© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de 43/03 17. Oktober 2003
 


Wer schützt die Verfassung?
Staatliche Eingriffe in demokratische Grundrechte müssen gestoppt werden
Dieter Stein

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt." Das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unveränderlich verbrieft. In der Theorie. In der Realität sieht das anders aus. Frei nach Radio Eriwan gilt dieses Grundrecht "im Prinzip ja", faktisch aber gibt es auch in einem demokratischen Staat täglich massive Versuche, das Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken oder zu behindern. So gelingt es marktbeherrschenden Medienkonzernen immer mehr, auf bestimmten Gebieten vorzugeben, welche politischen und gesellschaftlichen Themen überhaupt diskutiert werden, welche Autoren und Politiker zu Wort kommen und welche nicht. In den meisten Regionen Deutschlands steht den Lesern einer Tageszeitung schon seit Jahren kein örtliches Konkurrenzblatt mehr zur Verfügung - so weit ist der Konzentrationsprozeß bereits fortgeschritten.Durchbrochen werden kann diese Konzentration theoretisch immer wieder und jederzeit durch Neugründungen. Ohne Großverlag im Rücken ist dies auf dem Tageszeitungsmarkt nur einmal gelungen: der linksalternativen taz aus Berlin. Auf dem Wochenzeitungsmarkt ist die JUNGE FREIHEIT das einzige Beispiel einer verlagsunabhängigen Zeitung. Verlagsunabhängige Zeitungen haben es besonders schwer, weil sie auf Gedeih und Verderb einem von einer Handvoll Großverlagen monopolisierten Vertriebssystem ausgeliefert sind. Ist eine Zeitung nicht nur verlagsunabhängig, sondern macht sich auch noch durch politisch kritische Berichterstattung unbeliebt, dann reagiert die politisch korrekte Medienbranche wie ein Becken Piranhas auf ein ins Wasser geworfenes Kaninchen. Es ist zunächst das Gesetz der freien Marktwirtschaft, daß ein neues Produkt, eine neue Ware, eine neue Zeitung sich schon durchsetzt, wenn es dafür auch Käufer gibt. Und es gibt offensichtlich einen großen Bedarf an politisch unabhängiger, qualitätsvoller Berichterstattung. Wenn der Verkauf nicht behindert wird. Wenn.Brisant wird es nämlich und für das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit gefährlich dann, wenn sich der zur Neutralität verpflichtete Staat institutionell durch, wie es im Staatsrechtlerjargon heißt, "Meinungshandeln" in das freie Spiel der Kräfte einmischt. Der einzelne Politiker, und sei es ein einzelner Minister oder sogar der Bundeskanzler, kann seine Meinung frei äußern. Auch eine Partei kann ihre Meinung frei äußern. Sie können auch Medien und Journalisten angreifen. Ein Innenminister eines SPD-regierten Landes kann zum Beispiel sagen, daß er eine bestimmte Zeitung persönlich ablehnt und ihre Meinung bekämpft. Sein Ministerium, eine staatliche Behörde, darf dies hingegen nicht - weil sie dann ihre Pflicht zur Neutralität verletzt. Seit 1995 nun "warnt" nichtsdestotrotz das nordrhein-westfälische Landesamt für Verfassungsschutz, das dem Innenministerium direkt unterstellt ist, hochoffiziell vor der JUNGEN FREIHEIT. Seit fast neun Jahren verkündet es der Öffentlichkeit, es lägen "tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht" vor, in dieser Zeitung gäbe es "rechtsextremistische Bestrebungen". Innerhalb dieser neun Jahre ist es dem Innenministerium des größten deutschen Bundeslandes freilich nicht gelungen, diesen "Verdacht" zu erhärten. Warum auch? Offensichtlich sieht und nutzt man die Möglichkeit, über die Publikation des "Verdachts" politisch unbequeme Journalisten zu drangsalieren oder mundtot zu machen.In der vergangenen Woche nun führte das NRW-Innenministerium in Düsseldorf eine mit zigtausend Steuer-Euro finanzierte "Fachtagung" durch, die die "Beobachtung" einer imaginären "Neuen Rechten" als intellektuelle Strömung "innerhalb des Rechtsextremismus" erörtern und rechtfertigen sollte (siehe auch ausführlicher Bericht auf Seite 4). Beim Phantom "Neue Rechte" geht es NRW letztlich immer nur um die JUNGE FREIHEIT. Das ganze Unterfangen, von anderen Verfassungsschützern inzwischen immer genervter "beobachtet", ähnelt einer Groteske, einer Kabarett-Nummer, wenn es nicht todernst wäre für die betroffene Zeitung und die dadurch mitbetroffenen Autoren, Interviewpartner und Leser. NRW-Innenminister Fritz Behrens erklärte vergangene Woche schließlich mit Blick auf die "Neue Rechte" allen Ernstes: "Intellektuelle Rechtsextremisten sind genauso gefährlich wie brutale Neonazis". Sein Verfassungsschutz-Chef Hartwig Möller sekundierte laut Die Welt: Für die "Geisteshaltung der Münchner Sprengstoffattentäter" mache er gleichwohl die JUNGE FREIHEIT "mitverantwortlich". Wo bleibt der solidarische Protest von Politikern und Publizisten gegen diesen institutionalisierten Wahnsinn? Welche Konsequenzen hat dieser staatlich ex cathedra erhobene Vorwurf? Ist der Verfassungsschutz wirklich so lächerlich, wie manche meinen? Es kommt immer auf den Standpunkt der Betroffenen an. Wer als Linker einen entsprechenden "Klassenbucheintrag" hatte, braucht nicht einmal mit einem müden Lächeln zu rechnen. Im Zweifel schafft man es sogar zum Referenten auf einer Fachtagung des NRW-Verfassungsschutzes, auf der in der letzten Woche mehrere Redner mit einschlägigem linksextremistischen Hintergrund als Experten für "Rechtsextremismus" auftreten durften. Der über die junge freiheit durch die NRW-Behörde ausgesprochene Verdacht wird jedoch von vielen Medien nicht einmal als Verdacht zitiert, sondern als Urteil kolportiert: Sie ist nicht des Extremismus verdächtig, sie ist extremistisch. Und das hat Konsequenzen. Zeitungen, hinter denen stets kluge Köpfe stecken sollen, beenden die Kooperation, Anzeigen zur Werbung von Abonnenten werden unter Verweis auf die denunzierende Behörde abgelehnt, Kioske sehen sich außerstande, die Zeitung weiter zu verkaufen, Interviewpartner und Autoren, die eben noch in der Zeitung Stellung nehmen wollten, sagen irritiert ab. Wer sich doch in der Zeitung zu Wort meldet, obwohl er ja "gewarnt" war, sieht sich bisweilen inquisitorischen Hexenjagden ausgesetzt, warum er sich trotzdem dort geäußert habe.

Wir steuern in der Bundesrepublik direkt auf eine DDR-light zu. Wenn der Punkt nicht bereits überschritten ist. Verhindert kann dies nur durch ein Wort, das dem deutschen Bürgertum überwiegend fremd zu sein scheint - Zivilcourage. Die Bürger müssen den Schutz ihrer Verfassung nämlich endlich selbst übernehmen und dies nicht dem Staat überlassen.


 
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