© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de 44/03 24. Oktober 2003
 


"Wir haben genug!"
Hans Fehr, Nationalrat und SVP-Vorstandsmitglied, über Blochers Weg in die Regierung und demokratische Reformen in der Schweiz
Moritz Schwarz

Herr Fehr, die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat am Sonntag mit 26,6 Prozent der Stimmen einen historischen Wahlsieg errungen. Seit 1959 hat in der Schweiz keine Partei mehr einen solchen Stimmanteil gewonnen. Damit steht erstmals eine gleichberechtigte Beteiligung der SVP an der Bundesregierung zur Debatte. Wird Ihr Spitzenkandidat, das Enfant terrible der Schweizer Politik, Nationalrat Christoph Blocher, nun Minister?

Fehr: Das Wahlergebnis hat gezeigt, daß die Schweizer definitiv den Wechsel wollen: Die Politik der SVP - also zum Beispiel das "Nein" zur EU, Senkung der Staatsausgaben und der Steuern oder die Bekämpfung des Asylmißbrauchs - soll endlich auch in der Regierung zum Tragen kommen.

Bislang war die SVP bereits mit einem Minister an der nach einem seit 1959 existierenden Schlüssel - "Zauberformel" genannt - aufgeteilten Regierung einer Allparteienkoalition aus Sozialdemokraten (SP), Christdemokraten (CVP) und liberalen Freisinnigen (FDP) - die allerdings jeweils zwei Bundesräte stellen - beteiligt. Daß nun auch die SVP einen zweiten Sitz fordert, ist kaum zu verwehren, wogegen sich die anderen Parteien allerdings sträuben, ist, daß den Platz der "Rechtspopulist" Blocher einnimmt.

Fehr: Unser bisheriger Bundesrat - wie die Minister in der Schweiz heißen - Samuel Schmid, zuständig für das Verteidigungsdepartment, hat zwar innenpolitisch ordentliche Arbeit geleistet, kann aber nur als "halber" SVP-Mann bezeichnet werden, da er 1999 nicht von der Partei, sondern von der Parlamentsmehrheit in sein Amt gewählt worden ist.

Außerdem gilt er nicht als Mann des für die SVP repräsentativen Blocher-Flügels.

Fehr: Es trifft zu, daß er in verschiedenen Fragen anderer Meinung als die SVP war. Am Sonntag aber ist das Programm der SVP gewählt worden, und Blocher kann mit Fug und Recht als dessen geistiger Vater bezeichnet werden.

Deshalb noch einmal die Frage: Wird Blocher der zweite Bundesrat der SVP?

Fehr: Wir haben eine fünfzigprozentige Chance, dies durchzusetzen.

Wird Blocher Bundesrat, dann heißt auch turnusgemäß der Regierungschef, "Bundespräsident" genannt, demnächst einmal Blocher.

Fehr: Selbstverständlich, allerdings führt die Bezeichnung "Regierungschef" in die Irre. In der Schweiz wechselt das Bundespräsidentenamt, also der Vorsitz des Bundesrates, unter dessen Mitgliedern jedes Jahr reihum. Der Bundespräsident ist allerdings nicht "Chef", sondern nur primus inter pares, also Erster unter Gleichen. Das ist nicht vergleichbar etwa mit der Stellung des Bundeskanzlers bei Ihnen in Deutschland.

Als Repräsentant der Schweiz würde ein Bundespräsident Blocher das Land ein Jahr lang auch international vertreten: eine Provokation für all jene Staatschefs in Europa, die schon im Fall der Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich versucht haben, durch Boykott eine demokratische Wahl zu "korrigieren".

Fehr: Das interessiert uns nicht! Blocher wäre vom Parlament gewählt und damit vom Volk legitimiert. Wenn das in Europa auf Kritik stößt, dann haben diese Kritiker ein Problem mit der Demokratie, nicht die Schweizer. Im übrigen kann man Blocher nicht mit Haider oder Le Pen vergleichen. Blocher ist ein Urdemokrat.

Sie halten Haider und Le Pen also nicht für demokratische Politiker?

Fehr: Ich mische mich nicht in ausländische Angelegenheiten ein.

Was, wenn die anderen Parteien darauf bestehen, daß der SVP ein zweiter Bundesratsposten nur dann gewährt wird, wenn der Bundesrat nicht Blocher heißt?

Fehr: Wir haben genug von solchen politischen Ränkespielen. Wir wollen nach Samuel Schmid nicht noch ein Kuckucksei ins Nest gelegt bekommen. Entweder wird mit Blocher unser Zugpferd gewählt, oder die SVP geht in die Opposition!

Wäre die Partei dort nicht sowieso besser aufgehoben?

Fehr: Inwiefern?

Die SVP hat während des Wahlkampfes unter anderem mit einem Plakat geworben, das einen geknebelten und in Ketten gelegten Hahn - Symbol für die Schweiz - gezeigt hat. Eine Regierungsbeteiligung würde doch eine Zusammenarbeit mit jenen bedeuten, die Sie zuvor als eine Art "Kerkermeister" dargestellt haben.

Fehr: Mehr als ein Viertel der Stimmbürger wollen, daß unser Programm in der Regierung angemessen vertreten wird. In der Schweiz funktioniert die Regierungsbildung nicht in einer Polarität zur Opposition, sondern nach dem Prinzip der Konkordanz. Das heißt, durch die Einbindung aller relevanten politischen Kräfte. Das ist Demokratie der Marke Schweiz, und das ist also auch der Weg einer Reformkraft wie der SVP. Wird uns die Regierungsbeteiligung verwehrt, so vertreten wir unser Gedankengut als Opposition. Damit würden wir noch stärker werden - und davor haben die anderen wohl Angst.

Im Bundesrat, der aus sieben Mitgliedern besteht, steht es künftig zwei zu fünf gegen die SVP. Das klingt nicht sehr vielversprechend für Ihre Reformpolitik?

Fehr: In der Regierung sitzen künftig weiterhin nur zwei sozialdemokratische Bundesräte, die übrigen drei der genannten fünf gehören zumindest auf dem Papier den sogenannten "bürgerlichen" Parteien FDP und CVP an. Diese Parteien werden sich künftig sehr genau überlegen müssen, ob sie weiterhin eine Politik betreiben wollen, die sich oft an die Linke anlehnt, oder ob sie wieder ein bürgerliches Profil gewinnen wollen. Unter dem Eindruck des Wahlsieges der SVP - übrigens auf Kosten von FDP und CVP - und angesichts der Schwierigkeiten, vor denen auch die Schweiz steht, müssen FDP und CVP wohl eher dem Kurs der SVP zuneigen. Im übrigen kann die SVP auch angesichts einer Regierungsbeteiligung immer noch als Partei gegen falsche Regierungsbeschlüsse opponieren und mittels Volksinitiative und Referendum Korrekturen anstreben.

Das heißt, Volksabstimmungen, mittels derer sich die SVP in der Vergangenheit ja maßgeblich profiliert hat, werden weiterhin ein Instrument der Partei bleiben?

Fehr: Selbstverständlich, denn in der Schweiz sind Referendum, also die Verhinderung einer falschen Politik durch ein Volksveto, und Volksinitiative, also das Einbringen eigener Vorschläge auf direktdemokratischem Wege nicht die Ausnahme, sondern als selbstverständlicher Bestandteil des politischen Systems die Regel. Diese Verfahren sind der Kern unserer Volkssouveränität.

Warum hat die SVP am Sonntag einen solchen Erfolg erzielt?

Fehr: Weil wir die Mißstände, die die Menschen wirklich beunruhigen, aufgreifen und beheben. Das sind, wie bereits gesagt, neben der Wahrung der Unabhängigkeit, der Senkung der Steuern und dem Abbau des Staatsdefizits die Bekämpfung des Asylmißbrauchs, der illegalen Zuwanderung und der Ausländerkriminalität.

Nur die Kriminalität von Ausländern?

Fehr: Sie ist erschreckend hoch, vor allem bei schweren Verbrechen wie Raub und Mord beträgt in der Schweiz der Ausländeranteil unter den Tätern sechzig bis achtzig Prozent. Im Drogenhandel sind es achtzig Prozent, und dementsprechend sind unsere Gefängnisse zu siebzig bis achtzig Prozent mit Ausländern gefüllt. Solche Zahlen sind nicht hinnehmbar, und ich denke, daß das für jeden vernünftigen Menschen nachvollziehbar ist.

Eines der Hauptthemen der SVP ist der Asylmißbrauch in der Schweiz, den sie unter dem Schlagwort "Asylantismus" zusammenfaßt.

Fehr: Die Schweiz muß allein wegen des Mißbrauchs unseres Asylrechtes jährlich den unglaublichen Betrag von über zwei Milliarden Franken aufwenden. Die Zahl neuer Asylgesuche hat sich allein binnen der letzten beiden Jahren auf 30.000 Fälle pro Jahr verdoppelt! In der Tat liegt die Schweiz international, in Relation zu ihrer geringen Bevölkerungszahl, an der Spitze in puncto Asylbewerberaufkommen - noch weit vor Deutschland! Dabei kommen über 90 Prozent illegal in unser Land, und von jenen, die ein ordentliches Asylverfahren einleiten, erweisen sich rund 95 Prozent als nicht asylberechtigt. Dennoch aber reisen die meisten dieser Leute nicht wieder aus und werden auch nicht abgeschoben. Statt dessen gelingt es ihnen mit kräftiger Unterstützung einschlägiger linksorientierter Initiativen, Verbände, Parteien und der Kirchen, sich jahrelang weiter im Lande aufzuhalten und Sozialleistungen zu beziehen. Am Ende heißt es dann, inzwischen hätten sich diese Personen so eingelebt, daß man sie nun nicht mehr nach Hause schicken könne. Diesen Teufelskreis werden wir durchbrechen.

Beinahe unbekannt ist den meisten Europäer die dramatische Lage der Schweiz in puncto Einwanderung. Während der durchschnittliche Ausländeranteil in der EU fünf Prozent beträgt, liegt er in der Schweiz bei über zwanzig Prozent.

Fehr: So ist es, von den sieben Millionen Einwohnern der Schweiz sind etwa 1,5 Millionen Ausländer, das sind über zwanzig Prozent. Allein im Jahr 2001 sind 120.000 Personen zugewandert. Spanien hat zwei Prozent Ausländeranteil, und man spricht dort schon von einem "Ausländerproblem". In den letzten zwanzig Jahren hat die Zahl der Ausländer, also der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung, über sechzig Prozent zugenommen! Dabei hat vor allem eine Zuwanderung in die Sozialsysteme statt in den Arbeitsmarkt stattgefunden. Dabei hat es bereits in den siebziger Jahren die erste Volksinitiative gegen Einwanderung geben. Seitdem, und trotz weiterer Initiativen, hat der Bundesrat die Steigerung der Ausländerquote nicht verhindert, obwohl er wenigstens eine Stabilisierung der Quote immer wieder versprochen hat. Als glatte Verhöhnung empfinden es viele, wenn nicht nur die Linke, sondern auch die Regierung nun das jahrzehntelange Ignorieren des Volkswillens mit dem Argument quittiert, wir hätten nur deshalb eine so hohe Ausländerquote, weil wir bei Einbürgerungen so "restriktiv" seien. Soll heißen, wenn wir mehr einbürgern, sinkt statistisch auch die Ausländerquote. So eine Argumentation ist nicht demokratisch, sie ist zynisch.

Sie sprechen immer wieder vom Willen des Volkes. Tatsächlich haben aber zwei Drittel der Wähler am Sonntag Links beziehungsweise Mitte-Links gewählt. Die Mehrheit der Schweizer steht doch trotz Ihres historischen Erfolges gegen die SVP?

Fehr: Nein, so einfach ist das nicht: Erstens müssen Sie einen Schweizer Maßstab anlegen, keinen deutschen. In unserem Demokratiemodell ist es nahezu unmöglich, daß eine Partei 45, 50 oder 55 Prozent erreicht. Unsere knapp 27 Prozent bedeuten hierzulande schon einen sensationellen und richtungsweisenden Erdrutsch. Zweitens hat die SVP mehrfach bei Referenden und Volksinitiativen fast die Hälfte der Stimmbürger auf ihre Seite bringen können - und das ganz alleine gegen die vereinte Front aller anderer Parteien und der Medien! Das zeigt, daß die SVP oftmals den Willen breiter Volkskreise in ihrer Politik widerspiegelt. Unsere politischen Inhalte reichen wesentlich weiter ins Volk hinein, als das der Anteil unserer Wähler bei Parlamentswahlen vermuten läßt.

Neben Ihrem Amt als Nationalrat, also als Parlamentsabgeordneter, sind Sie Geschäftsführer der 41.000 Mitglieder starken "Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz" (AUNS). Zwar konnten Sie den Uno-Beitritt Ihres Landes nicht vermeiden, erfolgreich sind Sie aber bislang bei der Verhinderung des Beitritts zur EU.

Fehr: Ich bin überzeugt, würde die Abstimmung über den Uno-Beitritt heute wiederholt, würde das Ergebnis ein klares "Nein" sein. Denn nach dem Beitritt gab es für viele Schweizer ein böses Erwachen, weil die Mitgliedschaft und das Diktat der Veto-Mächte unserer Neutralität widersprechen. Verhängnisvoll wäre allerdings der Beitritt zur EU, denn dieser würde eine Entdemokratisierung der Schweiz bedeuten, weil damit Kompetenzen, die seit Anbeginn der Schweiz beim Volk liegen, an die Ebene der europäischen Bürokratie verlorengehen würden. Der bisherige Bundesrat will den EU-Beitritt, eben weil es ihm dadurch möglich werden würde, seine Politik - künftig legitim - auch gegen das Volk durchzusetzen. Deshalb muß der EU-Beitritt nicht nur aus Schweizer Sicht, sondern auch aus demokratischer Sicht verhindert werden. Aber weil das Volk den Beitritt bislang beharrlich abgelehnt hat, versucht es der Bundesrat seit geraumer Zeit durch die Hintertür, sprich über das Schengen-Dublin-Abkommen. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben.

Ergo befinden sich die anderen Länder Europas durch den EU-Prozeß in einem Zustand der Entdemokratisierung?

Fehr: Sofern sie überhaupt eine Demokratie mit direktdemokratischen Elementen zu verlieren haben, selbstverständlich. Allerdings bewerte ich diesen Umstand nicht, denn das ist Sache der einzelnen Länder. Jedes Volk muß selbst wissen, was es für richtig hält. Für uns jedenfalls würde der Beitritt zur EU das Ende des bisherigen Erfolgsmodells Schweiz und unserer historischen Errungenschaften wie Souveränität, Demokratie, Föderalismus und Neutralität bedeuten. Wir würden massiv an politischen Rechten verlieren und müßten dafür auch noch jedes Jahr viele Milliarden an Brüssel zahlen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte Christoph Blocher wegen dieser EU-kritischen Haltung kürzlich einen "Anti-Europäer". Das ist dummes Zeug. Man sollte meinen, daß man bei der FAZ in der Lage sein sollte, Europa und die EU auseinanderzuhalten. Wir halten uns gerade wegen unseres Widerstand gegen die EU für gute Europäer. 

 

Hans Fehr ist Nationalrat und Mitglied des Zentralvorstands (Bundesvorstand) der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die am vergangenen Sonntag einen epochalen Wahlsieg errungen hat. Geboren 1947 in Berg am Irchel im Kanton Zürich, trat der Realschullehrer 1981 der SVP bei. 1982 wurde er Gemeinderat, dann Kantonsrat und 1995 Nationalrat in Bern. Von 1985 bis 1998 war er zudem Generalsekretär der SVP im Kanton Zürich unter dem Vorsitzenden Christoph Blocher. Außerdem ist er Geschäftsführer der landesweiten "Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz" (AUNS).

 

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