© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/04 02. Januar 2004

Vom gewohnten Luxus Abschied nehmen
Studiengebühren: Um finanzielle Löcher zu stopfen und die Zahl der Langzeitstudenten zu verringern, gehen die Bundesländer verschiedene Wege zum gleichen Ziel
Kurt Zach

Bis zum Ende der sechziger Jahre waren Studiengebühren an deutschen Hochschulen noch gang und gäbe. Jetzt stellt die schiere Finanznot in Hochschul- und Länderhaushalten eine heilige Ikone der sozialliberalen Ära zur Disposition: Eingerahmt von Studentenprotesten scheint der kostenfreie Universitätsbesuch zur bildungsgeschichtlichen Episode zu werden. SPD- und unionsgeführte Länder gleichermaßen sind schon seit Jahren emsig dabei, das erst 2002 im Bund bekräftigte Gebührenverbot auszuhöhlen. Sechs Unionsländer sind dagegen sogar vor Gericht gezogen. Dabei geht es - wie bei so vielen Änderungen, die derzeit im Reformgewand daherkommen - den Initiatoren in erster Linie um eine Steigerung der Einnahmen und nicht so sehr um die Hebung der Qualität der akademischen Lehre im Lande Humboldts.

Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hat am 25. April 2002 einen Pyrrhussieg errungen: In das mit der 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) verabschiedete Studiengebührenverbot waren die Löcher zu seiner schleichenden Aushebelung schon eingebaut, weil es Fakten berücksichtigen mußte, die die Länder mittlerweile geschaffen und zum Teil auch gerichtlich abgesichert hatten. Gebührenfreiheit soll nur für das Erststudium gelten, und auch hier nur für die Regelstudienzeit plus einige Semester.

Studentenvertreter witterten angesichts der löchrigen Bulmahn-Novelle bereits Verrat an rot-grünen Wahlversprechen. Den CDU- und vielen SPD-Bildungsministern geht dagegen Bulmahns Eingriff in die Bildungshoheit der Länder zu weit. Sechs unionsgeführte Landesregierungen von Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben deshalb am 23. Mai 2003 Normenkontrollklage gegen die HRG-Novelle beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Als Rückmeldegebühr und Verwaltungskosten getarnt

Eine Entscheidung wird frühestens 2004 erwartet. In den meisten Ländern werden dann bereits Gebührenregelungen gelten, die sich die in der Bulmahn-Novelle enthaltenen Schlupflöcher zunutze machen. Die von den Studenten erhobenen Gelder setzen sich zusammen aus Rückmeldegebühren bzw. Verwaltungskostenbeiträgen in der Größenordnung um fünfzig Euro einerseits und Gebühren für "Langzeitstudenten" auf der anderen Seite. Sozialdemokratisch regierte Landesregierungen bevorzugen "Studienkonten" - Modelle mit flexiblerer Zeiteinteilung, die aber dasselbe bedeuten. Einzeln oder in unterschiedlichen Kombinationen haben fast alle Länderregierungen diese möglichen Einnahmequellen angezapft oder wenigstens entsprechende Pläne in der Schublade. Einzig im rot-roten Mecklenburg-Vorpommern sind Gebühren fürs Studieren bislang weder eingeführt noch beschlossen oder angedacht.

Hessen hat als bislang letztes Bundesland das Gesetzgebungsverfahren für eine Studiengebührenregelung eingeleitet. Ab dem Sommersemester 2004 gilt für alle Studenten eine Rückmeldegebühr von 50 Euro pro Semester und Langzeitstudiengebühren ab dem vierten Semester über der Regelstudienzeit: 500 Euro für das erste Semester, 700 für das zweite und 900 für jedes weitere. Für ein Zweitstudium sollen Semestergebühren von 500 bis 1.500 Euro erhoben werden. Trotz der späten Einführung kann die Koch-Regierung als Vorkämpfer der Studiengebühreneinführung gelten - ein entsprechendes Verbot wurde bereits 2000 aus dem hessischen Hochschulgesetz gestrichen.

Ähnliche Tarife gelten auch in Niedersachsen - Rückmeldegebühr 51 Euro, Langzeitgebühr 500 Euro ab dem vierten Semester über Regelstudienzeit. Beides war bereits von der SPD-Regierung Sigmar Gabriels eingeführt bzw. beschlossen worden. Die CDU-Regierung unter Christian Wulff plant allgemeine Studiengebühren von 500 Euro pro Semester - vorausgesetzt, die Normenkontrollklage gegen die HRG-Novelle hat Erfolg. Hamburg plant dann sogar allgemeine Studiengebühren von 2.500 Euro pro Semester; bereits beschlossen sind Langzeitstudiengebühren von 500 Euro pro Semester ab Sommer 2004 und - rechtlich umstrittene - allgemeine Studiengebühren von ebenfalls 500 Euro für alle Studenten mit Wohnsitz "außerhalb der Metropolregion Hamburg".

Als "Erfinder" der Rückmeldegebühr kann der damalige Wissenschaftsminister in Baden-Württemberg Klaus von Trotha (CDU) gelten, der bereits 1997 hundert Mark (entspricht 51 Euro) pro Semester und Student verlangte. Nach studentischen Klagen und einer Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht Mannheim mußte die Regelung ausgesetzt werden und wurde im März 2003 vom Bundesverfassungsgericht wegen formaler Fehler gekippt. Boykottversuche von Studentengremien mit Aufrufen, den Beitrag auf Treuhandkonten zu parken, scheiterten kläglich. Seit Mai gilt ein auf 40 Euro ermäßigter "Verwaltungskostenbeitrag" in juristisch einwandfreier Form.

Langzeitgebühren (511 Euro pro Semester) sind im Südwesten schon seit Jahren eingeführt und wurden im Juli 2001 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt; allgemeine Studiengebühren wird der seit 2001 amtierende Wissenschaftsminister und frühere Rektor der Uni Mannheim Peter Frankenberg (CDU) einführen, sobald der Weg frei ist. Das Saarland hat unter seiner neuen CDU-Regierung eine Langzeitgebühr von 500 Euro nach baden-württembergischen Vorbild im April 2002 eingeführt, ebenso Thüringen im April 2003.

In Bayern werden "Langzeitstudenten" nach vier Semestern Regelstudienzeitüberschreitung plus einem Wiederholungssemester zwangsexmatrikuliert; dafür gibt es eine Zweitstudiengebühr von 511 Euro (1.000 DM) pro Semester, und allgemeine Studiengebühren sind ebenfalls in der Diskussion, werden von Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) allerdings bislang eher kritisch betrachtet. Sachsen hat eine geringere Zweitstudiumsgebühr von 307 Euro eingeführt und plant nach einem Anfang Dezember bekannt gewordenen, von Minister Matthias Rößler (CDU) allerdings nicht bestätigten Gebührenordnungsentwurf Prüfungsgebühren von 25 bis 150 Euro und gebührenpflichtige Weiterbildungsangebote und Studienkollege für ausländische Studenten. Sachsen-Anhalt will Langzeitstudenten ebenfalls zur Kasse bitten, der parteilose Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz schwankt allerdings, ebenso wie seine Kollegen in Brandenburg - wo eine Rückmeldegebühr von 51 Euro bereits 2001 eingeführt wurde - und Bremen, noch zwischen einer Gebührenregelung nach baden-württembergischen Vorbild und dem NRW-Modell der "Studienkonten".

Im November 2001 gaben die SPD-Bildungsminister von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, Gabriele Behler und Jürgen Zöllner, gemeinsam bekannt, bis 2004 in ihren Ländern "Studienkonten" für den Hochschulbesuch einführen zu wollen. Die Absicht wurde in diesem Jahr in Gesetzesform gegossen und tritt in NRW ab dem Sommersemester 2004 und beim südlichen Nachbarn ab Wintersemester 2004/05 in Kraft. Wer sein "Konto" an Semesterwochenstunden für seinen Studiengang nicht überschreitet und sein Studium in längstens der doppelten Regelstudienzeit abschließt, studiert gebührenfrei; andernfalls werden pro Semester 650 Euro (NRW) bzw. 300 Euro (Rheinland-Pfalz) fällig. Da ab 2007 tatsächliche und nicht pauschale Wochenstunden pro Semester abgebucht werden sollen, erlaubt das Modell mehr Flexibilität für ein Teilzeitstudium als eine reine Semesterzahlbeschränkung; im Grundsatz ist das Studienkontenmodell indes eine Variation der Langzeitstudiengebühr. An Rhein und Ruhr gelten zudem ab April 2004 eine Zweitstudiengebühr von ebenfalls 650 Euro pro Semester.

Die ursprünglich geplante "Verwaltungsgebühr" von 50 Euro pro Semester mußte die nordrhein-westfälische SPD-Regierung nach massivem Druck aus Berlin vor der Bundestagswahl dagegen wieder fallenlassen. Für die CDU-Opposition sind die Studienkonten ohnehin ein "bürokratisches Monstrum", und die rot-grüne Koalition bekam bei ihren studentischen Stammwählern ein massives Imageproblem: "Wer hat uns verraten - Sozialdemokraten; wer war dabei - die grüne Partei", texteten schillernde AstA-Studentenvertreter in kurioser Variation alter Klassenkampf-Slogans.

Diese Erfahrungen und massiver Gegenwind aus den eigenen Reihen bewogen Schleswig-Holsteins SPD-Minister­präsidentin Heide Simonis, ihre im Januar 2002 verkündeten Pläne zur Einführung einer noch restriktiveren Studienkontenregelung (500 Euro schon ab zwei Semester Überschreitung) vorerst auf Eis zu legen. Dagegen will Berlin ab Winter 2004/05 ebenfalls Studienkonten einführen; Rückmeldegebühren von 51 Euro pro Semester und höhere Studentenwerksbeiträge für Langstudierer sind in der von permanenter Finanzkrise geplagten Hauptstadt bereits eingeführt.

Gemeinsam ist all diesen Modellen, daß die schnelle Beschaffung liquider Mittel offenkundig Vorrang vor strukturellen Reformen zur Beseitigung der Bildungsmisere hat. In den meisten Fällen ist die Zuweisung der eingenommenen Beiträge an die jeweiligen Hochschulen gar nicht oder nur mit zeitlicher Verzögerung vorgesehen. Drastische Sparbeschlüsse konterkarieren in "roten" wie "schwarzen" Ländern die zusätzlichen Geldquellen, die den Haushaltspolitikern noch lange nicht reichen. Während Bundesministerin Bulmahn auf zunehmend einsamerem Posten ihr Studiengebührenverbot verteidigt, wird quer durch die Parteien der Ruf nach allgemeinen Studiengebühren lauter.

Sogar Bulmahns eigener Staatssekretär, der jüngst bei der Beisitzerwahl zum Parteipräsidium durchgefallene Thüringer Christoph Matschie, setzte Anfang November seine Unterschrift unter ein Strategiepapier des Berliner "Netzwerks" jüngerer SPD-Politiker, dem als führende Köpfe der frühere niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel, Innen-Staatssekretärin Ute Vogt aus Baden-Württemberg und der saarländische SPD-Chef Heiko Maas zuzurechnen sind. Durch "nachgelagerte Studiengebühren", fordern die "Netzwerker", soll "nicht nur die Finanzkraft der Hochschulen, sondern auch die Dienstleistungsbeziehungen zwischen Studierenden und Lehrenden" gestärkt werden.

"Nachgelagert" heißt: Im Berufsleben, wenn der Akademiker ein entsprechendes Einkommen erzielt, wird ein bestimmter Prozentsatz der Einkünfte für die Abgeltung der Studienschuld fällig. Bei privaten Hochschulen wie der Universität Witten-Herdecke ist ein solches System nach dem Vorbild angelsächsischer Kaderschmieden durchaus erfolgreich im Einsatz. Kritiker sehen in dem Modell eine verkappte "Akademikersteuer". Gut versteckt in einem Beschluß der Grünen-Bundestagsfraktion regt sich auch beim kleinen Koalitionspartner der Wunsch nach einer "nachgelagerten Eigenbeteiligung von AkademikerInnen an der Finanzierung ihrer Ausbildung". Baden-Württembergs Grüne haben gar ein eigenes Modell entwickelt, das auf gut Engleutsch Studenten nach dem kostenfreien "Bachelor"-Studiengang für das "Master"-Studium zahlen läßt - mit Eigenbeteiligungen an "CreditPoints", die je nach "Ertragsreichtum" des Studiums (Medizin viel, Geisteswissenschaften wenig) unterschiedlich hoch bewertet werden.

Auch der RCDS als Hochschulzweig der Union, wo Studiengebühren ohnehin Konsens sind, hat sich inzwischen dafür ausgesprochen. Die Vorstellungen des RCDS orientieren sich dabei stark an dem Modell des Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), einer Denkfabrik der Bertelsmann-Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Die Einnahmen sollen den Hochschulen direkt zukommen, die staatlichen Bildungsausgaben müssen im Gegenzug nicht gesenkt, sondern sogar noch gesteigert werden, und die Förderung sozial Schwacher durch Stipendien soll eine klare Leistungskomponente enthalten. Unter solchen Voraussetzungen, hat eine vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und dem CHE beauftragte Studie herausgefunden, könnte sich eine Mehrheit der Studenten durchaus mit "moderaten Studiengebühren bis 500 Euro" anfreunden.

Die Gebühren werden in den Haushalten versickern

Während linke Befürworter des kostenfreien Studiums schlechtere Bildungschancen für weniger Begüterte fürchten, argumentiert auch die RCDS-Bundesvorsitzende Barbara Wnuk-Lipinsky sozial: Es sei ungerecht, daß man für Kindergärten zahlen müsse, nicht aber für ein Studium, das einem später höheren Verdienst ermögliche. Das RCDS-Papier nennt als Voraussetzung für die Gebühreneinführung "grundlegende Reformen und geeignete Rahmenbedingungen". Kommt die Reform vor der Gebühr oder durch sie? Peter Gaehtgens, neuer Präsident der HRK, erwartet von Studiengebühren "mehr Wettbewerb" zwischen den Hochschulen und eine bewußtere Einstellung seitens der Studenten, für die das Studienangebot keine unabänderliche Selbstverständlichkeit wäre. Mit den derzeit eingeführten Gebührenmodellen mag es möglich sein, die Zahl der Schein- und Pseudostudenten, die als junge Berufstätige eingeschrieben bleiben, um billige Nahverkehrsnetzkarten und kommunale Angebote nutzen zu können, zu reduzieren. Vor der Einführung allgemeiner Studiengebühren steht dagegen die Beantwortung der Grundsatzfrage: Ist das Massenstudium diese Gebühren wert?

Verschwinden die Gebühreneinnahmen in den zusammengestrichenen Bildungsetats, oder kommen sie den Hochschulen zugute? Wird deren Autonomie gestärkt, um finanzielle Spielräume auch nutzen zu können? Muß die Zahl der Studenten an den Universitäten nicht eher gesenkt als - wie von der OECD gefordert - erhöht werden? Die Gebührendebatte verlangt auch nach einer Klärung des Akademikerbegriffs. Für den breiten Mittelbau mit Hochschulausbildung, den die moderne Wirtschaftswelt verlangt, sind praxisorientierte Ausbildungsstätten wie die dual organisierten Berufsakademien möglicherweise die bessere Schmiede. Sollen die Universitäten wieder Stätten von Lehre und Forschung gleichermaßen werden, müssen sie nicht nur finanziell besser ausgestattet, sondern auch vom Massenbetrieb entlastet werden.

Ein Student protestiert am 20. November 2003 vor dem Magdeburger Landtag gegen Etatkürzungen im Bildungsressort: Kostenfreier Universitätsbesuch, die heilige Ikone der sozialliberalen Ära


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