© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/03 12. Dezember 2003

Frisch gepresst

Erster Weltkrieg. Das Lexikon über die "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts, das Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz in Verbindung mit Markus Pöhlmann herausgegeben haben, wird nicht nur die Grundlage für die 2004 anstehenden Gedächtnisübungen bilden, es dürfte auch bis zum 100. Jahrestag das maßgebende Kompendium bleiben, aus dem sich die medialen Hüter der "Erinnerungskultur" mit "Basiswissen" versorgen werden, oder doch unbedingt versorgen sollten. Das schlösse blamable Wertungen aus, wie sie jüngst ein "Panorama"-Redakteur riskierte, der im Kontext der Hohmann-Rede glaubte, die Prägung "Versailler Diktat" bereits als "rechtsradikales Vokabular" ächten zu müssen. Dem von Klaus Schwabe verfaßten Artikel "Versailler Vertrag" dieser beeindruckenden Enzyklopädie hätte er entnehmen können, daß dessen Revision das "Anliegen der gesamten deutschen Öffentlichkeit" war. Schwabes Deutung, wonach das Diktat der deutschen Politik doch herrliche "Entwicklungsmöglich-keiten" geboten habe, zeigt allerdings auch eine eigentümliche Ambivalenz dieses Riesenwerkes. Sehr viele Artikel des Lexikonsteils und einige der Überblicksdarstellungen ("Staaten", "Gesellschaft im Krieg", "Kriegsverlauf" und "Geschichtsschreibung") enthalten noch immer liebgewordene, geschichtspolitisch motivierte Ideologeme, während andere, vor allem der Überblicksartikel "Wissenschaft" von Jürgen Ungern-Sternberg (im Kontrast zum "schöngeistigen" Terrain der "Kriegsliteratur", auf dem Bernd Hüppauf etwas überfordert wirkt) solche Fixierungen weit hinter sich lassen (Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2003, 1002 Seiten, Abbildungen, 58 Euro).

Helmut Bohn. Herausgegeben von Edel von Freier, liegt seit kurzem die politische Biographie von Helmut Bohn vor. Über den 1914 in Recklinghausen Geborenen, der als Verleger, Publizist und Schriftsteller - ja, auch als Maler - seine vielfältigen Begabungen unter Beweis stellte, ist ein authentischer Zeitbericht entstanden, der wichtige Einblicke in entscheidende Phasen der jüngeren deutschen Geschichte ermöglicht. Bohn, der 1970 an der Gründung des "Bundes Freiheit der Wissenschaft" beteiligt war und die Hochschulpolitischen Informationen herausgab, wurde als Kind Zeuge des Aufstandes der Roten Ruhrarmee (1920), erlebte die Wirren des deutschen Bürgerkrieges also aus eigener Anschauung. Auf die jugendliche Begeisterung für den nationalen Aufbruch, den er im Nationalsozialismus zu erkennen glaubte, folgte schon bald die Ernüchterung. Angesichts verzerrender Darstellungen der Gegenwart ist ihm, der 1943 an der Ostfront kämpfte, bevor er Anfang 1944 in Kriegsgefangenschaft geriet, die Vermittlung von Geist und Perspektive der damaligen Solda-tengeneration ein besonderes Anliegen. Seine von Februar 1944 bis November 1947 dauernde Gefangenschaft verarbeitete Bohn auch literarisch (Helmut Bohn: Verschlungene Spuren. Eine politische Biographie 1914-1998. Edition Antaios, 414 Seiten, 23,80 Euro).

Nordböhmen. Der 1929 im südlich des Erzgebirges gelegenen Komotau geborene Journalist Gerhard Schrötter beschreibt sein Schicksal in der Beschaulichkeit der Kleinstadt im Sudentenland, die nach Bombardements während des Zweiten Weltkriegs, spätestens aber mit dem Einmarsch der Sowjets kurz vor Kriegsende ein Ende findet. Die in Romanform geschriebene Schilderung läßt sein Alter ego die Schrecken der folgenden Tortur in tschechischen Lagern durchleben, wo die deutschen Insassen der völligen Willkür ihrer Bewacher ausgesetzt sind. Aus dieser Perspektive erscheint dem Jugendlichen die anschließende Vertreibung ins nur fünfzig Kilometer entfernte Sachsen wie eine Heimkehr aus der Hölle (Der Schlüssel. Geschichte einer Jugend in Nordböhmen. Universitas Verlag, München 2003, 325 Seiten, 19,90 Euro).


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