutnantston, weil ihm eine Aufzugtür nicht schnell geöffnet wurde. Minuten später betrachtete er verklärt kleine Kinder. Vertraut man der Charakterisierung Martin Rupps, der eine neue Schmidt-Biographie vorlegt, ist es diese Mischung aus autoritärer Härte und "musischer Emotionalität", die den neben Adenauer wohl einzigen wirklichen "Staatsmann" unter den bundesdeutschen Kanzlern auszeichnet. Wie vielen Biographen vor ihm ist aber auch Rupp nur eine Annäherung an eine solche komplexe Figur möglich gewesen (Helmut Schmidt. Eine politische Biographie, Hohenheim, 2. Auflage, Stuttgart/Leipzig 2003, 488 Seiten, 24 Euro).