© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/03 12. Dezember 2003

Keine Chance für den Bayern
CDU/CSU: In den Unionsparteien schwelt der Streit um die Sozial- und Steuerpolitik / CSU-Chef Stoiber holte sich in Leipzig eine Abfuhr
Paul Rosen

Ist Edmund Stoiber am Ende? Diese Frage steht seit dem CDU-Parteitag in Leipzig im Raum, auf dem sich der als Gastredner auftretende CSU-Chef eine frostige Abfuhr bei den 1.000 Delegierten holte. Die Zeichen hatten schon vor dem Parteitag für den Bayern auf Sturm gestanden: So hatte der nordrhein-westfälische CDU-Chef Jürgen Rüttgers Stoiber öffentlich als "ehemaligen Kanzlerkandidaten" tituliert. Der Streit zwischen den Bayern und der CDU um die besseren Konzepte in der Sozial- und Steuerpolitik hatte zu einem ungewöhnlichen Solidarisierungseffekt in der CDU geführt. Alles in allem eine Lage, die auf neudeutsch als "No-Win-Situation" für Stoiber zu beschreiben war. Der Bayer, dessen Auftritte auf CDU-Parteitagen sonst Höhepunkte dieser oft am Rande der Trostlosigkeit verlaufenden Veranstaltungen waren, hatte diesmal keine Chance.

Natürlich kann man nach der Veranstaltung hingehen und mit dem großen Hammer auf die nördliche Schwesterpartei einschlagen, wie CSU-Generalsekretär Markus Söder dies tat. Söder warf den CDU-Delegierten kindisches Verhalten vor, weil sie offenbar nicht ausreichend lang geklatscht hatten. Der früher von Beifallsstürmen verwöhnte Stoiber kam in Leipzig auf 90 Sekunden, während CDU-Chefin Angela Merkel einen Tag vorher fünfeinhalb Minuten beklatscht worden war. Söder befand, in Leipzig sei es "wie in der Schüler-Union" gewesen.

Das trifft den Kern nicht ganz. Die in Leipzig anwesenden CSU-Strategen hätten nur eins und eins zusammenzählen müssen, um vorher schon erkennen zu können, daß ihr Chef hier in eine große Falle tappen würde. Wie schon gesagt, die CDU befand sich schon vor Leipzig in einer merkwürdigen Solidaritätsstimmung. Delegierte und Funktionäre fühlten sich von den Bayern und speziell von CSU-Vize Horst Seehofer ungerecht behandelt, der der CDU wiederholt eine Politik der sozialen Kälte vorgehalten und das Konzept der Herzog-Kommission zur Sozialpolitik scharf kritisiert hatte.

Am zweiten und letzten Tag beförderte CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz noch einmal die Stimmung. Merz stellte sein Steuerkonzept vor und geißelte dabei die "Staatsschauspieler" der rot-grünen Koalition in Berlin, geizte aber auch nicht mit Kritik an der bayerischen Schwester. Merz wurde, für ihn selbst wohl am meisten überraschend, gefeiert wie ein Kanzlerkandidat. Nach dieser Lage hätten die anwesenden CSU-Politiker wie Söder oder CSU-Landesgruppenchef Michael Glos Stoiber raten müssen, seinen Auftritt abzusagen. Die Gelegenheit wäre günstig gewesen, der Leipziger Flughafen war wegen Nebel ohnehin vorübergehend geschlossen. Doch entweder hatten Stoibers Parteifreunde geschwiegen, oder der CSU-Chef hatte nicht auf sie gehört.

Für Stoiber gab es nur noch Höflichkeitsapplaus

Hinzu kam, daß Stoibers Rede schlecht war. Sein Beraterstab hatte nach dem Auftritt von Herzog noch versucht, den Text zu ändern. Besser wurde die Rede dadurch nicht. Stoibers Vortrag war nicht nur in der Struktur, sondern auch im Inhalt unklar. Höflichkeitsapplaus sammelte er gerade noch bei seinen Angriffen auf die rot-grüne Koalition ein. Viele Zuhörer empfanden Stoibers langatmige Ausführungen zur Staatsverschuldung als Verlegenheitslösung. So konnte der CSU-Chef detaillierte Ausführungen zum Herzog-Konzept und zur Rente vermeiden. Am Ende ging Stoiber in der Messehalle unter, weil er die Stimmung der Delegierten nicht traf und sich andererseits auch nicht leisten konnte, das CDU-Konzept inhaltlich zu zerpflücken. Das wäre das endgültige Ende seines Anspruchs auf die Kanzlerkandidatur gewesen.

Die Frage, ob Stoiber am Ende ist, läßt sich jedoch nicht mit Ja beantworten. Der CSU-Chef hat in der Union eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren. Frau Merkel kann sich immer noch nicht als Antwort auf die seit Helmut Kohls Abtritt offene Führungsfrage der Union verstehen. Die Zahl der von der Vorsitzenden gedemütigten Politiker wächst. Da ist nicht nur der als Fraktionsvorsitzender geschaßte Merz. Auch der Hesse Koch fühlt sich zunehmend ausgegrenzt. Er hatte nichts vom schnellen Meinungsumschwung in der Parteizentrale in Sachen Hohmann erfahren. Während Koch die Rüge für Hohmann in einer Rede vor der Jüdischen Gemeinde in Frankfurter noch als ausreichende Maßnahme verteidigte, bereitete Merkel in Berlin längst das Ausschlußverfahren vor. Die schließlich bei zahlreichen Gegenstimmen gewonnene Abstimmung gegen Hohmann hat die Zahl der Anhänger der Vorsitzenden deutlich reduziert. Viele Abgeordnete fühlen sich durch die Strafaktion gegen Hohmann, den sie für einen "netten Kerl" halten, mißbraucht.

Sachliche Gründe kommen hinzu. Die Beschlüsse der CDU in Leipzig harmonisieren nicht miteinander. Die Problematik von Kopfpauschalen in der Krankenversicherung ist hinreichend bekannt. Aber die CDU konnte bisher die Frage nicht beantworten, woher die rund 50 Milliarden Euro kommen sollen, die für die Krankenversicherung aus Steuermitteln gebraucht werden, wenn sie andererseits den Stufentarif von Merz einführen will. Die Parteibeschlüsse von Leipzig dürften in der Bundestagsfraktion, wo sich CDU und CSU auf ein gemeinsames Konzept verständigen müssen, regelrecht zerpflückt werden. Das fällt dann auf die CDU-Vorsitzende zurück. Merkel wird Probleme bekommen, während Stoibers Auftritt bald vergessen sein dürfte.


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