© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/04 09. Januar 2004

BLICK NACH OSTEN
Renaissance der nationalen Parteien
Carl Gustaf Ströhm

Die Wahlen, die jüngst in vier ehemals kommunistischen Staaten abgehalten wurden, standen im Zeichen eines Verses von Wilhelm Busch: "Jeder denkt, die sind perdü! Aber nein! - Noch leben sie!" Jeder - das ist in diesem Fall die politische Klasse der EU, die glaubte, durch "Gesundbeten" und/oder Drohungen auf das Stimmverhalten der osteuropäischen Wähler Einfluß nehmen zu können. Man war sogar bereit, sich mit den "gewendeten" Ex-Kommunisten zu verbünden und ihnen die Steigbügel für eine Rückkehr an die Macht zu halten.

Eine Zeitlang schienen die Osteuropäer sogar mitzuspielen: In vielen Ländern wurden die "nationalen" Parteien, welche nach 1989 die Hauptlast der Transformation zu tragen hatten, von ungeduldigen Bürgern abgewählt. "Nationalismus", so assistierte der Westen, sei nicht mehr modern. Die befreiten Völker sollten sich im Zeichen der Globalisierung und EU-Integration ganz den herrschenden westlichen "Trends" anpassen - dann sei auch ihnen die gleiche leuchtende Zukunft sicher wie ihren EU-Nachbarn und Wohltätern. In diesem Sinne mischte sich der EU-Außenpolitiker, der Spanier Javier Solana, in den serbischen Wahlkampf ein. Er drohte den störrischen, durch die in der Form mehr als fragwürdige Auslieferung ihres Ex-Staatschefs Slobodan Milosevic verunsicherten Serben, man würde sie erbarmungslos im Orkus der "Vergangenheit" verschwinden lassen, wenn sie nicht "europakonform" abstimmten.

Das Ergebnis ist bekannt: ein Triumph der radikalen serbischen Nationalisten unter dem als Angeklagter in Den Haag einsitzenden Führer der Radikalen Partei Vojislav Seselj. Sein Platzhalter in Belgrad, Tomislav Nikolic, betonte inzwischen den Machtanspruch seiner Partei und sagte, das Ziel, alle Serben in einem Staat zu vereinen, sei "kein Fehler gewesen". Europa bestrafe immer nur die Serben. Dem "gemäßigten" Nationalisten Vojislav Kostunica machte Nikolic ein Koalitionsangebot, das dieser - nicht zuletzt unter westlichen Druck - ablehnen muß. Aber das Angebot liegt auf dem Tisch und wird das politische Klima in Serbien beeinflussen. Sicher ist derzeit nur eins: die "national(istisch)en" Kräfte sind in Serbien fest verankert.

Der Westen aber steckt in einer Zwickmühle. Er schiebt die entscheidenden Fragen vor sich her - etwa das Kosovo-Problem. You can't have your cake and eat it, too (Man kann nicht den Kuchen behalten und ihn gleichzeitig essen), lautet ein britisches Sprichwort. Anders gesagt: Man kann nicht die Kosovo-Albaner demokratisieren, ohne ihnen das Recht auf Selbstbestimmung zu gewähren - und man kann nicht gleichzeitig die Serben zufriedenstellen, ohne den serbischen Charakter des (inzwischen zu über 90 Prozent von Albanern bewohnten) Kosovo zu akzeptieren. Beides zusammen wird nicht gehen.

Auch im benachbarten Kroatien hat eine gemäßigt nationale Option - die HDZ unter Ivo Sanader - bei den Wahlen gesiegt: trotz eines Trommelfeuers an Gegenpropaganda. Dieser gemäßigte, von der EU lange Zeit zu Unrecht verteufelte "Nationalismus" wird die kroatischen Interessen innerhalb der EU besser vertreten als die bisherige verquaste "sozialistische" Option. Auch in Georgien und Rußland wird man mit der nationalen Richtung rechnen müssen. Man kann das verfluchen: an den Tatsachen ändert es nichts. Wenn der Westen das ignoriert, wird ihm die Geschichte die Rechnung präsentieren - auch für ihn gilt: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."


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