© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/03 07. November 2003

Berliner Theologische Fakultät vor dem Ende
Woran Hitler und Honecker scheiterten, scheint der derzeitigen Leitung der Humboldt-Universität durch langfristiges Austrocknen des Fachbereiches zu glücken
Karsten Jung

Nicht erst seit der Feststellung der mangelnden Verfassungsmäßigkeit der letzten Haushalte ist das Land Berlin gezwungen, auch im Bereich der Hochschulen zu sparen. Stellenkürzungen, geringere Mittel für die Bibliotheken, Numerus clausus auch für bisher zulassungsfreie Fächer - all diese Maßnahmen beuteln die Berliner Universitätslandschaft schon seit längerem.

Jetzt hat sich die Leitung der Berliner Humboldt-Universität unter der Federführung von Heinz-Elmar Tenorth, Vizepräsident für Lehre und Studium und Lehrstuhlinhaber für Historische Erziehungswissenschaft, einen besonderen Coup ausgedacht: die Zahl der Fakultäten soll von bisher elf auf sieben verringert werden. Dabei soll nach dem "Rahmenkonzept zur Strukturplanung" unter anderem die Theologische Fakultät aufgelöst werden. Als magerer Ersatz wird die Einrichtung eines Theologischen Institutes in einer neu zu gründenden "Philosophisch-Historischen Fakultät" angeboten. Dieses Institut wird allerdings erheblich kleiner sein als bisher: ein Drittel der Professuren soll eingespart werden. Die Theologische Fakultät hätte mit knapp einer Million Euro den viertgrößten Sparanteil einzubringen.

Die Auflösung der Fakultät, von der Universitätsleitung nicht ohne einen gewissen Dilettantismus vorbereitet, wird sich wahrscheinlich in der Form nicht realisieren lassen. Dagegen steht der Preußische Staatskirchenvertrag von 1931, der nach wie vor in Kraft ist. Danach wird der Bestand der Fakultät garantiert, so daß die Bemühungen der Universitätsleitung aller Voraussicht nach ins Leere laufen werden. Vizepräsident Tenorth wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, bei der Vorbereitung seiner Vorschlage nicht umfassend genug informiert gewesen zu sein.

Nichtsdestotrotz sind die angedrohten Kürzungen in der Tat existenzbedrohend. Worum geht es? Die Berliner Theologische Fakultät ist ein Zusammenschluß von drei theologischen Ausbildungseinrichtungen: die Kirchliche Hochschule in Berlin (West), die ihre Wurzeln im Widerstand vor allem Bonhoeffers gegen die Kirchenpolitik des Dritten Reiches hatte, die Sektion Theologie an der Humboldt-Universität und das sogenannte "Sprachenkonvikt" in Berlin (Ost), eine Einrichtung zur Theologenausbildung, die aus dem Widerstand gegen das SED-Regime erwachsen war. Bei dem Zusammenschluß der drei Einrichtungen Mitte der neunziger Jahre verfügte Berlin über 29 Professoren, die, darüber bestand Einigkeit, zunächst auf 18 (1995) und schließlich auf 15 (1998) heruntergekürzt werden sollten. Damit konnte eine qualifizierte Ausbildung in allen theologischen Teilbereichen gewährleistet werden.

Nun soll die Zahl der Professuren auf zehn heruntergefahren werden. Neubesetzungen werden erst möglich, wenn die Zahl der Professuren auf neun gesunken ist. Dies hat zur Folge, daß einige Teilbereiche verwaisen werden: Die nächste Neubesetzung wäre 2009 möglich. Im Jahr 2005 aber wird der letzte Vertreter in der systematischen Theologie (Dogmatik / Ethik) emeritiert, 2007 der letzte Philosoph, 2008 der letzte Alttestamentler. Ohne diese Fachgebiete zu besetzen, kann weder die Ausbildung garantiert noch können Examina gültig abgenommen werden. Durch die Hintertür würde damit die Theologie in Berlin faktisch abgeschafft - denn welcher Student studiert an einem Ort, wo er weder eine vollständige Ausbildung erhält noch ein Examen ablegen kann?

Besonders pikant ist, daß allein die Kirchliche Hochschule Berlin (West) elf Professuren eingebracht hatte. Die Zusammenlegung der kirchlichen und der staatlichen Fakultäten war mit dem Vertrauen der Kirche in einen Staat begründet, der die theologische Ausbildung unter der Prämisse wissenschaftlicher Freiheit zu gewährleisten schien. Die Enttäuschung über das mißbrauchte Vertrauen, noch nicht einmal den Bestand vor der Zusammenlegung zu garantieren, läßt ungute Erinnerungen an Zeiten anderen Umganges des Staates mit der Theologie wach werden.

Langfristig liefen die derzeitigen Sparpläne darauf hinaus, die Theologie in Berlin zur Bedeutungslosigkeit zu bringen - trotz steigender Studentenzahlen an der traditionsreichen Fakultät und obwohl die Theologie eines der wenigen Fächer ist, in dem die Deutschen weltweit tonangebend sind. Der Staat hat ein vitales Interesse an einer fundierten Ausbildung der Geistlichen. Daß trotzdem die Existenz der Theologie in Berlin zur Disposition steht, dürfte über die Hauptstadt hinaus eine erhebliche Signalwirkung haben.


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