© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/03 05. Dezember 2003

Politische Kampagnen
Immer totalitäreres Klima
Dieter Stein

War in diesem Moment die Hohmann-Kampagne für die CDU durchgestanden? In jenem Moment, als der nordrhein-westfälische CDU-Chef Jürgen Rüttgers mit sich überschlagender Stimme auf dem Bundesparteitag in Leipzig in Richtung des Delegierten Leo Lennartz ausstieß: "Gott sei Dank ist dies Ihr letzter Parteitag"? Mit einem Tobsuchtsanfall hatte Rüttgers darauf reagiert, daß wenigstens ein Delegierter es gewagt hatte, den Umgang mit Martin Hohmann auf dem Parteitag zu kritisieren. Mit den Worten "Ich will mit solchen Leuten wie Ihnen nicht in einer Partei sein" würgte Rüttgers die Debatte ab - und die Delegierten kuschten. Rüttgers ließ in diesem Moment die demokratische Maske fallen und zeigte die häßliche Fratze eines Inquisitors.

Es ging schließlich um das große Ganze. Um die Reformen im Steuer-, Gesundheits-, Sozial- und Rentenwesen, damit Deutschland wieder gemäß dem Parteitagsmotto "mehr kann". Nachvollziehbar, daß man sich da mit dem menschlichen Kleinkram dieses, wie hieß er noch, ach ja, Martin Hohmann, nicht mehr länger aufhalten kann. Ist ja sowieso alles nur Futter für den politischen Konkurrenten. Also: Schwamm drüber, Fall abgehakt, die Karawane zieht weiter. Wichtig ist schließlich alleine, was hinten rauskommt. Und hinten rausgekommen sind eben ein paar menschlich unschöne Gesten, ja, sicher, wo gehobelt wird, fallen eben Späne ... so mögen manche sprechen.

Es darf aber bezweifelt werden, ob es nicht ein anhaltendes Nachbeben zur Hohmann-Kampagne geben wird. So vergeßlich sind die Menschen dann doch wieder nicht, daß sie sich nicht daran erinnern würden, wie menschenverachtend hier mit einem Politiker umgegangen worden ist, wie unsolidarisch man einen Abgeordneten unter dem Druck der Medien und des politischen Gegners hat fallenlassen wie eine heiße Kartoffel. Es wird zu tektonischen Verschiebungen auch über die CDU/CSU hinaus kommen.

Trotzdem ist es denkbar, daß dieses Unsolidarische, ja Asoziale, wie der "Fall Hohmann" abgehandelt worden ist, den Unionsparteien kurzfristig politisch nicht schadet. Den Menschen brennen die wirtschaftlichen und sozialen Fragen nunmal mehr unter den Nägeln als Fragen der innerparteilichen Demokratie und der Geschichtspolitik.

Die Bürokraten und Exekutoren in der Union werden sich also zunächst bestätigt sehen können. Wenn die Mitglieder insbesondere des konservativen Flügels in der Union daraus nicht Konsequenzen ziehen, dann wird das bei der nächsten Kampagne wieder genauso ablaufen. Zwar hat ein überregional stark wahrgenommener Appell demonstriert, daß sich Konservative nicht entsolidarisieren lassen und zum Protest auch mit ungewöhnlichen Methoden bereit sind - wenn daraus aber nicht anhaltende Stärke erwächst, sondern nur weitere Marginalisierung, dann sieht es düster für sie aus.

Was bleibt, ist der beklemmende Eindruck eines immer totalitärere Züge annehmenden politischen Klimas in Deutschland.


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