© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de 43/03 17. Oktober 2003
 


Kleinster Nenner des positiven Geschichtsbildes
Mit der Völkerschlacht bei Leipzig, die vor genau 190. Jahren stattfand, konnten sich verschiedenste politische Strömungen identifizieren
Matthias Bath

Vom 16. bis 19. Oktober 1813 fand bei Leipzig die Entscheidungsschlacht des antinapoleonischen Befreiungskampfes in Deutschland statt. In der bis dahin größten Schlacht der Weltgeschichte trafen 190.000 Mann französischer und mit diesen verbündeter Truppen auf 335.000 Mann der antinapoleonischen Allianz.

Diese hatte sich zu Beginn des Herbstfeldzuges im August 1813 im schlesischen Trachenberg darauf verständigt, drei Armeen zu bilden, die einzeln jeweils der französischen Hauptmacht ausweichen sollten, bis die beiden anderen im Rücken bzw. den Flanken des Gegners herangerückt waren. Eine Entscheidungsschlacht sollte nur im Zusammenwirken aller drei Armeen gesucht werden. Als Ziel der allgemeinen Offensive wurde Sachsen bestimmt, wo Napoleon seine Truppen konzentriert hatte.

Während Napoleon im August/September 1813 vergebens versuchte, eine der drei alliierten Armeen zur Schlacht zu stellen, rückten jeweils die beiden anderen Armeen der Alliierten auf Sachsen vor. Einzelne napoleonische Korps wurden dabei angegriffen und in mehreren Schlachten geschlagen.

Die Befreiungskriege haben die positivste Überlieferung

Der Ring um Napoleon wurde so immer enger. Am 3. Oktober 1813 überquerte die unter dem Oberbefehl des preußischen Marschalls Blücher stehende Schlesische Armee bei Wartenburg südlich von Wittenberg die Elbe. Am 4. Oktober folgte die unter dem Oberbefehl des schwedischen Kronprinzen stehende Nordarmee. Währenddessen entfaltete sich die Hauptarmee unter dem österreichischen Feldmarschall Fürst Schwarzenberg am Nordrand des Erzgebirges und drängte die ihr gegenüberstehenden französischen Kräfte in nordwestlicher Richtung zurück. Am 12. Oktober trafen Vorposten der Hauptarmee bei Merseburg, 25 Kilometer westlich von Leipzig, auf Einheiten der Schlesischen Armee. Die Voraussetzungen für die Entscheidungsschlacht waren gegeben. Napoleon hatte derweil Stellung bei Leipzig bezogen und hoffte, von dort aus jede der drei anrückenden alliierten Armeen doch noch einzeln schlagen zu können. Am 16. Oktober eröffnete Schwarzenbergs Hauptarmee den Angriff von Süden her, wurde aber von Napoleon zurückgeschlagen, der jedoch nicht nachstoßen konnte, weil er inzwischen von Blüchers Schlesischer Armee von Nordwesten her bei Möckern angegriffen wurde.

Es folgte eine Reihe blutiger Gefechte um Leipzig, in deren Verlauf sich die Verbündeten von allen Seiten auf die Stadt zubewegten, ohne aber letztlich den Ring um Napoleon völlig schließen zu können. Am 18. Oktober liefen die bis dahin auf französischer Seite kämpfenden sächsischen Truppen zu den Verbündeten über. Am Abend dieses Tages war die Schlacht im wesentlichen entschieden, und Napoleon gab den Befehl zum Rückzug.

Den endgültigen Sieg der Verbündeten brachte der 19. Oktober mit der Eroberung der Stadt Leipzig, während sich Napoleon mit dem Gros seiner Truppen durch einen schmalen Korridor über die Elsterbrücke bei Lindenau nach Westen zurückzog. Alle beteiligten Armeen erlitten enorme Verluste. Die Verbündeten verloren 54.000 Mann an Gefallenen, die Verluste der napoleonischen Armeen betrugen 37.000 Mann. Ferner gerieten 30.000 Soldaten der französischen Nachhut in Gefangenschaft.

Der Ausgang der Völkerschlacht zwang Napoleon, Deutschland vollständig zu räumen und sich hinter den Rhein zurückzuziehen. Am 7. November 1813 erreichten die Truppen der Verbündeten den Rhein, den sie in der Neujahrsnacht 1814 bei Kaub überschritten, um nach Frankreich einzudringen.

Wohl kein Krieg in der deutschen Geschichte hat eine so positive Überlieferung erfahren wie die Befreiungskriege der Jahre 1813 bis 1815. Dem steht auch nicht entgegen, daß die Überlieferungen verschiedenen Anknüpfungspunkten und daraus abgeleiteten Traditionslinien folgen. Für die monarchisch orientierte preußisch-deutsche Geschichtsschreibung waren die Befreiungskriege ein Höhepunkt vaterländischer Geschichte. Sie standen für die Einheit von Volk und Herrscherhaus, begründeten die Wiedergeburt Preußens als Großmacht und schufen so die Voraussetzungen für Bismarcks Werk der deutschen Einigung. Nicht zuletzt waren sie auch Siege über die Großmacht Frankreich und damit Vorläufer des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, der die Gründung des Deutschen Reiches ermöglichte. Ihren Höhepunkt erlebte diese Sichtweise zu den Jahrhundertfeiern der Völkerschlacht, einmündend in die Einweihung des Leipziger Völkerschlachtdenkmals.

Daneben geht von "1813" aber auch eine freiheitliche Tradition aus. Die Einbeziehung breiter Volkskreise ins Kriegsgeschehen wirkte als Initialzündung für die Ausprägung demokratischen Bewußtseins, das den Wert der Volkssouveränität schätzen lernte. Daraus erwuchsen die politischen Forderungen des Frühliberalismus. Von den Farben der Lützower Jäger über die Jenenser Urburschenschaft und das Wartburgfest, von den schwarzrotgoldenen Fahnen des Hambacher Festes bis zur Revolution von 1848 zieht sich eine bruchlose Traditionslinie, auf die sich das heutige Deutschland berufen könnte.

1813 und 1913 gelten heute als weitgehend bedeutungslos

Am 11. und 12. Oktober 1913 trafen sich 2.000 junge Menschen aus verschiedenen Jugendbünden auf dem Hohen Meißner, um einen Kontrapunkt zu den wilhelminischen Jubelfeiern zu setzen. Die hier gegründete Freideutsche Jugend wollte ihr Leben nach "eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit" gestalten. Dieses Autonomieverlangen war 1913 durchaus revolutionär. Auch die Freideutschen verstanden sich allerdings als "Deutsch ... bis ins innerste Herz".

Der heutigen entnationalisierten Bundesrepublik bedeuten vor dem NS-Hintergrund und dem europäischen Einigungsprozeß die Ereignisse von 1813 und 1913 nichts mehr. Das war für die Geschichtspolitik der DDR noch anders. Im Bestreben, sich historisch zu legitimieren, wurden hier die Befreiungskriege positiv gewertet. Dies galt sowohl für das Wirken der preußischen Reformer als auch für die Einschätzung der Volksstimmung im "Erhebungsjahr". Natürlich konnte das deutsch-russische Waffenbündnis auch zum Vorläufer der "deutsch-sowjetischen Freundschaft" genutzt werden. Auch nach dem Ende der DDR wird an den historischen Orten, freilich nur auf lokaler Ebene und im engen Zirkel militärhistorischer Vereine, die Erinnerung an die Befreiungskriege mit Siegesfesten und Gedenkveranstaltungen gepflegt.


 
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