© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/03 28. November 2003

Neuigkeiten in schwacher Dosierung
Solange absehbar kein Geheimdienst nähere Einblicke in seine Archive zulassen wird, können Gesamtdarstellungen nur im Nebel stochern
Robert Mühlbauer

Nachts sind die Agenten grau, und keiner wird aus keinem schlau." So lautete einst die Losung des beliebten Gesellschaftsspiels "Heimlich & Co". Um das verborgene Wirken der Geheimdienste, ihrer Agenten, Spione und Spitzel, ranken sich zahllose Legenden. Ihre Aufgabe, nüchtern betrachtet, liegt im Sammeln und Auswerten von Nachrichten. Auch die bewußte Weitergabe falscher Informationen zur Irreführung des Gegners kann Vorteile verschaffen. Nicht selten greifen Geheimdienste auch ganz direkt und aktiv ins Weltgeschehen ein. Schon seit der Antike kennt man solche "verdeckte Operationen". Gelingt "007" ein spektakulärer Coup, so muß er aber - anders als im Film - Stillschweigen darüber wahren.

Ein Aufdecken und wissenschaftliches Aufarbeiten aller Machenschaften der Geheimdienstler ist von offizieller Seite kaum erwünscht. Es wäre kontraproduktiv, wüßten die Gegner zu viel über eigene Erfolge und Mißerfolge. Auch wenn seitdem bereits viel Zeit verstrichen ist, halten sich Regierungen bedeckt. Westliche Demokratien unterscheiden sich darin nur graduell von paranoiden Diktatoren, die Dokumentenmaterial unter Verschluß halten und im Notfall vernichten. Diesen Quellenmangel beklagt der Marburger Historiker Wolfgang Krieger, denn die spärliche Informationspolitik auch westlicher Demokratien behindert nicht nur die seriöse wissenschaftliche Forschung. Die Lücke ist willkommene Einladung an dubiose Enthüllungsautoren, wie der aktuelle Boom von Verschwörungsliteratur zum 11. September belegt. Um einen wahren Kern flechten sie Spekulation und Fiktion.

Krieger, bereits durch mehrere Publikationen über Nachrichtendienste ausgewiesener Spezialist auf diesem Fachgebiet, hat nun ein reizvolles Buch herausgebracht, das Geheimdienstliches quer durch die letzten 2.500 Jahre behandelt. Unter den Autoren des Sammelbands sind zahlreiche deutsche Universitätsprofessoren, ein Wiener Privatgelehrter und Forscher aus Paris, Tel Aviv und den Vereinigten Staaten. Das Buch bietet keine umfassende, systematisch-chronologische Gesamtdarstellung, ist kein vollständiges Lexikon über Nachrichtendienste und Spionage. Aber es enthält eine überaus anschauliche Sammlung von Einzeldarstellungen und ist zudem vergnüglich zu lesen. Es vermittelt Einblicke in Geschichte und Funktionieren von Geheimdiensten, in die Vielfalt ihrer Zielsetzungen und ihr Wechselspiel mit der Politik, in die Bedeutung von Technik wie von Einzelpersonen, in spektakuläre nachrichtendienstliche Erfolge wie Mißerfolge: 22 Beiträge aus einer dunklen und grausamen, gleichwohl faszinierenden und unterhaltenden Welt.

Die tour d'horizon beginnt bei den "prodromoi", den Aufklärern im Heer Alexanders von Makedonien, und endet mit den undurchsichtigen Geschehnissen des 11. September 2001 und dem darauf folgenden Krieg in Afghanistan. Neben Darstellungen der ausgedehnten Spionageringe im alten China und das über ganz Europa gespannte Päpstliche Nachrichtennetzwerk des Mittelalters lesen wir von den Buckligen und Zwergen am Hofe des indischen Herrschers Candragupta, von der "Stillen Strafgewalt", durch die er politische Gegner beseitigen läßt. Man erfährt Details zur Verschlüsselung heikler Informationen im alten Sparta, bei der Staatspost der römischen Kaiser und der Korrespondenz der Kurie. Wir verirren uns in den Abgründe des Hundertjährigen Krieges und schaudern über die Politik Richelieus und seines schlauen Père Joseph.

Die Essays räumen gleich mit mehrere Legenden auf: Wußten Sie, daß der als Spion für das zaristische Rußland überführte k.u.k. Generalstabsoberst Redl letztlich mehr den Russen als den Österreichern geschadet hat? Oder daß Mata Hari, weltweit bis heute der Inbegriff einer kühn-skrupellosen deutschen Spionin, zwar eine begabte Lebenskünstlerin war, daß aber ihr Agieren als "Agentin" der Phantasie der Entente-Geheimdienste entsprang? Ihre Hinrichtung, so sieht es die Forschung heute, war letztlich bloß ein Propaganda-Gag der Franzosen. Und wußten Sie, daß der "Meisterspion" Günter Guillaume in Wirklichkeit eine eher spärliche Informationsquelle für seine Ostberliner Auftraggeber war, dessen Spitzeldossiers meist nur mit "Note 3" bewertet wurden? Wie der Stasi-Historiker Hubertus Knabe darlegt, war der Fall Guillaume und in der Folge der Abgang des großen Entspannungsfreundes Willy Brandt tatsächlich ein politisches Eigentor für die DDR.

Überaus spannend sind auch die Ausführungen des amerikanischen Historikers Ernest R. May über den Westfeldzug von 1940. Trotz äußerst dürftiger militärischer Nachrichtenbeschaffung der Deutschen und trotz eines wirklich sehr gut ausgebauten "Deuxième Bureau" konnten die kaiserlichen Truppen einen vollständigen Sieg gegen die alliierte Übermacht erringen, dank der brillanten nachrichtendienstlichen Analyse deutscher Generalstäbler und eines katastrophalen Führungsversagens im französischen Geheimdienstapparat. Durchaus interessant lesen sich auch die Erläuterungen des französischen Historikers Maurice Vaïsse zu einem der merkwürdigsten Geheimdienstskandale der Nachkriegszeit, der Versenkung des Greenpeace-Schiffes "Rainbow Warrior" durch französische Agenten vor der neuseeländischen Küste.

Abschließend geht Herausgeber Krieger der Frage nach, ob im Vorfeld des 11. Septembers 2001 die Geheimdienste versagt haben. Also ein "intelligence failure", wie der Fachjargon lautet? Kriegers Darstellung der Anschläge, welche die Welt veränderten, hält sich abseits aller Verschwörungsphantasien. Manchmal übernimmt er allzu unkritisch die offizielle Version der Ereignisse. Allenfalls übt er Kritik an unfähigen FBI-Beamten, die zwar den mutmaßlichen "zwanzigsten Attentäter" Zakarias Moussaoui bereits im August 2001 festgenommen, dann jedoch versäumt hatten, seine Wohnung gründlich zu durchsuchen. Zudem kritisiert Krieger die Einwanderungsbehörden, die bei militanten Muslimen offenbar alle Augen fest zugedrückt hätten. Auch in Europa hätten Polizei und Geheimdienst lange Zeit geschlafen, so etwa in Hamburg, wo man "islamistische Biotope tolerierte", beklagt Krieger. Den Grund für die falsche Zurückhaltung sieht er in der political correctness. Man staunt: Selbst kühl kalkulierende Geheimdienstler (bzw. ihre politischen Vorgesetzten) scheinen heute von der Gutmenschen-Seuche befallen.

Wolfgang Krieger (Hrsg.): Geheimdienste der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart. Verlag C.H.Beck, München 2003, 380 Seiten, 22,50 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen