© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de 44/03 24. Oktober 2003
 


Die Probleme der Nachbarn ins Land geholt
Studienzentrum Weikersheim: Der neue Präsident Bernhard Friedmann greift die Politik der rot-grünen Bundesregierung an / Kritik aus den Reihen der Zuhörer
Ronald Gläser

Deutschland hat die Stabilitätskriterien letztes Jahr nicht erfüllt, erfüllt sie dieses Jahr nicht und wird sie im nächsten Jahr nicht erfüllen." Scharfe Kritik übte Bernhard Friedmann an der Fiskalpolitik der Bundesregierung.

Der CDU-Politiker war am Montag Abend zu Gast in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin-Tiergarten. Dorthin hatte das Studienzentrum Weikersheim zu einem Kaminabend mit seinem neuen Präsidenten Friedmann eingeladen.

Und der weiß, wovon er spricht. Er war zwölf Jahre lang Mitglied des Europäischen Rechnungshofes und zeitweise sogar dessen Präsident. Der Rechnungshof ist ein gleichberechtigtes Organ auf europäischer Ebene neben dem Parlament, der Kommission, dem Rat und dem Gerichtshof.

Eingangs rief er die negativen Effekte von Inflation in Erinnerung. Zwei Währungsreformen in Deutschland und die augenblickliche Lage in Südamerika zeigten anschaulich, daß Inflation einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung abträglich sei, so Friedmann. Deswegen sei es die erklärte Aufgabe einer Zentralbank, für eine stabile Geldpolitik zu sorgen. Im Entwurf für die neue EU-Verfassung bliebe jedoch das Ziel eines "inflationsfreien Wachstums" - oberstes Kriterium des Europäischen Stabilitätspaktes - unerwähnt. Statt dessen wird nur "ausgewogenes Wirtschafswachstum" als Ziel deklariert.

Ferner werde die Unabhängigkeit der Zentralbank untergraben. Bisher galt eine Inflation von bis zu zwei Prozent Preiswachstum jährlich als stabile Geldentwicklung. Angesichts der Haushaltslöcher so großer Nationen wie Deutschland und Frankreich drohe jetzt eine Verwässerung des Stabilitätskurses.

"Damit dürfen wir nicht spielen!" mahnte Friedmann vor knapp einhundert Gästen. Sehr eindringlich forderte er, die Finanzpolitik, die Wirtschaftspolitik und alle anderen Aktivitäten des Staates wieder auf die Maastrichter Stabilitätskriterien auszurichten. Zur Erinnerung: Dies ist eine staatliche Gesamtverschuldung, die sechzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreitet. Gleichzeitig darf das jährliche Haushaltsdefizit nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.

Diese Ziele sollten, so Friedmann, eine stabile Entwicklung ermöglichen. Andernfalls herrschten "italienische Verhältnisse". Italien hat wegen seiner Haushaltslöcher früher einfach die eigene Währung massiv abgewertet. Dadurch entstanden der Volkswirtschaft Standortvorteile beim Export. Durch die Inflation kehrten die Probleme jedoch stets schneller zurück, als es den Strategen in Rom lieb war.

War die Wiedervereinigung bereits 1986 möglich?

Deswegen warnte Friedmann vor den Gefahren eines "Herumdokterns" am Stabilitätspakt. "Herr Prodi nennt den Pakt einfach dumm. Herr Chirac möchte die Verteidigungskosten einfach herausrechnen. Und Herr Lafontaine wollte die drei Prozent als europäischen Durchschnitt berechnet wissen", so Friedmann weiter. Sein Nachfolger, Hans Eichel, sei deswegen fein raus, weil derzeit das "strukturelle" vom "konjunkturellen" Defizit getrennt werde. Doch das Budget-Flickwerk könne so nicht weitergehen, schlußfolgerte Friedmann aus seinen Ausführungen. "Wir brauchen einen nationalen Stabilitätspakt, der die Bundesländer und Kommunen zu mehr Sorgfalt verpflichtet", lautete deswegen seine Forderung.

Friedmann äußerte sich auch über seinen Parteifreund Helmut Kohl. Dies war der widersprüchlichste Teil seiner Rede. Erst behauptete er, Differenzen mit Kohl gehabt zu haben. Er sei nämlich der Überzeugung gewesen, die Wiedervereinigung sei bereits 1986 "machbar" gewesen.

Doch dann kam er auf die Preisgabe der Deutschen Mark als "Preis für die deutsche Einheit" zu sprechen. Dazu habe er Helmut Kohl befragt. Dieser habe geleugnet, daß er erpreßt worden sei. Dann aber führte Friedman weiter aus, daß 1989 klar gewesen sei, daß unsere Nachbarn die Aufgabe unserer nationalen Souveränität als Deutsche fordern würden.

Im Anschluß kamen zahlreiche Gäste zu Wort. Nicht überwiegend, sondern ausschließlich kritisch äußerten sie sich zum Vortrag des neuen Präsidenten des Studienzentrums. Niemand sah Vorteile in der Einführung des Euro. Alle machten für die aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Esperanto-Währung verantwortlich. Ein Redner erinnerte an das Kabinett Brüning, das in hoffnungsloser Lage Gesetze habe beschließen müssen, wie es die Regierung Schröder heute tue.

"Damit haben wir uns die Probleme aller Nachbarn ins eigene Land geholt," sagte Hans Schwenke. Er ist Vertreter eines DDR-Opferverbandes und FDP-Mitglied. An Friedmann gewandt sagte er weiter: "Für ein friedliches Zusammenleben brauchen wir nicht eine gemeinsame Währung. Der Euro hat künftige Spannungen wahrscheinlicher und nicht unwahrscheinlicher gemacht."


 
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