© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de 43/03 17. Oktober 2003
 


Die Ozeane werden langsam sauer
Klimaschutz: Die Nutzung der Meere als Kohlendioxydsenke für die Atmosphäre schadet der marinen Flora und Fauna
Volker Kempf

Das Meer und die Lufthülle der Erde galten den Menschen vor 50 Jahren noch als so grenzenlos wie heute den Astronauten die Milchstraße. Von "unendlichen Weiten" ist nur noch bei "Raumschiff Enterprise" die Rede. Die Zeiten haben sich eben geändert. Auf der Erde wird unterdessen das Meer allmählich sauer, weil der Mensch mit seinem Tun auch noch den letzten Winkel der Erde verändert.

Die Ursache liegt naturwissenschaftlich gesehen vor allem beim gestiegenen Gehalt von Kohlendioxyd (CO2)in der Erdatmosphäre, der vor allem auf der Verbrennung von fossilen Energieträgern beruht. Auch wenn es viele Autofahrer und Vielflieger sowie entsprechende Lobbyisten nicht gerne vernehmen werden: Ihr Kohlendioxyd-Ausstoß wird zum großen Teil im Meer gelöst, um dabei dann Kohlensäure zu bilden. Bei gleichbleibendem Kohlendioxyd-Ausstoß kann der pH-Wert auf einer Skala von +/- 7 um 0,77 Punkte absinken. Eine leichte Absenkung des pH-Wertes sei bereits zu verzeichnen. Das meldet das britische Magazin Nature unter Berufung auf Forscher des kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory.

Damit hat die in den letzten Jahren vielfach erhoffte Kohlendioxyd-Aufnahme durch das Meer, auf die sich der Meeresbiologe Gotthilf Hempel in seinem posthum erschienenen Band "Nachhaltigkeit und globaler Wandel" noch wertfrei bezieht, also nicht nur wünschenswerte Folgen. Zur Makulatur wird die Hoffnung, Weltingenieure könnten die Funktion des Ozeans als Kohlendioxydsenke für die Atmosphäre verstärken. Dies sollte durch eine Eisendüngung des Meeres geschehen, weil das die Photosynthese fördere - eventuell aber auch zu einer starken Zunahme von Quallen führe.

Abgesehen davon, daß eine Eisendüngung des Meeres ohnehin nur einen geringen Einfluß auf das Weltklima ausüben könnte, bliebe letztlich nur, dem Treibhauseffekt politisch den Kampf anzusagen. Das aber ist leichter gesagt als getan, weshalb das Weltingenieurswesen auch vermehrt als Handlungsoption gehandelt wird. Denn die zurückliegenden UN-Umweltkonferenzen seit Rio de Janeiro 1992 nehmen sich an der Größe der Probleme gemessen als bescheidene Gremien aus, die ihre Arbeit zudem mehr feilschend als zielführend erledigt haben.

Erwärmung führt zu Anstieg des Meeresspiegels

Die pH-Wert-Veränderungen, die im Bereich der Wasseroberfläche besonders intensiv ausfallen, werden also in jedes Zukunftskalkül eingerechnet werden müssen. Besonders betroffen sind als erstes Korallenriffe und andere Arten, deren Skelette oder Gehäuse Kalziumkarbonat enthalten. Tiefsee-Lebensformen unterdessen reagieren auf Veränderungen erfahrungsgemäß schon bei leichten Veränderungen relativ stark.

Die zu kalkulierenden Folgen für das Meer als Ganzes sind neben den pH-Wert-Veränderungen geophysikalischer Art. Denn die Erwärmung des Oberflächenwassers, mit der auch eine höhere Süßwasserzufuhr verbunden ist, bewirkt einen Anstieg des Meeresspiegels. Davon ist schon jetzt Ozeanien akut betroffen. Aber auch vermehrte und immer heftigere Wirbelstürme und Sturmfluten sind zu erwarten - und teilweise schon eingetreten. Damit nicht genug, ist auch mit einer Veränderung der ozeanischen Zirkulation zu rechnen.

Diese teils aktuellen, teils potentiellen Veränderungen treffen nicht nur die zahlenmäßig starken Küstenbevölkerungen, sondern auch die marine Lebensgemeinschaft, das heißt ihre Zusammensetzung und Produktivität. Die Erhaltung des befischten Ökosystems wird damit schwieriger, und dies in Zeiten der Überfischung der Weltmeere um 50 Prozent. Besonders stark beansprucht sind große Raubfische wie Thunfisch und Dorsch. Bliebe der Flottenabbau zur Entlastung. Die Mehrzahl der Fischereien ist aber, wie Hempel ausführt, "aus ökonomischen, soziologischen und politischen Gründen von der Nachhaltigkeit weit entfernt".

Die Plünderung geht folglich weiter. Nach Angaben des World Wide Fund for Nature ist die Fangflotte der EU-Staaten um mindestens 40 Prozent zu hoch. Um daran etwas zu ändern, müßten nur Subventionen abgebaut werden, die pro Jahr 1,4 Milliarden Euro. Große Erfolge hat die EU hier jedoch noch nicht erzielt, weil vor allem die südeuropäischen Staaten dafür Sorge tragen, daß alles bleibt, wie es ist.

Wenn das Meer langsam sauer wird, dann nicht nur deshalb, weil der pH-Wert steigt, sondern weil es beginnt, uns die Nahrung zu verweigern, und vor Wut schäumt. Nur noch verzweifelt ist da der Ruf Hempels, in Partnerschaft mit Wissenschaftlern sollte - konkret in der Fischerei - ein "nachhaltiges Management" geschaffen werden. Denn die Lebenswirklichkeit gehorcht anderen Gesetzen als denen der Vernunft, zumal dann, wenn es um die Berücksichtigung langfristiger Gesichtspunkte geht.


 
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