© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/03 28. November 2003

"Kritische Solidarität"
Die Basis der Union rebelliert
Dieter Stein

Gerne möchte die CDU am Sonntag in Leipzig einen beschaulichen Bundesparteitag eröffnen. Dort will sich die Union als Reformmotor Deutschlands präsentieren und zeigen, daß sie die Partei ist, die "besser für die Menschen" da ist, wie ihr Werbemotto lautet. Vor allem soll sich die Partei harmonischer und geschlossener darbieten, als es eben erst die SPD getan hat, die Schröders Frontleute Scholz und Clement bei Vorstandswahlen böse abstrafte.

Nach dem Bericht der CDU-Vorsitzenden soll laut Tagesordnung über den Antrag "Bürgerpartei CDU. Reformprojekt für eine lebendige Volkspartei" befunden werden. In einem Vorwort zur Parteitagseinladung erklärt Merkel: "Die CDU Deutschlands will den Menschen weit über eine kurzfristige Krisenbewältigung hinaus Perspektive bieten. Durch die Weiterentwicklung unserer Programmatik unterstreichen wir mit dem Leipziger Parteitag diesen Anspruch und nehmen Verantwortung für unser Land wahr."

Man hätte angesichts dessen, daß sich die CDU also als "Bürgerpartei" darstellen und "den Menschen" Perspektiven bieten will, die von Merkel ursprünglich nach dem Rauswurf des Abgeordneten Hohmann aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion angekündigte "Patriotismus-Debatte" mit großem Interesse verfolgt.

Doch wie sagt Merkel in ihrem Parteitags-Vorwort: "Gleichzeitig sinkt die Halbwertzeit beschlossener Maßnahmen, und scheinbar abgearbeitete Themen gelangen nach kurzer Zeit erneut auf die Tagesordnung." So ist es auch mit dem genannten "Fall Hohmann". Man hatte schon geglaubt, die "Geschichte" ausgesessen zu haben. Schwamm drüber. Abgehakt. Die Basis wird es schon fressen.

Doch es rumort und brodelt in den Gliederungen der Union. Furore macht nun der von Parteimitgliedern um den ehemaligen ZDF-Moderator Fritz Schenk initiierte Appell "Kritische Solidarität mit Martin Hohmann", der in diesen Tagen in mehreren überregionalen Zeitungen publiziert wurde.

Dieser Basis-Appell macht überdeutlich, daß sich etwas in diesen Wochen geändert hat in Deutschland. Der von Arnulf Baring vor genau einem Jahr ausgestoßene Schlachtruf "Bürger, auf die Barrikaden!" ist offenbar nicht ungehört verhallt. Seitdem sind neue Initiativen ("Bürger-Konvent") entstanden, die jenseits der großen Parteien wachsenden Protest artikulieren. Und bei einer traditionell verschlafenen, führungshörigen, zur Rebellion unfähigen Partei wie der CDU muß schon einiges zusammenkommen, wenn über 1.000 Mitglieder und Funktionsträger einen Appell unterschreiben, der die Parteiführung frontal angreift.

Es bleibt abzuwarten, ob auch eine kritische Anzahl von Delegierten in Leipzig den Mut aufbringen wird, sich der geölten Parteitagsstrategie zu widersetzen und durch Initiativanträge dafür zu sorgen, daß doch noch über den Ausschluß von Hohmann offen diskutiert wird. Es wäre eine Überraschung und ein positives Beispiel innerparteilicher Demokratie.


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