© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/03 05. Dezember 2003

Meldungen

Auflösung von Erinnerungskultur

SEELZE. Vor vier Jahren lebten in Deutschland weniger als fünf Millionen Menschen, die noch über persönliche Erinnerung an die Zeit des Zweiten Weltkriegs verfügten. Mit dem Aussterben dieser Zeitzeugen ist also um 2020 zu rechnen. Wie der Düsseldorfer Historiker Christoph Cornelißen in einem Beitrag über "Erinnerungskultur" ausführt (Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 10/03), bilden aber maximal drei aufeinanderfolgende Generationen eine "Erfahrungs-, Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft". Günstigstenfalls sind daher die um 1980 geborenen Enkel der "Flakhelfer" die letzten Träger des vom Zweiten Weltkrieg vielleicht nur noch rudimentär geprägten "kommunikativen Gedächtnisses". Im Verlauf der nächsten dreißig Jahre, so lautet die bei Cornelißen nicht explizite Schlußfolgerung, dürfte die kollektive Identität dann in einem Ausmaß von neuen Deutungsmustern bestimmt werden, die den geschichtspolitischen Wert etwa Hitlers und Stalins auf die Dimensionen Napoleon und Metternichs einschrumpfen. Auch andere "Katastrophen" des 20. Jahrhunderts werden mit der Auflösung des Generationenzusammenhangs für die heranwachsenden "Erfahrungskohorten" existenzielle, sinnstiftende Bedeutung mit fast naturgesetzlicher Zwangsläufigkeit verlieren.

 

Kant contra Lorenz: Evolution der Vernunft

BERLIN. Mit Charles Darwins Deszendenztheorie ist der Anspruch formuliert, daß auch die menschliche Vernunft nur ein Ergebnis biologischer Evolution sein könnte. Folglich interpretiert die auf Konrad Lorenz' verhaltensbiologischen Arbeiten fußende Evolutionäre Erkenntnistheorie die kantische Lehre von den apriorischen, nicht erfahrungsabhängigen Bedingungen der Möglichkeit objektiver Erfahrung "phylogenetisch" um. Matthias und Sabine Kuhle beunruhigt diese biologische Entthronung der scheinbar "überzeitlichen" Vernunft und die daraus folgende Relativierung vorgeblich "allgemeingültiger" Erkenntnisse so stark, daß sie sich an der Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Kant und Darwin versuchen (Kant-Studien, 2/03). Im Ergebnis steht es schlecht um die "Autonomie" menschlicher Vernunft. Obwohl beide Autoren zu erklären bemüht sind, das "apodiktische Apriori als Vermögen der Vernunft" lasse sich zumindest nicht vollständig mit den Mechanismen der Evolutionstheorie erklären, bleibt für die "Invarianz" dieses Apriori wenig Raum. Alle Technik des Denkens müsse nun einmal von Individuen entdeckt, erlernt und tradiert werden und sei daher abhängig von kulturellen Rahmenbedingungen, auch wenn die "Möglichkeit zu apodiktischem Denken" angeblich zeitunabhängig "latent immer vorhanden" bleibe.

 

Markus Meckel wird mit Viadrina-Preis geehrt

FRANKFURT/ODER. Für seine Verdienste, "die er sich um die Verständigung zwischen Polen und Deutschen im europäischen Geist erworben hat", wird der SPD-Abgeordnete Markus Meckel mit dem von der Europa-Universität Viadrina ausgeschriebenen und mit 2.500 Euro dotierten "Viadrina-Preis" ausgezeichnet. Die Laudatio wird am 18. Dezember der polnische Botschafter Andrzej Byrt halten. Meckel gilt als Hauptkritiker des Denkmals gegen die Vertreibung des Bundes der Vertriebenen am Standort Berlin.


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