© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/03 21. November 2003

Bedrohungen für den Weltfrieden
EU-Umfrage: Das "Flash Eurobarometer 151" liefert Schlagzeilen und Spektakel - aber keine Hintergründe
Silke Lührmann

Zu den bleibenden Erinnerungen an den 11. September 2001 gehört auch die gekränkte Reakti-on des US-Präsidenten, der nicht verstehen wollte, "warum man uns so haßt". Israel dagegen hat darauf eine Antwort stets parat: Egal, ob es für seine Maßnahmen zur Bekämpfung des palästinensischen Terrorismus von der Uno kritisiert oder von den Bürgern der Europäischen Union als größte Bedrohung des Weltfriedens eingestuft wird - dahinter steckt "Antisemitismus". EU-Kommissionspräsident Romano Prodi reagierte bereits auf die jüngst veröffentlichten Ergebnisse einer im Oktober durchgeführten Blitzumfrage (JF 47/03), indem er mit jüdischen Organisationen die Ausrichtung einer Konferenz vereinbarte, die sich mit den Vorwürfen befassen soll.

Die 7.515 telefonisch Befragten, um die 500 in jedem der fünfzehn EU-Mitgliedsstaaten, mußten nicht etwa - wie die Medienberichterstattung teilweise suggerierte - entscheiden, welches Land sie als größte Gefahr für den Weltfrieden empfinden, sondern lediglich, ob bestimmte Staaten ihrer Ansicht nach eine solche Bedrohung darstellen oder nicht: Die Liste reichte über Somalia (16 Prozent), Rußland (21 Prozent) und China (30 Prozent) bis zur Europäischen Union, die immerhin acht Prozent ihrer Bürger für eine Bedrohung des Weltfriedens halten - achtzehn Prozent in Großbritannien, vierzehn in Griechenland, dreizehn in Portugal, zwölf in Irland.

Erspart man sich die zynische, aber nicht unberechtigte Nachfrage "Welchen Weltfrieden?", bleibt die theoretische Überlegung, daß die Eigeninteressen eines jeden Staates potentiell den Weltfrieden bedrohen - und sich dieses Potential vervielfacht, über je weitreichendere Vernichtungskapazitäten er verfügt. Um so mehr verblüfft der Optimismus jener 41 Prozent der Europäer (35 Prozent der Deutschen), die unter "Weltfrieden" offenbar die Ruhe im eigenen Hinterhof verstehen und diese durch die anhaltende Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern nicht gestört sehen!

Von ganz anderem Kaliber ist die Angst vor den USA, die sich selber gerne als Beschützer und Garanten des Weltfriedens darstellen, von 53 Prozent der Europäer aber als Aggressor wahrgenommen werden - wodurch sie mit Ländern der von ihnen propagierten "Achse des Bösen" gleichziehen, nämlich Nordkorea und dem Iran. Am stärksten ist diese Ablehnung in Griechenland (88 Prozent), am schwächsten in Italien (43 Prozent) und Deutschland (45 Prozent).

Daß auch die Briten und Spanier - im krassen Gegensatz zu ihren Regierungen - dem Verbündeten im Irak-Krieg überwiegend mißtrauen (55 bzw. 61 Prozent), verwundert kaum, wenn man an die massiven Demonstrationen vom 15. Februar sowie die derzeitigen Proteste anläßlich von George W. Bushs Großbritannien-Besuch denkt. Trevor Kavanagh, Ressortleiter Politik beim britischen Boulevardblatt The Sun, dem Bush letzten Freitag im Weißen Haus ein Exklusiv-Interview gewährte, entblödete sich dennoch nicht, seiner Leserschaft zu predigen: "Ohne die Bereitschaft der USA, sich für uns stark zu machen, wäre die Welt ein viel weniger sicherer Ort. (...) Egal, was die Demonstranten in London sagen, Amerika ist eine Kraft des Guten, nicht des Bösen." Prompt konterte der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, indem er Bush im Ecologist Magazine als "größte Gefahr für das Leben auf diesem Planten" bezeichnete.

Afghanistan, wo nicht einmal der US-Präsident heute Massenvernichtungswaffen vermuten würde, ist 50 Prozent der Europäer als Bedrohung präsent, während der Konflikt zwischen den Nuklearmächten Indien und Pakistan derzeit aus den Medien und damit aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt zu sein scheint: EU-weit halten 48 Prozent Pakistan und nur 22 Prozent seinen Nachbarstaat Indien für eine Gefahr.

Die größten Sorgen um den Weltfrieden machen sich die Niederländer, deren Furcht vor allen genannten möglichen Aggressoren - außer der EU selbst - weit über dem EU-Durchschnitt liegt. Um die eigene Sicherheit bangen sie kaum - nur sieben Prozent glauben, die Niederlande seien "sehr stark" von Terrorismus bedroht. Am meisten Angst vor Anschlägen im eigenen Land haben die Irak-Alliierten der USA - in Spanien und Großbritannien hielten jeweils 76 Prozent die Gefahr für hoch, gefolgt von Italienern (62 Prozent), Deutschen (52 Prozent) und Franzosen (51 Prozent).

Wer dem Volk aufs Maul schauen will, muß ihm die Möglichkeit geben, sich vernünftig zu artikulieren. Das gilt für die Europäische Kommission, deren Generaldirektorat für Presse und Kommunikation dieses "Flash Eurobarometer 151" in Auftrag gab und die sich nun Israel gegenüber in Erklärungsnot gedrängt sieht, aber auch für das belgische Meinungsforschungsinstitut EOS Gallup Europe, das seinen Fragebogen nur auf französisch und in schlechtem Englisch - der bekanntlich meistgesprochenen Sprache der Welt, und erst recht in Brüssel - vorlegte.

Daß nebenher recht komplex zur Einschätzung des Irak-Kriegs und der gegenwärtigen und zukünftigen Situation im Land gefragt wurde, ging in der Aufregung um den angeblichen Antisemitismus der Europäer nahezu unter. So sind EU-weit 68 Prozent der Meinung, der Angriff auf den Irak sei ungerechtfertigt gewesen - das, obwohl 52 Prozent ihn für eine Bedrohung des Weltfriedens halten. Auch hier sind die Griechen am kritischsten eingestellt - ganze 96 Prozent hielten die militärische Intervention für ungerechtfertigt, davon 82 Prozent für "völlig ungerechtfertigt", nur ein Prozent meinte, sie sei "völlig gerechtfertigt" gewesen. In Großbritannien stimmten fünfzehn Prozent letzterer Aussage zu, in Spanien nur drei - weniger als bei den Kriegsgegnern Deutschland und Frankreich, wo vier bzw. drei Prozent den Einsatz für "völlig gerechtfertigt" und 21 bzw. 15 Prozent für "eher gerechtfertigt" hielten. Die höchste Zustimmung findet der Irak-Krieg in Dänemark: Dort waren 57 Prozent der Befragten der Meinung, er sei gerechtfertigt gewesen (davon neunzehn Prozent "völlig gerechtfertigt").

Die Mehrheit der Europäer (65 Prozent) befürwortet eine Finanzierung des Wiederaufbaus durch die USA unter Beteiligung der EU-Staaten (54 Prozent). Die politische und militärische Verantwortung für den Wiederaufbau des Irak hingegen möchten 58 Prozent bzw. 62 Prozent der Uno und nur eine Minderheit den USA (achtzehn bzw. sechs Prozent) anvertrauen. Gerade die Deutschen wollen eine Beteiligung der EU (23 Prozent) und der irakischen Übergangsregierung (57 Prozent) am Wiederaufbau.

Zur Rolle der EU in der Weltpolitik meinten 42 Prozent, diese sei durch den Irak-Krieg geschwächt worden. Ebenfalls 42 Prozent sehen keine Veränderung, 12 Prozent eine Stärkung. Letztere Einschätzung ist in Spanien (fünf Prozent) und Großbritannien (sieben Prozent) deutlich weniger verbreitet als in Ländern, die gegen den Krieg Position bezogen (Deutschland und Frankreich je 15 Prozent, Belgien 16). 81 Prozent der EU-Bürger wünschen eine Beteiligung der EU am Nahost-Friedensprozeß, 86 Prozent befürworten "politische und kulturelle Beziehungen zwischen Europa und den arabischen Ländern".


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