© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/04 09. Januar 2004

PRO&CONTRA
Kopftuch verbieten?
Hakki Keskin / Mohammad Azeem Butt

Das Tragen von Kopftüchern von Lehrern in Schulen bedeutet das Recht, sich mit missionarischen Textilien zu bekleiden. Dieses Problem kann nicht ausschließlich für eine bestimmte Religion geregelt werden. Es ist verständlich, daß kirchliche Kreise in Deutschland ihre historischen Besitzstände und christliche Politiker ihre christlichen Werte verteidigen wollen. Dies ist jedoch in Einklang zu bringen mit dem staatlichen Neutralitätsgebot und dem Gleichheitsgebot. Beide Prinzipien sind verfassungsrechtliche Grundwerte, die in einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft nicht zur Disposition von partikularen Interessen stehen.

Die Verfassung Deutschlands ist wertneutral. Sie bevorzugt keine Religion. Die gesellschaftliche Realität in Deutschland ist multireligiös. Die Kritiker von Bundespräsident Rau verneinen in der sogenannten Kopftuchdiskussion die religiöse Pluralität in Deutschland. Die Auseinandersetzung um missionarische Symbole religiöser Gruppen hat Deutschland unvorbereitet vorgefunden. Wer diese Diskussion auf die Verteidigung althergebrachter Besitzstände und christlicher Werte reduziert, "christianisiert" die Diskussion, diskriminiert die Weltreligion Islam, behindert die gesellschaftliche Integration der islamischen Bevölkerungsgruppe und gefährdet den inneren Frieden in Deutschland.

Falsch verstandene Liberalität und Toleranz führen dazu, daß seitens der Islamisten, denen es nicht um die religiöse Überzeugung, sondern um die Durchsetzung ihrer politischen Ziele geht, weitergehende Forderungen erhoben werden. Bereits heute wird getrennter Sport- und Schwimmunterricht von Jungen und Mädchen gefordert.

Die Schulen in Deutschland dürfen nicht zum Austragungsort religiöser Konflikte werden. Sie müssen vielmehr ohne Wenn und Aber eine säkulare und neutrale Position einnehmen und diese kompromißlos bewahren.

Prof. Dr. Hakki Keskin ist Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V.

 

 

Ich vertrete diese Meinung nicht. Man sollte zuerst beachten, welche Absicht sich hinter dem Tragen eines Kopftuches verbirgt. Trägt die Frau es deswegen, weil sie ihre Reife vor den Männern zu verbergen sucht, oder soll dahinter eine politische Botschaft stecken?

Ich denke nicht, daß viele Frauen im Kopftuch ein politisches Symbol sehen - wenn, dann ist dies ein kleine Minderheit. In Pakistan gab es zum Beispiel Frauen, die Ministerpräsidentin geworden sind, genau wie in Malaysia oder Bangladesh. In Deutschland gab es noch keine Frau an der Spitze. So kann das Kopftuch unmöglich als Unterdrückung verstanden werden.

Als Symbol der Religionszugehörigkeit ist es etwas anderes. Es ist eine Demonstration der Schamgefühle. Sigmund Freud formulierte einmal, daß der Verlust der Schamgefühle der Beginn der Barbarei wäre. Heute tragen auch in Europa viele Frauen das Kopftuch - und dies ist wohl kaum ein Zeichen der Unterdrückung oder das Ablegen eines politischen Zeugnisses, sondern lediglich ein Ausdruck von Schamgefühl und Teil ihrer Tradition. Nehmen Sie die Jungfrau Maria: auf zahlreichen Abbildungen ist sie mit einem Kopftuch versehen, also bedeckt.

Im Islam versteht man das Tragen eines Kopftuches als Ehre, die von Gott gegeben war. Der Quran sagt, die Frauen sollen ihre Reife bedecken vom Kopf bis zu den Brüsten. Jede muslimische Frau, die ihre Religion ernst nimmt, hat ihre Reife zu bedecken. Der angestrebte Verbot des Kopftuches ist ein Angriff auf die vom Grundgesetz zugesicherte Religionsfreiheit.

Wir als Muslime versuchen nach den Werten, die von Gott begründet sind, zu leben. Wir haben hier den Fall, daß die Menschen nicht mehr nach den Werten leben, sondern sich die Werte nach den jeweiligen Interessen richten.

Mohammad Azeem Butt ist Betreuer für Neumitglieder der Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V.


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