© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/04 09. Januar 2004

Manieren
Wenn Minister Baseballkappen tragen
Dieter Stein

Plötzlich ist wieder von "Höflichkeit" und "Umgangsformen" die Rede, Benimm-Fibeln stapeln sich in den Buchhandlungen, und wenn gar das Fachblatt des deutschen Gentleman, Focus, in seiner ersten Januar-Ausgabe mit dem Thema "Benimm ist in - Manieren und Stil: Wissen Sie wirklich alles über richtiges Benehmen? Der Knigge für Tisch, Karriere, Liebe und Small Talk" aufmacht, ist Gefahr im Verzug. Eine völlig neue Note gab diesem Nachdenken über Form und Stil der seit 1974 in Deutschland lebende äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate mit seinem Buch "Manieren", das nun seit Wochen in den einschlägigen Bestsellerlisten zu finden ist.

Warum ist das so, daß in der europäischen Welt allgemein, besonders aber in Deutschland die Form unter die Räder kommt? Und ist dies überhaupt so wichtig? Ist es nicht ein Zeichen von Lässigkeit und Freiheit, daß spätestens seit 1968 die Schlipse locker sitzen, die Hände in den Hosentaschen verschwinden und Bundeswirtschaftsminister Baseballkappen tragen?

Die Menschen scheinen sich dennoch immer nach einem Minimum an gemeinsamen Formen und Riten gesehnt zu haben - und wenn es neuerdings das "Hi" zur Begrüßung und "Ciao" zum Abschied ist. Sie geben das Gefühl der Sicherheit und Verbindlichkeit, die ein Zusammenleben möglich und erträglich machen. Asserate nun erinnert daran, daß die europäischen Manieren unauflöslich mit Hierarchie und Ungleichheit verbunden sind und daß den Manieren, dem "Dienen" untereinander ein religiöser Kern innewohnt.

Es scheint also nur zwangsläufig, daß, beflügelt durch Aufklärung, Demokratie, allgemeine Egalisierung, die alten "Sitten und Gebräuche" den Bach runtergehen. Die Formlosigkeit ist nicht nur im Umgang der Menschen untereinander ein Zeichen unserer Zeit. Das Selbstverständnis der Reduzierung alles Schaffens und Handelns auf das "Zweckmäßige" hat auch die Architektur des 20. Jahrhunderts geformt, es hat nicht nur die Traditionen bei den Manieren, sondern auch organisch gewachsene Innenstädte ausradiert und die Menschen in Schuhkartons aus Beton gesteckt. Dennoch schmerzt die meisten Menschen der Verlust von Form und Erhabenem. Es scheint eine anthropologische Disposition für die Ordnung, den Kult, den Dienst für Höheres, Größeres zu geben.

Asserate löst das Dilemma, wie in einer Zeit der Ideologie der Gleichheit Manieren, die notwendig auf Ungleichheit der Menschen basieren, gepflegt und bewahrt werden sollen, indem er Nicolás Gómez Dávila zitiert ("Die guten Manieren bestehen aus der Übertragung der Umgangsformen gegenüber Höhergestellten auf den Umgang unter Gleichen") und folgert: "Der Höhergestellte ist immer der andere."

Damit rührt Asserate auch am wundesten Punkt der Deutschen. Manieren sind nämlich ein Bestandteil der nationalen Identität. Daß diese Identität gestört ist, ist offenkundig. Das Unsouveräne, Unsichere im Politischen spiegelt sich in dem bislang vorherrschenden Desinteresse an Ästhetik und Form wider.


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