© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/03 28. November 2003

Frisch gepresst

Erich Marcks. Ein Geschichtsschreiber der "Liebe" als "Quell historischen Begreifens" für unentbehrlich gehalten hat, durfte nach 1945 kaum damit rechnen, in der Zunft noch etwas zu gelten. Kein Wunder, daß der 1938 verstorbene Bismarck-Biograph Erich Marcks, der die rasche Verdrängung seines Lebenswerks nicht mehr selbst erleiden mußte, in der von Hans-Ulrich Wehler seit den siebziger Jahren herausgegebenen Sammlung "Deutsche Historiker" gar nicht mehr vorkommt. Abgeheftet unter dem Etikett "Neorankeaner" erinnert man sich seiner bestenfalls, wenn es gilt, die Finsternis "negativer" Traditionen der sich angeblich in "Machtanbetung" erschöpfenden "preußisch-deutschen" Geschichtswissenschaft zu kontrastieren mit dem erleuchteten Treiben einer "kritisch-aufgeklärten" historischen Sozialwissenschaft Bielefelder Provenienz. Die bei Klaus Hildebrand in Bonn entstandene Marcks-Studie von Jens Nordalm muß daher, will sie sich aus diesem öden Schematismus befreien, gleich mit dem ersten Satz ohne Umschweife bekennen: "Diese Studie versucht eine Rehabilitierung des in seiner Generation einstmals führend erachteten Historikers Erich Marcks." Konsequent geht Nordalm noch einen großen Schritt weiter und verkündet, im gegenwärtigen disziplinären Umfeld geradezu provozierend und - wäre da nicht die in derselben Schriftenreihe 1998 publizierte fulminante Ranke-Studie Siegfried Baurs - einzigartig, mit seiner Marcks-Monographie eine "grundsätzliche Verteidigung des Historismus gegen die Anwürfe seiner zahlreichen Verächter" ins Werk setzen zu wollen - was ihm, aus der Sicht dieser Verächter, in beängstigender Weise gut gelungen ist (Historismus und moderne Welt. Erich Marcks, 1861-1938, in der deutschen Geschichtswissenschaft. Duncker & Humblot, Berlin 2003, 414 Seiten, 98 Euro).

An Grenzen orientieren. Welche Bedeutung haben die zehn Gebote in einer Zeit, die einem schrankenlosen Subjektivismus huldigt, die Grenzen des Lebens nicht anerkennen will und eine immanente Tendenz zu instrumentellem Denken aufweist? Der Theologe und Soziologe Reimer Gronemeyer sieht in ihnen unverzichtbare, wenn auch partiell neu auszudeutende "Grenzpfähle", die ein Abgleiten der modernen Gesellschaft in die Barbarei verhindern könnten. Gegen das Recht des Stärkeren, die Entfesselung des Marktes und die "Vergötzung der Zukunft" bringt er den Dekalog in Stellung. Von ihm ausgehend thematisiert er unter anderem auch die "Krise der Arbeitsgesellschaft" und die problematisch gewordenen menschlichen Beziehungen. Seine umfassende Zeitkritik mündet in die Forderung, eine lebenswerte Alternativentwicklung unserer von Spaltung bedrohten Gesellschaft durch Etablierung einer Kultur der Selbstbegrenzung einzuleiten (Eiszeit der Ethik. Die Zehn Gebote als Grenzpfähle für eine humane Gesellschaft. Echter Verlag, Würzburg 2003, 180 Seiten, 12,80 Euro).

Zitatenreise. Friedrich Carl Albrecht versucht in seinem Werk "Blick auf drei Jahrhunderte - Politische Zitate 1700 bis 2000", den Leser über den Tellerrand der Schulbildung zu führen, welche seiner Meinung nach ein "verzerrtes Geschichtsbild" vermittle. Bekannte Zitate erscheinen in einem ganz neuen Licht, da Hintergrundinformationen nicht vorenthalten, sondern ausführlich erläutert werden. Dabei läßt Albrecht anhand der zeitlichen Auswahl seiner Leitsprüche durchblicken, daß die historische Darstellung der Kulminationen in Form der Weltkriege des letzten Jahrhunderts ihm ganz besonders am Herzen liegt und eine Korrektur in der Bewertung verdiene. Der Kreis seiner Quellen läßt die Vermutung zu, daß Albrecht auch politisch einem "linken" Geschichtsbild widersprechen will (Klosterhaus-Verlag, Wahlsburg 2003, 66 Seiten, 9,80 Euro).


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