© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/04 16. Januar 2004

Unter sich
Literatur: Wolfram Dufner schildert Tage mit Ernst Jünger
Thorsten Thaler

Anfang Januar 1985 erhält der damalige Bundesminister und Chef des Bundeskanzleramtes, Wolfgang Schäuble, einen Brief, in dem er gebeten wird, sich bei Bundeskanzler Kohl dafür einzusetzen, Ernst Jünger als Kandidaten für den Literaturnobelpreis zu benennen. Die Empfehlung kommt von Wolfram Dufner, Botschafter der Bundesrepublik in Kuala Lumpur und ein enger Freund des Schriftstellers und seiner Frau Liselotte. Am 7. Februar antwortet Schäuble, daß die Anregung "sehr ernsthaft geprüft" worden sei. "Unsere Recherchen haben jedoch ergeben", schreibt Schäuble, "daß wir mit einem solchen Vorschlag leider nicht den gewünschten Erfolg haben würden." Deshalb würde der Vorschlag nicht weiter verfolgt, "da eine Ablehnung durch das Nobelpreiskomitee nur eine unerwünschte Publizität haben würde". Damit war der Fall für die Bundesregierung erledigt. Ernst Jünger erfuhr von der Initiative Dufners nichts.

Jetzt hat der heute 77jährige Wolfram Dufner in seinem kürzlich erschienenen Buch "Tage mit Ernst Jünger" diese Episode geschildert und dabei nicht mit Kritik an der Haltung der Bundesregierung gespart: "Der Bescheid ist ein Dokument über den geistigen Zustand nicht nur unseres Landes." Daß Jünger trotz vieler Vorstöße aus dem In- und Ausland immer wieder beim Nobelpreis übergangen wurde, "sagt nichts aus über die Qualität seines Werkes", so Dufner. "Ernst Jünger steht im guten Sinne abseits."

Mit seinem überaus lesenswerten Buch sucht der Ex-Diplomat eine Annäherung vor allem an den Menschen Ernst Jünger. Als deutscher Botschafter in Singapur (1980-1983) und Malaysia (1984-1987) war Dufner Gastgeber bei jeweils mehrwöchigen Aufenthalten der Eheleute Jünger in Südostasien. Gemeinsam unternahmen sie Dschungelexpeditionen, und in Kuala Lumpur sah Ernst Jünger 1986 zum zweiten Mal in seinem Leben den Halleyschen Kometen. Nach seiner Versetzung in die Schweiz arrangierte Wolfram Dufner Begegnungen zwischen Ernst Jünger und Golo Mann. Lange unterhielten sich die beiden allein im Garten der Botschafterresidenz in Bern. Auf dem Rückweg zur Terrasse hörte Dufner den damals 96jährigen Jünger zum 85jährigen Mann sagen: "Ach ja, Sie sind der einzige, mit dem ich mich noch unterhalten kann." 

Wolfram Dufner: Tage mit Ernst Jünger. Societäts Verlag, Frankfurt 2003, geb., 196 Seiten, zahlr. Abb., 19,90 Euro


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