© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/03 31. Oktober 2003

"Typisch deutsch"
Interview: Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld über den Streit von Marienfels / Das Denkmal soll als Mahnmal erhalten bleiben
Moritz Schwarz

Herr Professor van Creveld, im Taunus-Dörfchen Marienfels ist ein Streit um den Abriß eines Gefallenenehrenmals einer ehemaligen Einheit der Waffen-SS ausgebrochen (siehe auch Bericht oben). Kritiker sagen, man wolle kein "Naziort" sein, hinter dem Streit steht also auch die Frage, war die Waffen-SS in erster Linie eine militärische Truppe oder eine Vorhut der Nationalsozialisten und ihrer Verbrechen?

Creveld: Sowohl als auch. Ich weiß natürlich, daß Sie mit dieser Antwort genauso schlau sind wie zuvor. Zwar hat Hitler die Waffen-SS aufstellen lassen, weil ihm die Wehrmacht nicht nationalsozialistisch genug war, doch die Aufgabe der Truppe war im Prinzip die gleiche wie die der Wehrmacht, nämlich Krieg zu führen.

Also ganz einfach: nach außen Soldaten, nach innen alle Nazis?

Creveld: Einerseits ja, andererseits galt die Waffen-SS als Elite-Truppe und zog schon aus diesem Grund viele junge Leute an. Zudem war es möglich, der Waffen-SS ein Jahr früher beizutreten als der Wehrmacht, was erneut viele Stürmer und Dränger in die Truppe brachte. Ob der Entschluß dieser jungen Leute ideologisch wasserdicht war, muß angesichts ihres Alters bezweifelt werden. Die meisten der Freiwilligen waren wohl bestrebt, "gute Nationalsozialisten" zu sein - was immer der einzelne darunter verstanden haben mag. So meldeten sich gerade auch Idealisten zur Truppe. Ein Beispiel ist der ehemalige Stern-Journalist Wolfgang Venohr, der in seinem hochinteressanten Buch "Die Abwehrschlacht" seine Beweggründe schildert: Als blutjunger Bursche meldete er sich aus lauter Idealismus zur Waffen-SS und kritisierte aus dieser Position sogar den Mangel an Nazi-Ideologie in der Truppe. Als er dann aber vom Holocaust hörte, war er - so schreibt er zumindest - völlig überrascht und zutiefst entsetzt.

Hatte die Waffen-SS mit dem Holocaust zu tun?

Creveld: Organisatorisch hatte die Waffen-SS mit der SS in den KZ, der sogenannten Totenkopf-SS, nichts zu tun. Auf der personellen Ebene jedoch gab es immer ein gewisses Maß an Austausch zwischen den Organisationen, hauptsächlich an der Ostfront.

War die Waffen-SS überdurchschnittlich an Kriegsverbrechen beteiligt?

Creveld: Zumindest gehen die beiden schlimmsten Kriegsverbrechen im Westen, Oradour und Malmedy, auf das Konto der Waffen-SS, und das ist wohl kein Zufall.

Also das Gefallenendenkmal abreißen?

Creveld: Das ist typisch! Bei meinem Studienaufenthalt in Potsdam habe ich mit Bedauern feststellen müssen, wie viele Deutsche ihre ganze jüngere Geschichte zwischen 1933 und 1945, beziehungsweise 1989, am liebsten einfach wegfegen möchten. Ich finde diese Haltung fragwürdig und meine, das Denkmal sollte stehenbleiben, aber als Mahnmal.

Als allgemeines Mahnmal würde das Denkmal seiner ursprünglichen Funktion eines konkreten Totengedenkens entkleidet. Damit würde es den Menschen, an die es erinnert, weggenommen - zugunsten einer generellen politsch-historischen Mahnung.

Creveld: Jemand sagte einmal, die Deutschen werden unter der Last des Hakenkreuzes noch tausend Jahre stöhnen. Ich weiß, daß das unfair gegenüber allen jungen Deutschen ist - aber so ist es nun einmal, und weder Sie noch ich noch sonst jemand kann daran etwas ändern. Das Denkmal sollte erhalten bleiben, aber nicht, um die toten Soldaten zu ehren, sondern um daran zu erinnern, daß sie für etwas wie die Waffen-SS mißbraucht worden sind und daß es solch eine furchtbare Organisation überhaupt gab. Allerdings sollte man jene, die kommen, um die Gefallenen ehrfürchtig zu bewundern, gewähren lassen. Ich halte es für unmöglich und auch für falsch, wenn der Stadtrat von Marienfels verlangt, die Gefühle der Besucher der Gedenkstätte kontrollieren zu wollen. Moritz Schwarz

 

Martin van Creveld, Jahrgang 1946, ist Professor an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Der international bekannte israelische Militärhistoriker ("Die Zukunft des Krieges") veröffentlichte unter anderem im Auftrag der US Army eine Studie über die deutsche Armee im Zweiten Weltkrieg.

 

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