© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/04 02. Januar 2004

Der Willkür Tür und Tor geöffnet
Klimaschutz: Die ungeklärte Kostenverteilung der Schadstoffemissionszertifikate ist nur ein Problem bei der CO2-Reduzierung
Bernd-Thomas Ramb

Das letzte Jahr kostenfreier Umweltverschmutzung ist angebrochen. Ab 1. Januar 2005 soll der Schadstoffausstoß von Kohlendioxyd (CO2) EU-weit über die Vergabe von Emissionszertifikaten geregelt werden. Schon jetzt liegen den betroffenen deutschen Firmen, nach vorläufiger Erfassung des Bundesumweltministeriums 2.631 Anlagen, die Bemessung ihrer Anteile an der zulässigen Gesamtemission vor. Nun können sie ihre spezifische Firmenstrategie überdenken. Die einzelnen Unternehmen sind nicht strikt auf die Einhaltung ihres Emissionskontingents verpflichtet. Sie können Emissionsrechte von anderen aufkaufen oder eigene abgeben. Die EU hat damit ein Umweltschutzverfahren mit Handelsrechten gewählt. Sie hätte auch anders entscheiden können.

Grundsätzlich kann die Umweltbelastung auf drei verschiedene Arten staatlich geregelt - das bedeutet üblicherweise reduziert - werden: durch Auflagen, Abgaben oder Ermahnungen. Letzteres Verfahren hat Deutschland in der Vergangenheit bei den Großunternehmen besonders erfolgreich angewandt. Durch die Selbstverpflichtung der deutschen Industrie zur Schadstoffreduzierung wurde die Umweltbelastung durch CO2 in den letzten Jahren kräftig gesenkt. Allerdings kann der Staat mit diesem Verfahren nur zufällig eine "punktgenaue" Minderung der Schadstoffe erreichen. Zudem kann der "gute Wille" der Industrie zur freiwilligen Selbstbeschränkung konjunkturellen Schwankungen unterliegen.

In der Praxis erprobt ist auch die Form der Abgabenpolitik. Die Abgabe beim schadstoffemittierenden Benzinverbrauch über die sogenannte Ökosteuer dient - zumindest in der Argumentation der umweltbesorgten Politiker - vordergründig der Reduktion der Emissionsmengen. Darüber hinaus bietet dieses Verfahren eine willkommene Einnahmequelle der Staatskassen. Der politische Zielkonflikt ist damit vorgegeben: Geht es dem Staat mehr um die Einnahmen oder mehr um die Verbrauchsmengenreduzierung? Die Frage beantwortet sich meistens durch die Höhe des Steuersatzes oder im Ablauf eines dynamischen Steuerungsverfahrens durch das Ausmaß der Steuersatzänderungen. Kräftige und plötzliche Steuersatzerhöhungen dienen eher der Mengenreduzierung als eine Politik der "kleinen Nadelstiche". Die Anhebung der Benzinsteuer in mehreren kleinen Schritten zielt daher mehr auf die Erhaltung oder Vergrößerung der Einnahmen als auf die fürsorgliche Rettung der Umwelt. Gleiches gilt nebenbei für die angeblich gesundheitsbewußte Tabaksteuer.

Abgaben- oder Steuerpolitik erwirkt, wenn nicht permanent der Steuersatz verändert wird, ebenfalls keine genaue Kontrolle der Schadstoffemissionen. Diese lassen sich am besten durch Auflagen erreichen. Jedem Betrieb wird genau vorgeschrieben, mit welchen Emissionsmengen er jährlich die Umwelt belasten darf. Emissionszertifikate sind im wesentlichen nichts anderes als emissionsmengenspezifizierte Auflagen. Allerdings wird in diesem Fall zusätzlich eine teilweise Übertragung der berechtigten Emission ermöglicht.

Da Emissionsauflagen prinzipiell der Reduktion von Schadstoffmengen dienen sollen, werden die Unternehmen grundsätzlich vor dem Problem stehen, wie sie ihre bestehenden Emissionsmengen verringern könnten. Dazu bietet sich zunächst die technologische Verbesserung der Produktion beispielsweise durch den Einbau aufwendiger Filteranlagen und die gezielte Entsorgung der ausgefilterten Schadstoffe an. Unternehmen, die diese Investitionskosten scheuen, können alternativ Emissionsrechte von anderen Unternehmen zukaufen.

Jedoch müssen erst einmal Zertifikate auf dem Markt angeboten werden. Dies gelingt zunächst nur, wenn einige Unternehmen durch technologische Verbesserungen mehr Schadstoffe einsparen, als sie auflagengemäß müßten. Die Mehrkosten dieser Investitionen können sie dann über den Verkauf ihrer überschüssigen Emissionsrechte abdecken. Der Marktpreis der Emissionsrechte richtet sich alles in allem nach der politischen Vorgabe der gesamten Emissionsreduktion und den Kosten der Schadstoffvermeidung. Im Extremfall könnten Betriebe ihre Produktion auch ganz einstellen und ihren Gesamtbestand an Emissionsrechten verkaufen.

Kritisch ist dabei die Frage, ob der Staat die anfänglich den Unternehmen zugewiesenen Emissionszertifikate seinerseits verkaufen soll oder diese "verschenkt". Bei einem Verkauf steigen die Kosten der Unternehmen und damit die Preise der produzierten Güter. Zudem erhebt sich die Frage, zu welchem Preis der Staat die Zertifikate verkaufen soll. Ein falsch taxierter Preis könnte die angestrebte Schadstoffmengenreduktion nach oben oder unten verfehlen.

Lösbar wäre dieses Problem durch eine Versteigerung der Emissionsrechte. Verschenkt der Staat die Emissionsrechte, entsteht zusätzlich das Problem, wie neu in den Markt eintretende Unternehmen bei der Vergabe von Emissionsrechten berücksichtigt werden können.

Diese Willkür bleibt zumindest auf europäischer Ebene bestehen. Die EU hat sich im Rahmen des Kyoto-Abkommens zu einer europäischen Verminderung der CO2-Emission um acht Prozent gegenüber der Menge von 1990 verpflichtet. Dabei wurden national sehr unterschiedliche Reduktionsmengen festgelegt. So soll Deutschland seine CO2-Emissionen am stärksten, nämlich um 21 Prozent verringern. Einige Staaten wie Portugal und Griechenland dürfen dagegen künftig ihre Emissionsmengen erhöhen. Wenn nun der Zertifikatshandel zwischen den EU-Staaten freigegeben wird, eröffnen sich für diese Länder glänzende Möglichkeiten zusätzlicher Staatseinnahmen.

Würde die EU dagegen eine Versteigerung der gesamteuropäischen Emissionsrechte vornehmen, könnte sie sich hervorragende Finanzierungsquellen erschließen. Ein hypothetisches Gedankenspiel, da dies den nationalen Interessen Portugals und Griechenlands widerspricht - ausgerechnet Länder, deren nicht unbeträchtliche CO2-Emissionen durch die alljährlichen Waldbrände unberücksichtigt bleiben.


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