© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 01/05 31. Dezember 2004

"Kein Ruhmesblatt für die Politik"
Föderalismuskommission: Nach dem Scheitern der Staatsreform läuft die Suche nach den Schuldigen und nach Wegen aus der Krise
Paul Rosen

Das Scheitern der Föderalismuskommission sei "kein Ruhmesblatt für die Politik", meint Bundespräsident Horst Köhler, und das ehemalige Staatsoberhaupt Roman Herzog befindet, die Föderalismusreform sei zu einer "Lebensfrage der Republik geworden". Herzog hat recht. Ein Staat, der nicht mehr in der Lage ist, die Verhältnisse zwischen seinen beiden parlamentarischen Kammern Bundestag und Bundesrat neu zu ordnen, steht vor seiner Existenzfrage.

Die aus gleichberechtigten Mitgliedern des Bundestages und Bundesrates zusammengesetzte Föderalismuskommission hatte ohnehin nicht den ganz großen Wurf geplant. Von vorneherein waren die Länderneugliederung und eine Finanzreform ausgeklammert worden. So bleiben eigentlich konkursreife Länder wie das Saarland, Berlin und Bremen erhalten. Und das Finanzsystem führt weiterhin dazu, daß Leistung und Sparsamkeit bestimmter Länder bestraft werden und die Habenichtse im föderalen System mit Ausgleichszahlungen auf den Durchschnitt angehoben werden.

Die Vorsitzenden der Kommission, SPD-Chef Franz Müntefering und CSU-Chef Edmund Stoiber, wollten besonders zu einer Entflechtung der Zuständigkeiten kommen. Dies hätte einerseits die Handlungsfähigkeit des Bundes gestärkt. Andererseits hätten die weitgehend entmachteten deutschen Landtage wieder neue Zuständigkeiten erhalten, wenn sich der Bund aus einigen Politikbereichen wie dem Beamtenrecht zurückgezogen hätte. Mit dem Scheitern der Kommission bleibt es jedoch bei dem Zustand, daß eine Große Koalition von Bundesregierung und Landesregierung im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat die wichtigsten Entscheidungen für dieses Land trifft, wobei alle Beschlüsse stets auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner erfolgen. Selbst Laien dürfte klar sein, daß Trippelschritte nicht ausreichen werden, um die verkrusteten Strukturen in Deutschland aufzubrechen und die Bundesrepublik zu modernisieren.

Vor allem zwei Gründe führten zum Scheitern der Reform. Längst hatte die SPD erkannt, daß die Bildungspolitik zum Wahlkampfthema 2006 werden könnte. Sie gehört zu den "weichen" Politikthemen. Man kann den Bürgern erzählen, es müßten endlich mit mehr Ganztagsschulen die Konsequenzen aus der Pisa-Misere gezogen werden. Dabei wird verschwiegen, daß der Bund schon heute kaum Zuständigkeiten in der Bildungspolitik hat und daß die Bildungssysteme ausgerechnet in den von der SPD regierten Ländern am schlechtesten funktionieren. Zwar hatten sich die SPD-Vertreter zum Beginn der Kommissionsarbeit bereit erklärt, die Bildungspolitik weitgehend an die Länder abzutreten. Aber kurz vor Schluß kam offenbar aus der SPD-Parteizentrale die Weisung, eine Einigung in zu verhindern.

Umgekehrt konnte Stoiber sich gerade in der Schlußphase nicht mehr auf seine Unions-Kollegen aus den Ländern und auf die Fraktionsführung im Bundestag verlassen. Sie neideten ihm eine möglichen Erfolg, so klein er vielleicht gewesen wäre. Aber jedes Ergebnis hätte den Bayern vielleicht wieder in die Nähe der Kanzlerkandidatur gebracht. So hatte die CDU-Seite aus rein wahltaktischen Motiven ebensowenig Interesse an einem Erfolg wie die SPD-Seite. Es bestätigte sich wieder der alte Satz, daß die meisten Politiker nur von einem Wahltermin zum anderen denken. Wäre es anders, würde man von Staatsmännern reden.

Die Vorschläge, die jetzt gemacht werden, zeigen das Ausmaß an Hilflosigkeit, die die deutsche Demokratie erfaßt hat. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) glaubt tatsächlich, mit den Ländern über eine Abtretung von Bildungskompetenzen verhandeln zu können. Stoiber und Müntefering äußerten die Erwartung, daß man 2005 vielleicht doch noch einen Anlauf zu einem neuen Reformversuch unternehmen könnte. Doch die Chance ist vertan. Da die Zeit bis zu den Bundestagswahlen immer kürzer wird, haben weder Koalitions- noch Oppositionspolitiker ein Interesse an Veränderungen, von denen sie nicht wissen, wie die Wähler darauf reagieren könnten.

Die Wähler wiederum werden weiter drüber im unklaren gelassen, wer in Wirklichkeit für politische Entscheidungen verantwortlich ist. So werden sie auch in Zukunft verläßlich reagieren: Sobald in Berlin die Regierung wechselt, werden sie danach in den Ländern oppositionelle Parteien wählen und denen im Bundesrat eine Mehrheit bescheren. So bleibt die gegenseitige Blockade oberste Maxime deutscher Politik. Das fiel nicht weiter auf, solange es noch Geld zu verteilen gab oder Potential für Steuererhöhungen vorhanden war. Das ist vorbei. Alle Steuer- und Sozialsysteme sind ausgereizt. Doch die verkrusteten Parteien, die sich weit von der Volksmeinung entfernt haben, brauchen das verkrustete politische System. Nur darin meinen sie überleben zu können.


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