© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/04 16. Januar 2004

Frisch gepresst

Volksgeschichte. Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung des Kaiserreichs löste sich die Fixierung der deutschen Historiker auf den "Machtstaat". Zum neuen Forschungsobjekt erkor man das "Volk". Da aber jene, die zwei Menschenalter später vom bequemen Hochsitz der Moral aus unsere Großväter beurteilen, die Grenze zwischen einer solchen nach 1918 konzipierten "Volksgeschichte" und zeitgleich virulenter "völkischer" Geschichtsideologie gern verschwimmen lassen, ist es nur noch ein kleiner Schritt, um die "Volkshistoriker" der "intellektuellen Teilhabe am nationalsozialistischen Zivilisationsbruch" zu bezichtigen. Der Freiburger Historiker Willi Oberkrome, der mit seiner stark ideologisierten Dissertation vor zehn Jahren die Aufmerksamkeit auf das Volksparadigma lenkte, ist mit einer solchen bekannt kurzschlüssigen Argumentation auch in dem Sammelband von Manfred Hettlage zum Thema "Volksgeschichten im Europa der Zwischenkriegszeit" (Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, 372 Seiten, kartoniert, 28,90 Euro) vertreten. Allerdings relativieren sich in diesem Umfeld nicht nur moralische Maßstäbe. Vor allem zeigen die Beiträge die "Normalität" einer von Historikern gespeisten Geschichtspolitik, die bemüht war, politische Ansprüche im Rekurs auf das "Konstrukt des Volkes" zu legitimieren. Hier reicht die Internationale der "Volkshistoriker" von Estland bis Serbien, und auch der Zionismus wollte, wie der kundige Beitrag von Moshe Zimmermann leider allzu knapp skizziert, auf dieses Identifikationsmuster nicht verzichten.

 

Stalingrad. Vor einem Jahr wurde anläßlich des sechzigsten Jahrestages der Schlacht von Stalingrad den Stimmen aus dem kleinen Häuflein der heute noch Lebenden des Kessels - sei es von den rechtzeitig Ausgeflogenen oder aus dem Kreis der nur 6.000 Kriegsgefangenen, die aus Rußland heimkehrten - ein größeres Gehör verschafft. Die Erinnerungen des damaligen Kavallerie-Offiziers Hans-Ludwig von Stockhausen sind nicht nur wegen dieses Schicksals hervorzuheben, obwohl insbesondere die Schilderungen der letzten Tage vor der Kapitulation seiner Einheit am 2. Februar 1943 eindrucksvoll und ergreifend sind. Vielmehr spiegelt von Stockhausens Werk glaubhaft eine Jugendzeit in den dreißiger Jahren im NS-System wider, dessen Unbeschwertheit der Krieg jäh auslöschte (Erinnerungen. Ritter, Reiter, Russen. Verlag Antiquariat Bernhard Schäfer, Bad Karlshafen 2003, 352 Seiten, 23,80 Euro).


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